Der Fall:
Arbeitgeberin Marylin hat auf Anraten von Sigmund Freud den widerspenstigen Arbeitnehmer Kinski nicht verhaltens-, sondern betriebsbedingt mit
Abfindungsangebot gekündigt. Kinski, der das Angebot annahm, fühlt sich getäuscht.
Komponist Schubert hat seinen Textdichter Müller mit Abfindungsangebot gekündigt. Müller klagt deshalb nicht innerhalb der
gesetzlichen Frist. Erst danach stellt Müller fest, daß Schubert schon völlig Pleite ist und ihn über seine Zahlungsfähigkeit getäuscht hat.
Alpinunternehmer Tell kündigt seinen Senner Schiller wegen
Unternehmensaufgabe betriebsbedingt mit Abfindungsangebot. Schiller klagt nicht. Später stellt Schiller fest, daß Tell seinen Almbetrieb nicht geschlossen, sondern an Wallenstein verkauft hat.
Alle 3 Arbeitnehmer wollen anfechten wegen arglistiger Täuschung.
Zu recht?
Die Lösung
1. Täuschung über betriebsbedingte Gründe?
Marylin hat zwar Kinski über ihre wahren Beweggründe getäuscht. Von einer arglistigen Täuschung kann jedoch deshalb nicht die Rede sein, weil ein
Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten Kündigung ohne substantiierte Darlegung der Kündigungsgründe und ohne Nachprüfung stets damit rechnen muß, daß die behaupteten oder vorgetäuschten betriebsbedingten
Kündigungsgründe tatsächlich nicht existieren. Oftmals kündigen Arbeitgeber betriebsbedingt, um einen Streit im verhaltensbedingten oder krankheitsbedingten Bereich aus dem Weg zu gehen. Das muß der Arbeitnehmer
Kinski wissen.
Der Gesetzgeber hat in § 1 a KSchG nur verlangt, daß der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse kündigt, also diese Gründe im Kündigungsschreiben angibt. Er hat nicht
gefordert, daß diese Gründe tatsächlich auch vorliegen. Auch der Abfindungsanspruch entsteht unabhängig von der Prüfung der Tragfähigkeit der Kündigungsgründe.
Arbeitnehmer Kinski ist deshalb von Marylin
nicht im Sinne von § 123 BGB arglistig getäuscht worden. Er hat auch keinen Schaden erlitten. Eine Anfechtung wäre nicht erfolgreich.
2. Täuschung über Zahlungsfähigkeit
Wesentlich problematischer ist der Fall Schubert. Die Täuschung des Komponisten Schubert über seine Zahlungsfähigkeit gegenüber seinem Textdichter Müller
führte zwar nicht zum Wegfall des Abfindungsanspruches. Dieser Anspruch ist jedoch tatsächlich nicht realisierbar.
Ein Arbeitgeber, der nach § 1 a KSchG ein Abfindungsangebot macht, muß auch im Augenblick der
Kündigungserklärung in der Lage sein, das Abfindungsangebot zu befriedigen. Sollte dies nicht der Fall sein, täuscht er den Arbeitnehmer arglistig und hält ihn in rechtswidriger Weise von der Erhebung der
Kündigungsschutzklage ab. Die Anfechtung des Textdichters Müller wäre erfolgreich.
Achtung:
Eine arglistige Täuschung läge dann nicht vor, wenn Schubert erst nach der Abgabe der Kündigungserklärung und nach dem Ablauf der Klagefrist in Armut gestürzt wäre. Dann könnte ihm kein Vorwurf gemacht werden. Ebenso ist der Fall zu werten, wenn Schubert schon lange chronisch pleite war und Müller dies wußte. Dann war Müller nicht zu täuschen.
3. Betriebsübergang
Alpinunternehmer Tell hat den gutgläubigen Senner Schiller an der Nase herumgeführt, wenn er Schiller aktiv getäuscht hat. Eine solche aktive Täuschung
läge dann vor, wenn Tell das Verstreichenlassen der Klagefrist mit der Behauptung erreicht hätte, der Betrieb werde stillgelegt oder wenn Tell auf Nachfragen von Schiller dies ausdrücklich behauptet hätte. Dann
wäre meines Erachtens eine Anfechtung des Abfindungsvertrages wegen arglistiger Täuschung erfolgreich. Der Übernehmer Wallenstein hätte einen neuen Mitarbeiter.
Hat dagegen Unternehmer Tell lediglich
betriebsbedingt gekündigt, ohne weitere Ausführungen zu machen, liegt keine arglistige Täuschung im eigentlichen Sinne vor. Eine Anfechtung wäre zumindest problematisch.
4. Rückzahlung der Abfindung
Im Falle einer erfolgreichen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB oder im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB
entfiele auch der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers. Wenn der Arbeitgeber die Abfindung bereits gezahlt hat, so muß der Arbeitnehmer wegen Wegfall des Rechtsgrundes und wegen rechtsgrundloser Bereicherung
diese Abfindung an den Arbeitgeber zurückzahlen.
5. Nachträgliche Klagezulassung
Die Anfechtung des Abfindungsvertrags und die Rückzahlung der Abfindung ändert nichts an dem Umstand, daß der Arbeitnehmer die gesetzliche Klagefrist des
§ 4 KSchG hat verstreichen lassen. Eine nunmehr erhobene Kündigungsschutzklage bzw. Feststellungsklage ist in jedem Falle verspätet.
Der Arbeitnehmer hat jedoch in diesem Falle die Möglichkeit, nach § 5 KSchG
die nachträgliche Zulassung der verspätet erhobenen Feststellungsklage beim Arbeitsgericht zu beantragen. Er muß diesen Antrag binnen 2 Wochen nach Kenntniserlangung über den Anfechtungsgrund etc. beim
Arbeitsgericht stellen und gleichzeitig Feststellungs-Klage erheben. Dann kann er im Zweifel damit rechnen, daß seine Kündigungsfeststellungsklage auch nachträglich zugelassen wird.
Achtung:
Mit dieser verspäteten Klageerhebung und dem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung entfällt die ursprüngliche Abfindungsvereinbarung. Das Abfindungsangebot des Arbeitgebers in der Kündigung stand nicht nur unter der Bedingung, daß die Klagefrist verstreicht. Es stand auch unter der “stillschweigenden” auflösenden Bedingung, wonach ein solcher Versuch der nachträglichen Klageerhebung nicht durchgeführt wird.
Eine schon gezahlte Abfindung müßte zurückgezahlt werden.