Folge 148

Kündigungsschutz – Geltungsbereich II



Der Fall:


    Arbeitgeberin Elisabeth beschäftigte in 2 Filialen 5 Vollzeitarbeitnehmer und zusätzlich ihren Butler Tony, der als Telefonist und Bote in beiden
    Filialen eingesetzt wird. Sie meinte, daß Tony eigentlich kein Arbeitnehmer, sondern Leibbursche sei. Außerdem habe er keinen schriftlichen Arbeitsvertrag.

    Im Frühjahr 2004 stellte sie zusätzlich 4
    Vollzeitarbeitnehmer ein, darunter die aufmüpfige Maggie. Wegen wirtschaftlichen Schwierigkeiten will sie bald 3 Arbeitnehmern kündigen. Wem soll sie kündigen? Wer hat Kündigungsschutz?

    Die freche Maggie
    behauptet, daß Elisabeth in Wirklichkeit mehr als die genannten 10 Arbeitnehmer beschäftige und daß deshalb alle Kündigungsschutz genießen.



Die Lösung:



1. Mindesbeschäftigungsdauer


    Kündigungsschutz entsteht nur für Mitarbeiter, die länger als 6 Monate beschäftigt waren. Maggie ist noch nicht so lange beschäftigt. Sie kann unabhängig
    von der Beschäftigtenzahl nach dem Kündigungsschutzgesetz gekündigt werden, sofern sie keinen Sonderkündigungsschutz genießt (z.B. Schwangerschaft).



2. Betrieb / Unternehmen


    Der Gesetzgeber hat es in § 23 Abs. 1 KSchG leider immer noch nicht geschafft, zwischen Betrieb und Unternehmen exakt zu unterscheiden. Der
    Kündigungsschutz des § 1 bezieht sich auf das Unternehmen. Es kommt nicht darauf an, wieviel Betriebe oder Filialen ein Unternehmen hat. Auch wenn Elisabeth 6 Alt-Arbeitnehmer auf 2 Betriebe oder Filialen
    verteilte, galt das Kündigungsschutzgesetz, da im Unternehmen 6 Arbeitnehmer beschäftigt waren. § 23 Abs. 1 KSchG spricht zwar von mehr als 5 / mehr als 10 Arbeitnehmern im “Betrieb”. Gemeint ist aber: im
    “Unternehmen”!



3. Wer ist Arbeitnehmer?


    Der Arbeitnehmer-Begriff ist von der Rechtsprechung in vielfältiger Weise behandelt worden. Im Einzelfall kann dies schwierig sein. Entscheidend ist die
    persönliche Abhängigkeit im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsvertrags und die Unterwerfung des Arbeitnehmers unter das Direktionsrecht der Arbeitgeberin.

    Unstreitig sind die 5 Mitarbeiter der beiden Filialen
    auch Arbeitnehmer. Entgegen der Ansicht von Elisabeth ist jedoch auch Butler Tony Arbeitnehmer. Für die Arbeitnehmereigenschaft kommt es nicht darauf an, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen wurde.
    Zwar ist der Arbeitgeber nach dem Nachweisgesetz verpflichtet, dem Arbeitnehmer einen schriftlichen Arbeitsvertrag zu geben. Unterläßt er dies, entfällt jedoch nicht der Arbeitnehmerstatus. Auch der Butler ist
    ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer, der dem Direktionsrecht unterworfen ist.

    Im Ergebnis hatte Elisabeth zunächst 6 Arbeitnehmer, die alle Kündigungsschutz genossen haben.



4. Beweislast


    Wenn im Prozeß streitig ist, wie viel Arbeitnehmer in einem Unternehmen beschäftigt werden, so muß die Arbeitnehmerzahl nachgewiesen werden. Streitig ist
    die Frage, wer die Darlegungs- und Beweislast trägt.

    Nach der umstrittenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts trägt derjenige die Beweislast für die höhere Arbeitnehmerzahl, der sich darauf beruft.
    Dies ist der Arbeitnehmer.

    Vorliegend behauptet Elisabeth, daß sie zu den 6 vorhandenen Arbeitnehmern im Jahr 2004 nur 4 Arbeitnehmer neu eingestellt habe. Diese 4 Arbeitnehmer hätten nach neuer Rechtslage
    keinen Kündigungsschutz.

    Wenn sich Arbeitnehmerin Maggie darauf beruft, daß 2004 mehr Mitarbeiter neu eingestellt wurden und mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt werden, so müßte sie dies darlegen und
    nachweisen.

    Zur Beweiserleichterung müßte Arbeitgeberin Elisabeth jedoch exakt Auskunft geben und ihre Personalunterlagen offenlegen.



5. Sozialauswahl?


    Will Arbeitgeberin Elisabeth nach der Neueinstellung von 4 Mitarbeitern 2 oder 3 betriebsbedingte Kündigungen vornehmen, so stellt sich die Frage nach
    der Auswahl. Muß eine Sozialauswahl zwischen allen Beschäftigten vorgenommen werden, obwohl 6 Alt-Arbeitnehmer Kündigungsschutz genießen und 4 Arbeitnehmer durch Neueinstellung keinen Kündigungsschutz?



Lösung:


    Meines Erachtens gilt hier, daß Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz zuerst zu kündigen sind. Der Kündigungsschutz kann fehlen, weil die Wartezeit von 6
    Monaten noch nicht erfüllt ist oder weil die Beschäftigtenzahl von 10 Arbeitnehmern nicht überschritten ist. Dies dürfte meines Erachtens keine Rolle spielen.

    Wer noch nicht oder mangels Beschäftigtenzahl
    nicht in den Schutzbereich des Kündigungsschutzgesetzes fällt, kann auch keine Sozialauswahl mit den bereits geschützten Arbeitnehmern verlangen. Elisabeth hat deshalb zunächst die Altarbeitnehmer mit
    Kündigungsschutz zu schonen. Sie müßte, wenn keine Besonderheiten vorliegen, die zuletzt eingestellten Mitarbeiter zuerst kündigen, also z.B. Maggie.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.