Der Fall:
  
 
  
   Arbeitgeber Gottlob hat den schwerbehinderten Techniker Andreas Gryphius ordentlich gekündigt. Der Betriebsrat hat zwar widersprochen, Gottlob hat sich
                                    aber nicht beeindrucken lassen. Gryphius meint, daß diese Kündigung rechtsunwirksam sein. Zu recht?
  
 
 
  
   Die Lösung
  
 
 
  
   1. Besonderer Kündigungsschutz
  
 
  
   Neben den Kündigungsfristen als Schutz für Arbeitnehmer gibt es das Kündigungsschutzgesetz. Das Kündigungsschutzgesetz regelt den allgemeinen
                                    Kündigungsschutz unter bestimmten Voraussetzungen.
   
   Daneben gibt es aber in diversen Gesetzen noch einen besonderen Kündigungsschutz bei Vorliegen besonderer, schutzwerter Eigenschaften von Arbeitnehmern.
                                    Dieser besondere Kündigungsschutz wird in der Praxis manchmal übersehen.
  
 
 
  
   2. Schwerbehinderte Arbeitnehmer
  
 
  
   Der Gesetzgeber hat im früheren Schwerbehindertengesetz, jetzt im Sozialgesetzbuch IX schwerbehinderte Menschen in besonderer Weise geschützt. Zu diesem
                                    Schutz gehört zum einen das Benachteiligungsverbot des § 81 Abs. 2 SGB IX. Danach dürfen Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen.
   
   Nach § 2 SGB IX sind Menschen
                                    behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und ihre Teilhabe
                                    am Leben in der Gesellschaft deshalb beeinträchtigt ist.
   
   Menschen im Sinne des Gesetzes sind insbesondere dann schwer behindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung Behinderung von mindestens 50 vorliegt
                                    und sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Beschäftigung im Geltungsbereich des Gesetzes haben.
   
   Nach § 71 SGB IX hat der Arbeitgeber die Verpflichtung, bei mindestens 20 Arbeitsplätzen wenigstens 5 % der
                                    Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Sonst muß er eine Ausgleichsabgabe nach § 77 SGB IX zahlen, die pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz zwischen 105 Euro bis 260 Euro monatlich beträgt.
  
 
 
  
   3. Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen
  
 
  
   In § 85 SGB IX ist gefordert, daß die Kündigung von Arbeitsverhältnissen schwerbehinderter Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des
                                    Integrationsamtes bedarf.
   
   Die Kündigungsfrist beträgt dann mindestens 4 Wochen. Eine ohne die Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene Kündigung ist rechtsunwirksam.
   
   Davon ausgenommen sind
                                    Arbeitsverhältnisse, die zum Zeitpunkt der Kündigung ohne Unterbrechung noch nicht länger als 6 Monate bestanden haben oder Arbeitsverhältnisse von Menschen über 58 Lebensjahren mit Abfindungsanspruch nach § 90
                                    SGB IX.
   
   § 91 SGB IX bestimmt, daß die Zustimmung des Integrationsamtes auch bei einer außerordentlichen Kündigung erforderlich ist.
  
 
 
  
   4. Offenkundige Behinderungen
  
 
  
   Grundsätzlich bedarf es zur Einbeziehung in den besonderen Kündigungsschutz der behördlichen Anerkennung der Schwerbehinderung mit einem Grad der
                                    Behinderung von 50. Dieser Bescheid wird durch das Versorgungsamt erteilt.
   
   Eine Ausnahme kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur dann bestehen, wenn der Arbeitnehmer eine offensichtliche
                                    schwerwiegende Behinderung hat, die dem Arbeitgeber nicht verborgen bleiben konnte. In diesem Falle unterliegt ausnahmsweise auch dieser – behördlich noch nicht anerkannte – Arbeitnehmer dem
                                    Schwerbehindertenschutz.
  
 
 
  
   5. Antragstellung
  
 
  
   Entscheidend ist, daß die Antragstellung beim Versorgungsamt vor Ausspruch der Kündigung erfolgt ist. Dies gilt auch für einen Verschlimmerungsantrag,
                                    wenn z.B. nur ein Grad der Behinderung von 30 anerkannt wurde, der behinderte Mensch damit aber nicht einverstanden war.
   
   Für den Kündigungsschutz spielt es dann keine wesentliche Rolle, wie lange das
                                    Anerkennungsverfahren dauert und ob die Kündigung des Arbeitgebers während des Anerkennungsverfahrens ausgesprochen wird.
   
   Sollte mangels Anerkennung die Kündigung vom Arbeitsgericht zunächst als
                                    rechtsunwirksam angesehen worden sein, so kann der später dann anerkannte schwerbehinderte Mensch im Wege der Restitutionsklage erneut gegen die Kündigung klagen und die Aufhebung des Urteils begehren.
  
 
 
  
   6. Gleichstellung
  
 
  
   Der Gesetzgeber hat in § 2 Abs. 3 SGB IX vorgesehen, daß den schwerbehinderten Menschen auch die behinderten Menschen gleichgestellt werden können, die
                                    lediglich über einen Grad der Behinderung von wenigstens 30 verfügen. Die Anerkennung folgt nach einem entsprechenden Antrag durch das zuständige Arbeitsamt.
   
   Auch hier ist für den Bestand des besonderen
                                    Kündigungsschutzes entscheidend, daß der Gleichstellungsantrag vor Ausspruch der Kündigung vom Arbeitnehmer beim Arbeitsamt gestellt worden ist.
   
   Achtung: Wer einen Antrag als Schwerbehinderter beim
                                    Versorgungsamt oder einen Antrag auf Gleichstellung beim Arbeitsamt stellt, sollte sich jeweils eine Antragsbestätigung mit Datum vom Amt geben lassen. Sollte dann eine Kündigung erfolgen, kann der Arbeitnehmer
                                    entsprechend belegen, wann sein Antrag gestellt wurde.