(Stand 2025)
Der Fall:
Richard Wagner kann Sachbearbeiter Giselher nicht leiden. Er versetzt ihn deshalb ins Lager als Arbeiter.
Isolde beschimpft Tristan und bezichtigt ihn vor Kollegen, dass er stinke, dass seine Frisur unappetitlich sei und seine Kleidung kurios. Der Arbeiter Hagen lacht sich auf dem Betriebshof über den Vorarbeiter Siegfried kaputt, weil dieser einen Sprachfehler hat und immer wieder anfängt zu stottern.
Brunhilde verbreitet unter dem Siegel der Verschwiegenheit über Krimhild die Mitteilung, dass diese versuche, Cosima beim Chef Wagner auszustechen. Sie bittet die Kolleginnen, Krimhild zu schneiden und nicht mehr mit ihr zu reden.
Welche Mobbing-Strategien liegen zugrunde?
Die Lösung
1. Mobbing durch organisatorische Maßnahmen
Organisatorische Maßnahmen im Betrieb haben regelmäßig einen Sachgrund. Arbeitgeber und Vorgesetzte müssen versuchen, die Arbeit des Betriebes möglichst optimal zu gestalten.
Daneben können aber organisatorische Maßnahmen dazu dienen, einen Mitarbeiter zu maßregeln oder zu schikanieren. So können z.B. Versetzungen unsachlich oder willkürlich sein.
Ein besonderes Problem ist die scheinbare Aufwertung und Wertschätzung eines Mitarbeiters, aufgrund deren dann diesem Mitarbeiter zu schwierige Aufgaben übertragen werden. Geschieht dies bewusst oder gar mit dem Ziel einer Überforderung dieses Mitarbeiters, so kann ein organisatorisches Mobbing vorliegen.
Im Gegenzug ist gerade bei höheren Mitarbeitern der Entzug von Entscheidungskompetenzen, von bestimmten Aufgabengebieten, der Entzug des Kundenverkehrs, das Bestreiten der Verhandlungskompetenz etc. “tödlich”.
Ein typischer Fall besteht z.B. darin, dass ein bisher maßgeblicher oder leitender Angestellter vor allen Augen durch den Entzug von Entscheidungskompetenzen degradiert wird und als sog. “Frühstücksdirektor” künftig durch den Betrieb geht. Oft wird diesem Frühstücksdirektor dann noch ein hochtrabender Titel, z.B.
“Vice-President” angehängt, um ihn fast noch lächerlich zu machen.
Eine beliebte Methode, um unliebsame Mitarbeiter mit Leitungsfunktionen aus dem Betrieb zu drängen oder gefügig zu machen, besteht bei großen
Unternehmen darin, dass diesem Mitarbeiter ein neues, möglichst abgelegenes Arbeitszimmer zugewiesen wird, das mehr oder weniger leer ist, mit Ausnahme eines Schreibtischstuhls und Telefons ohne PC und ohne Zugang zu bestimmten Teilen des betrieblichen Intranets.
In manchen Fällen ist dieser Zimmerwechsel auch noch mit einem Wechsel der Betriebsstätte verbunden.
Neben der Übertragung von zu schwierigen Aufgaben kann auch die Übertragung besonders geringwertigerer Tätigkeiten und die entsprechende Offensichtlichkeit im Betrieb eine Form des organisatorischen Mobbings sein.
2. Klagen oder Betriebsrat?
Natürlich kann der Betroffene prüfen, ob er gegen die Maßnahme arbeitsrechtliche Schritte unternehmen kann und will. Er könnte auch den Betriebsrat einschalten. Das fällt höheren Angestellten jedoch schwer.
- Gegen die Übertragung einer höherwertigen Aufgabe, gegen die Aufwertung in der betrieblichen Hierarchie wird kaum jemand klagen, auch wenn kein Arbeitnehmer verpflichtet ist, über seine vertraglichen Pflichten hinaus höherwertige Tätigkeiten zu verrichten. Der damit verbundene „Ritterschlag“ ist zu verführerisch. Da es sich um eine Versetzung handeln wird, muss der Betriebsrat zustimmen. Das dürfte aber kein Problem sein.
- Der Entzug von Entscheidungskompetenzen, Aufgabengebieten und von Kundenverkehr muss genauer betrachtet werden. Solange die Maßnahme sich im Rahmen des Arbeitsvertrags hält, kann der Arbeitgeber dies durch sein Direktionsrecht veranlassen, ohne dass die Arbeitsgerichte das zu beanstanden hätten. Auch der Betriebsrat wäre nicht tangiert. Führt der Entzug zu einer vertragswidrigen Minderung der Befugnisse, wäre eine Klage möglich. Da dann auch eine Versetzung vorliegen würde, müsste der Betriebsrat zustimmen.
- Die Degradierung zum „Frühstücksdirektor“ und „Vice-President“ ist zwar vertragswidrig, da sie in der Regel sogar mit einer Gehaltserhöhung verbunden ist, kann kaum sinnvoll mit einer Klage dagegen vorgegangen werden.
- Die Umsetzung in ein neues Arbeitszimmer ist zunächst kaum zu beanstanden, da ein Arbeitnehmer normalerweise keinen Anspruch auf ein bestimmtes Arbeitszimmer hat. Das kann in Unternehmen anders sein, in denen die Zimmergröße oder Art nach internen Regeln auch die Hierarchie abbilden soll. Die Versetzung in einen anderen Betrieb wäre vertraglich zu überprüfen, aber möglich, wenn der Arbeitnehmer für das ganze Unternehmen eingestellt wurde und die Versetzung nicht schikanös bzw. rechtlich nicht zu begründen ist. Bei einer dauerhaften Versetzung in den anderen Betrieb ist der örtliche Betriebsrat nicht mehr zu hören, da der Arbeitnehmer endgültig ausscheidet. Allerdings stellt die Versetzung für den Betriebsrat des aufnehmenden Betriebs eine mitbestimmungspflichtige Einstellung dar. Der Entzug des Intranets wäre sicherlich eine rechtswidrige Schikane und gerichtlich angreifbar.
- Die Übertragung geringerwertiger Tätigkeiten stellt in jedem Falle eine rechtswidrige Maßnahme dar und ist nicht durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt. Hier hat der Arbeitnehmer gute Chancen vor dem Arbeitsgericht und auch keinen Grund mehr zur Zurückhaltung. Außerdem sollte er auf alle Fälle den Betriebsrat einschalten, da es sich nicht nur um eine Schikane handelt, sondern auch um eine mitbestimmungspflichtige Versetzung.
3. Soziale Isolierung
Die Strategie der sozialen Isolierung wird weniger im Bereich es Vorgesetzten-Mobbings, Bossing etc. betrieben, sondern mehr im Bereich des horizontalen Mobbings, des Aufwärts-Mobbings oder des Rudel-Mobbings. Die Formen sind vielfältig.
Die einfachsten und gleichzeitig stärksten Formen bestehen darin, dass die Kollegen nicht mehr mit dem betreffenden Mitarbeiter sprechen, ihn einfach übersehen, er ist “Luft”.
Noch direkter und problematischer wird es, wenn die Kollegen für den Mitarbeiter nicht mehr ansprechbar sind, auf seine Ansprache hin nicht mehr reagieren, ihn scheinbar nicht hören, wegschauen. Die nächste Steigerung besteht darin, dem Kollegen mitzuteilen, daß man für ihn nicht zu sprechen ist.
Eine dezentere, gleichwohl wirksame Form des Mobbings ist die Ausgrenzung beim Mittagstisch, bei Kollegenrunden, das Meiden des Kollegen, ihn umgehen, Aufhören zu reden, wenn der Kollege ins Zimmer tritt.
Zu dieser Art des Mobbings gehört auch, dass der Betroffenen nicht mehr über Entwicklungen im Betrieb, über Anweisungen von Vorgesetzten, über Veränderungen und Informationen unterrichtet wird. Man hat ihn schlicht „vergessen“. Das kann ja passieren!
4. Angriff auf Person / Privatsphäre
Angriffe auf die Person sind vielfältig denkbar. Hagen lacht über Siegfried, den Stotterer und seine Behinderung. Isolde beschimpft Tristan wegen
Körpergeruchs, seiner Kleidung und seiner Frisur. In anderen Fällen wird die Figur und das Körpergewicht in den Mittelpunkt gestellt (“Die fette …”).
Solche Strategien können so weit gehen, dass verächtliche Mienen gezogen werden bei Erscheinen. In einem gerichtlichen Fall wurde stets auf den Boden gespuckt, wenn der Betreffende vorbeiging.
Angriffe auf die Privatsphäre des Betroffenen sind noch massiver als Beleidigungen, Hänseleien im Betrieb etc., z.B. Spott über den Ehepartner, die angeblich missratenen oder schulschwachen Kinder des Kollegen, die schlechte Wohngegend, die dubiosen Freunde des Betreffenden oder seine problematische soziale Herkunft, seine ungehobelten Verwandten, seine kriminellen Geschwister etc.
5. Aggression
Aggressionen können verbal zu Mobbing-Tatbeständen führen, wenn sie fortwährend stattfinden, z.B. Drohungen, Anschreien, unangemessener Ton, aber auch Demütigungen vor anderen. Aggressionen durch Tätlichkeiten können bei fortgesetztem Handeln Mobbing darstellen.
Schwieriger zu behandeln sind die Aggressionen, die z.B. durch Spott oder überzogene Freundlichkeit an den Tag gelegt werden.
6. Gerüchte / Verleumdung
Eine durchaus erfolgreiche und auch beliebte Möglichkeit des Mobbings besteht darin, jemanden durch das Streuen von Gerüchten, durch das Anhängen von Verdächtigungen zu mobben. Gerüchte können sich sowohl auf das Privatleben beziehen, auf Liebschaften, auf angebliche finanzielle Schwierigkeiten, sexuelle Abartigkeiten, schlechten Umgang etc.
Zu dieser Form des Mobbings gehört auch insbesondere das Lächerlich machen bestimmter Personen. Dies kann sehr wirksam beim “Aufwärts-Mobbing” sein, indem Vorgesetzte z.B. wegen ihres Aussehens, wegen ihrer Kleidung, ihrer Tollpatschigkeit oder ihrer Strenge, ihres außerbetrieblichen Umgangs, ihrer komischen Hobbys etc. lächerlich gemacht werden.
7. Typische Ablaufszenarien
Mobbing beginnt in vielen Fällen zunächst völlig harmlos, scheinbar fachlich begründet, verdeckt, scheinbar spaßig. Es kann auch mit Versprechern und mit entsprechenden nachfolgenden Entschuldigungen beginnen, die sich immer wieder häufen.
Denkbar sind auch Maßnahmen der Verwirrungstaktik (“wer hat dem Kollegen die tote Katze auf den Schreibtisch gelegt”, oder “wieso ist immer der Papierkorb des Kollegen X verschwunden, wer war das” etc.). Nach diesen zunächst nicht als Mobbing zu bezeichnenden und zu erkennenden Anfängen nimmt der Druck auf das Opfer langsam zu.
8. Folterkammerprinzip
Die Zermürbungstaktik wird zunehmend offener ausgetragen.
Erst in diesem Stadium erkennt das Opfer in der Regel den Anfang einer Bedrohung. Oft will das Opfer die Realitäten gar nicht wahrhaben, um sich nicht der Wahrheit, den Druck stellen zu müssen. Für das Opfer bedeutet die Wahrnehmung der Realität auch, dass es gezwungen ist, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, betriebsöffentlich zu werden etc. Gegen solche Maßnahmen spricht aber sehr oft das Harmoniebedürfnis des Opfers.
Wenn dann das Opfer tatsächlich Gegenmaßnahmen ergreift und sich beschwert, läuft es Gefahr, von dem Vorgesetzten oder den
Kollegen als Störenfried, als Gespensterseher, als hysterisch, überempfindlich etc. abqualifiziert zu werden. Dem Opfer wird dann klar gemacht, was ihm als Querulant alles drohen kann, wenn er sich wehrt.
Wegen dieser Gefahr, insbesondere aber wegen des oft vorhandenen Harmoniebedürfnisses wird von Mobbing-Opfern durchaus nicht immer reagiert.
Im nächsten Stadium verschlechtert sich dann der Gesundheitszustand des Opfers. Die Krankheitssymptome haben allerdings regelmäßig mit dem Druck am Arbeitsplatz wenig zu tun. Schließlich hält das Opfer dem Druck nicht mehr stand und reagiert.
Die Reaktion kann in zweifacher Weise erfolgen. Entweder findet aktive Gegenwehr statt. Dann besteht die Gefahr der Überreaktion. Bei Überreaktion muss das Opfer mit Abmahnung und Kündigung rechnen (“darauf warten wir nur”).
Die andere Art der Reaktion ist mehr passiv, d.h. die Flucht in die Krankheit oder das Versagen bei einfachsten Arbeiten, Steigerung der Fehlerquote und letztendlich die Eigenkündigung oder Auflösungsvertrag.