Folge 118

Mobbing IV – Arbeitsrechtlicher Mobbing-Begriff



Der Fall:


    Operettenchef Gotthilf Schiffer leidet unter seinen Mitarbeitern. Die Chormitglieder George Harrison und Ringo Starr fühlen sich von Harry Bellafonte
    gemobbt. Die Solisten Peter Alex und Roy Black ertragen den Termindruck nicht mehr. Maria Callas versagt die Stimme, wenn sie Gotthilf nur sieht. Die Erste Geige Yoko Duo ist depressiv geworden. Die Krankenquote
    im Ensemble steigt. Was ist zu tun?



Die Lösung:



1. Modebegriff


    Mobbing ist ein Phänomen, das tatsächlich in den Betrieben vorhanden ist. Gleichwohl ist der Begriff “Mobbing” mittlerweile zu einem modischen Begriff
    geworden: Dieser Begriff ist ähnlich schillernd und schwammig, undifferenziert und vielschichtig wie in der Medizin der Begriff “Rheuma”. Er ist zu einem Sammelbegriff geworden.

    Es ist deshalb wichtig, den
    Begriff zu präzisieren. Ein gesetzlich definierter oder juristischer Begriff des “Mobbing” existiert wegen der Vielfalt der Erscheinung bisher nicht. Die arbeitsrechtliche Rechtsprechung sowie Wissenschaft
    versuchen jedoch mehr oder weniger tastend den Begriff auf seine Tiefe zu ergründen und anhand von einzelnen Phänomenen juristisch festzumachen.



2. Der arbeitsrechtliche Stand


    Der arbeitsrechtliche Begriff des Mobbing bezeichnet Verhaltensweisen, die für sich alleine genommen und isoliert gesehen nicht zwangsläufig eine
    Rechtsverletzung, einen Arbeitsvertragsverstoß oder gar eine Straftat beinhalten.

    Es ist deshalb wichtig, die bisher schon erfaßten Arbeitsvertragsverletzungen oder gar Straftaten im Betrieb, wie
    Beleidigungen, Gewalttaten, Körperverletzungen, Vergewaltigung etc. vom Mobbing-Begriff zu trennen. Zwar kann im Rahmen eines Mobbings auch eine solche offenkundige schwere Vertragspflichtverletzung vorkommen.
    Allerdings wäre es falsch, Vertragsverletzungen, die letztendlich in den strafrechtlichen Bereich weisen, generell dem Mobbing zuzuordnen. Es fehlt regelmäßig insoweit an dem Merkmal der systematisch
    fortgesetzten und betriebenen Abwertung eines Arbeitskollegen.

    Der arbeitsrechtliche Begriff des Mobbing umfaßt grundsätzlich systematische, fortgesetzte, aufeinander aufbauende und miteinander verzahnte
    Verhaltensweisen. Diese Verhaltensweisen können für sich genommen zunächst völlig harmlos sein. In ihrer fortgesetzten Handlungsweise und in ihrer Häufig bzw. Steigerung haben sie jedoch eine Diskriminierung,
    eine Demütigung, Ausgrenzung, Schikane, Zermürbung oder gar Anfeindung zum Inhalt.



3. Zielsetzung von Mobbing


    Der Zweck von Mobbing oder seine Zielsetzung ist jeweils in seiner Gesamtheit nicht von der Rechtsordnung gedeckt. Die Handlungen verletzen in ihrer
    Häufung oder Gesamtheit das Persönlichkeitsrecht anderer Menschen oder sonstiger geschützter Rechte wie Ehre, Gesundheit, psychische Integrität. Die Einzelhandlung für sich genommen allerdings muß eine solche
    Verletzungshandlung nicht beinhalten!



4. Kein Plan


    Entgegen immer wieder geäußerter Einschätzung muß für das arbeitsrechtlich zu wertende Mobbing kein vorgefaßter Plan, keine ausgearbeitete Strategie
    vorliegen, um jemanden zu schädigen oder fertig zu machen. Solch ein Plan wäre zumeist auch gar nicht nachzuweisen, allenfalls zu vermuten.

    Ein solcher “teuflischer Plan” gegen eine bestimmte Person ist in
    den meisten Fällen auch gar nicht von Anfang an vorhanden. Es reicht völlig aus, wenn sich die Sache zunächst entwickelt und die Verletzungshandlungen immer wieder fortgesetzt werden unter Ausnützung der
    Gegebenheiten im Betrieb, der Reaktion der Betroffenen und der Mitwirkung oder der Reaktion der Kollegen.


    Beispiel:

    Normale Hänseleien, spöttische Äußerungen, Späßchen oder zweideutige Anmerkungen beginnen regelmäßig nicht mit einem vorgefaßten Plan. Sie stellen für sich alleine genommen auch noch kein Mobbing dar, sind im Einzelfall harmlos, allenfalls unangenehm.

    Die wiederholte Fortsetzung dieser Handlungen jedoch mit dem selben Kollegen können zu Mobbing führen, wenn diese Hänseleien etc. in ihrer Häufung oder Steigerung dann ein adäquates Maß überschreiten und den
    Kollegen aus der Gesamtheit der Mitarbeiter in der Abteilung etc. herausheben oder gar isolieren. In jedem Fall ist das Maß von Mobbing dann überschritten, wenn die Bemerkungen von dem betroffenen Kollegen
    erkennbar nicht mehr als Spaß aufgefaßt werden und er sich darüber erkennbar ärgert oder gar um die Beendigung dieser Verhaltensweisen bittet. Spätestens dann stellt die Fortsetzung der Beeinträchtigungen ein
    ernstzunehmendes Mobbing dar.



5. Kein Mobbingtatbestand


    In diesem Sinne kann arbeitsrechtlich nicht von Mobbing gesprochen werden, wenn ein Konflikt sich wechselseitig entwickelt, wenn dieser Konflikt durch
    die beteiligten Parteien gesteigert und wechselseitig hochgeschaukelt wird.


    Beispiel 1:

    Der Arbeitgeber beauftragt eine Mitarbeiterin, etwas bestimmtes zu tun. Diese weigert sich. Der Arbeitgeber besteht darauf. Sie weigert sich wieder. Der Ton wird schriller. Der Arbeitgeber droht mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen. Die Mitarbeiterin wirft dem Arbeitgeber vor, daß er sie ohnehin nicht leiden könne.


    Beispiel 2:

    Ein Mobbing liegt insbesondere auch dann nicht vor, wenn Vorgesetzte oder Arbeitgeber arbeitsrechtlich korrekte, notwendige und adäquate Maßnahmen durchführen und bestimmte vertraglich geschuldete Anforderungen an die Arbeitnehmer richten. So manche angeblich gemobbte Arbeitnehmer verkennen dies und meinen, daß dann, wenn ihre arbeitsvertraglich geschuldete Leistung auch tatsächlich gefordert und verlangt wird, sie schon gemobbt würden.


    Beispiel 3:

    Alleine die Anweisung, arbeitsvertraglich geschuldete, aber unangenehme Arbeiten durchzuführen, ist kein Mobbing. Auch eine Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz im Rahmen des Direktionsrechts, der Hinweis auf Fehler oder Schlechtleistung der Mitarbeiter, arbeitsrechtliche Mahnungen und Abmahnungen sind kein Mobbing. Vielmehr fordert die Rechtsprechung vom Arbeitgeber und den Vorgesetzten bei Schlechtleistung, Fehlverhalten und Konflikten solche Maßnahmen und arbeitsrechtliche Schritte, um dem Mitarbeiter zu helfen, bestimmte Fehler und Fehlverhaltensweisen auszuräumen.

    Es muß dem Arbeitgeber und dem Vorgesetzten möglich sein, Mißstände im Betrieb, Fehlverhaltensweisen, Fehler etc. auf sozialadäquate Weise anzusprechen, zu rügen und ggf. mit entsprechendem Nachdruck zu
    beseitigen. Wer hier als betroffener Arbeitnehmer den Mobbing-Vorwurf erhebt, benutzt den Mobbing-Begriff falsch und mißbräuchlich.

    Soweit also die Sängerin Maria Callas ihren Chef Gotthilf Schiffer des
    Mobbings beschuldigt, weil er sie schon zwei Mal aufgrund ihrer Unpünktlichkeit gerügt hat und sie ermahnte, pünktlich zur Probe zu kommen, liegt sie falsch. Es handelt sich dabei nicht um Mobbing. Es ist kein
    Mobbing, sondern die arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitgebers. Außerdem erfordert die Fürsorgepflicht gegenüber den anderen Arbeitnehmern, daß der Arbeitgeber in solchen Fällen einschreitet. Gleiches gilt
    für die Abmahnung des Arbeitgebers. Wenn er mit dem Umgangston des Mitarbeiters nicht einverstanden ist, kann er dies rügen, ermahnen oder im Einzelfall abmahnen. Sollte Maria Callas mit der Abmahnung nicht
    zufrieden sein, könnte sie diese Abmahnung beim Arbeitsgericht überprüfen lassen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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