Der Fall:
Sängerin Maria Callas fühlt sich von Arbeitskollegen und dem Arbeitgeber gemobbt. Opernchef Gotthilf Schiffer hat sie schon mehrfach ermahnt, weil sie
sich als Diva das Recht herausnimmt, zu spät zu den Proben zu erscheinen. Außerdem hat er sie einmal abgemahnt wegen schrillen Umgangstons. Die Solisten Roy und John Lemon schauen sie immer gierig an und pfeifen
beim Vorübergehen. Bühnenarbeiter Jerry Cotton lacht, wenn er sie sieht und verbeugt sich scheinbar spöttisch. Ist das Mobbing? fragt sich Maria Callas.
Die Lösung:
1. Mobbing in der heutigen Arbeitswelt
Die Arbeitszeit hat sich in den letzten 10 Jahren deutlich verändert. Die Klagen über schlechtes Arbeitsklima, verstärkten Konkurrenzdruck häufen sich.
Von Solidarität der Arbeitnehmer untereinander redet kaum mehr jemand. Der Betrieb als Heimat der Arbeitnehmer, die Belegschaft als Gemeinschaft, als identitätsstiftende Einrichtung hat immer mehr ausgedient.
In den Betrieben erhöht sich die Umlaufgeschwindigkeit, auch der Arbeitnehmer beim Arbeitsplatzwechsel. Der Egoismus des einzelnen ist immer stärker in den Vordergrund getreten. Der Kampf um die eigenen Vorteile
verdrängt die Fairness.
Noch vor 10 Jahren war Betriebstreue und Verläßlichkeit eins der höchsten Güter der Arbeitswelt. Je länger die Betriebszugehörigkeit, umso höher das Ansehen.
Heute sind z.B. 20
Jahre Betriebszugehörigkeit verdächtig. Wer so lange da ist und vielleicht 50 Jahre alt, ist weniger ein “Held der Arbeit”, als vielmehr ein versteinerter “Quastenflosser”, vergreister Besserwisser, Hemmklotz
und Fußkranker in der globalisierten Arbeitswelt, nicht mobil, nicht flexibel, nicht mehr vermittelbar.
In diesem veränderten Klima ist auch das Thema “Mobbing am Arbeitsplatz” als Phänomen der neuen
Arbeitswelt immer mehr in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gelangt. Es gibt zunehmend Prozesse an den Arbeitsgerichten wegen dieser Phänomene.
Die Mobbing-Opfer wechseln, es können Arbeitskollegen
untereinander sein, aber auch Vorgesetzte oder Arbeitgeber.
Die im Rahmen von Mobbing mittlerweile gehandelten Zahlen sind nur schwer überprüfbar, aber symptomatisch:
– 1,5 Mio. gemobbte Arbeitnehmer
– Mobbing als Ursache für ca. 10 % aller Selbstmorde
– Mobbing-Schäden von 15 – 50 Mrd. Euro jährlich der deutschen Wirtschaft.
2. Folge: Verlust des Selbstwertgefühls
Trotz der Veränderungen der Arbeitswelt ist das Arbeitsverhältnis nicht nur Verdienstquelle. Das Arbeitsverhältnis und die Betriebsgemeinschaft ist nach
wie vor ein wesentlicher Teil des Lebens der Arbeitnehmer. Dies gilt sowohl vom zeitlichen Umfang, wie auch inhaltlich. Das Selbstwertgefühl vieler Arbeitnehmer wird nach wie vor zu einem wesentlichen Teil durch
das Arbeitsverhältnis und die Arbeitswelt geprägt und erhalten.
Echtes oder vermeintliches Mobbing führt dabei zu einem stetigen Abbau des Selbstwertgefühls bis hin zum völligen Verlust und zu einer
Traumatisierung.
Es ist Aufgabe sowohl des Arbeitgebers wie der Betriebsräte, aber auch der Vorgesetzten und aller Arbeitnehmer, sich mit diesen Phänomenen im Betrieb auseinanderzusetzen. Leider wird das
Problem oft verdrängt. Ursachenerforschung ist schmerzlich und unterbleibt deshalb oft.
Mobbing kann zunächst nur an seinen Symptomen festgemacht und dann bekämpft werden. Die Ursachen von Mobbing werden oft
zunächst nur vordergründig festgemacht. Letztendlich aber steckt hinter Mobbing-Phänomenen in Betrieben regelmäßig ein tiefliegender, genereller Wertewiderspruch zwischen einzelnen Arbeitnehmern, zwischen
Arbeitnehmer und Vorgesetztem oder umgekehrt bzw. zwischen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer. Da dieser Wertewiderspruch nicht gelöst wird, versuchen die Betroffenen ihr Problem durch Hilfs- und Ersatzhandlungen zu
lösen, die dann als Mobbing empfunden oder erkannt werden.
Es genügt also nicht, bei dem Kampf um Respekt und Selbstwertgefühl die offenkundigen, unmittelbaren Konflikte zu analysieren und zu lösen. Es muß
vielmehr gefragt werden, was hinter einem offenkundigen Konflikt, Streit etc. als Grundkonflikt wirklich steckt.
3. Beispiele
Beispiel 1:
Ein Arbeitnehmer ist den Arbeitskollegen in der Abteilung oder Gruppe zu langsam oder zu unbeholfen, oder er macht zu viele Fehler.
Die Arbeitskollegen ärgern sich über ihn, wissen aber, daß sie an seiner Langsamkeit oder seiner Unkonzentriertheit nichts ändern können.
Dieser Mitarbeiter wird dann in Form von “Späßchen” gehänselt. Die
Kollegen machen sich über seine Kleidung und seine Hobbies lustig. Je mehr der Betroffene sich ärgert, umso offener werden die Hänseleien. Wer ihn sieht, lacht, behandelt ihn übertrieben höflich etc.
Dieser
Konflikt ist nur zu lösen, wenn die wahre Ursache erkannt wird, nämlich die Unzufriedenheit der Kollegen über die Langsamkeit und mangelnde Arbeitsleistung des Betroffenen.
Beispiel 2:
Der Abteilungsleiter will eine Mitarbeiterin aus einer anderen Abteilung an die Stelle seiner Sekretärin bekommen. Dies kann private, menschliche, aber auch arbeitstechnisch bedingte Gründe haben. Seine Sekretärin ist entweder nicht versetzbar oder will nicht gehen. Nunmehr beanstandet der Abteilungsleiter das Verhalten der Sekretärin, ihre Arbeitsleistung, ihre Kleidung, ihr Benehmen etc.
Das wirkliche Problem ist aber nicht die Arbeitsleistung, das Benehmen etc. Der Konflikt kann nur gelöst werden, wenn die eigentliche Ursache offengelegt, besprochen und ggf. eine organisatorische Maßnahme
vom Arbeitgeber ergriffen wird.
Beispiel 3:
Ein neuer Abteilungsleiter schafft in seiner Abteilung die bisherigen illegalen Kaffee- und Schwatzpausen ab. Er besteht darauf, daß pünktlich bis zum Schluß gearbeitet wird, die Arbeit nicht schon 30 Minuten vor Arbeitsende eingestellt wird. Er will ein Bewertungssystem zur Leistungssteigerung in der Abteilung einführen.
Die Untergebenen fangen an, Dienst nach Vorschrift zu leisten, grüßen ihn nur noch, wenn Abteilungsfremde dabei sind, beschweren sich beim Chef über den angeblich rüden Umgangston, verbreiten Gerüchte über
angebliche Liebesverhältnisse und Annäherungsversuche, über Körpergeruch und angebliche Gesundheitsprobleme des Vorgesetzten.
Auch dieser Konflikt beruht auf einem Wertewiderspruch zwischen den Untergebenen,
die weiter ein lockeres Arbeitsleben führen wollen und dem Vorgesetzten, der eine andere Pflichtauffassung besitzt.
Sängerin Maria Callas muß in unserem Fall also sich fragen, warum sie z.B. die Solisten Roy
und John Lemon, aber auch der Arbeiter Jerry Cotton scheinbar oder tatsächlich so unangemessen behandeln. Eine entsprechende Beschwerde über deren Verhaltensweisen könnte zwar zu einer Änderung in diesem Punkt
führen. Der eigentliche Konflikt aber wäre nicht gelöst. Die Änderung würde nur dazu führen, daß neue Probleme, vielleicht auf anderen Gebieten, entstehen.