Folge 116

Mobbing II: Faktoren der Gefährdungen

(Stand 2025)



Der Fall:


Operettenchef Gotthilf Schiffer und seine Mitarbeiter leiden unter Stress, psychischer Beanspruchung, psychischer Ermüdung und Belastung, Mobbing, bis hin zu Depressionen. Gotthilf Schiffer fragt sich, welche Faktoren diese psychischen Belastungen und Gefährdungen in seinem Betrieb eigentlich auslösten. Nur wenn dies festgestellt ist, kann eine Änderung bewirkt werden.



Die Lösung:



1. Betriebliche “harte” Belastungsfaktoren


Am einfachsten zu handhaben sind die Belastungsfaktoren, die unmittelbar von der Betriebsstätte, den Maschinen und den Arbeitsbedingungen vor Ort
verursacht werden. Diese Ursachen können zumindest durch Fachleute relativ schnell erkannt, festgestellt oder gemessen werden. Bei den meisten dieser Faktoren kann durch technische Maßnahmen Abhilfe geleistet
werden.

Zu solchen sog. harten Belastungsfaktoren zählen z.B. schweres Heben, falsche Raumtemperatur, Zugluft, zu hoher Lärm.

Dazu zählen insbesondere auch die falsche Platzierung eines Computers im Raum (Tageslichteinfall), nicht computergerechte Möbel, falsche Beleuchtung, zu schnelle Arbeitstakte, zu große Monotonie am Arbeitsplatz, mechanische Gesundheitsbelastungen jeglicher Art, ungünstige, belastende
Arbeitszeiten.

Zu diesen harten Belastungsfaktoren zählt aber auch die mangelnde Bereitschaft vieler Arbeitnehmer, die notwendigen Schutzvorrichtungen zu benutzen oder zu tragen, z.B. den Schutzhelm, den Gehörschutz, die Schutzbrille, die Sicherheitsschuhe.



2. Soziale Gefährdungsfaktoren


In vielen Unternehmen ist die Wichtigkeit des Personalmanagements noch nicht ausreichend erkannt. Innerbetriebliche Qualifikationsmöglichkeiten,
Aufstiegsmöglichkeiten und die Möglichkeit zur Verbesserung der eigenen beruflichen Position zählen dazu.

Dazu gehört aber auch die Ermöglichung von Arbeitszeitveränderungen bei familiären Gründen, z.B. die Reduzierung von Vollzeit auf Teilzeit oder umgekehrt, ggf. auch eine familiengerechte Lage der Arbeitszeit.

Am wichtigsten unter den sozialen Bedingungen ist das soziale Betriebsklima. Psychische Probleme werden leicht ausgelöst durch häufige Konflikte zwischen den Arbeitskollegen, zwischen Vorgesetzten und Untergebenen.

Ein Manko in vielen Betrieben ist auch die mangelnde Beachtung von Vorschlägen der Beschäftigten, fehlende Anerkennung, fehlendes Lob (schwäbischer Spruch: “nichts gesagt, ist genug gelobt”!).

Schließlich kann das Betriebsklima durch vermeintliches oder echtes Mobbing erheblich beeinträchtigt werden und zu psychischen Beeinträchtigungen sowie Krankheiten führen.



3. Arbeitstätigkeit / Qualifikation


Psychische Gefährdungen bei der Verrichtung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit entstehen u.a. dann, wenn Arbeitnehmer entweder unterfordert werden, insbesondere nicht entsprechend ihrer Qualifikation und Fähigkeiten im Betrieb eingesetzt und gefordert sind. Die selbe Folge kann aber auch eintreten, wenn Mitarbeiter überfordert werden durch zu schwierige Tätigkeiten, durch ungenügende Schulung, z.B. im Bereich der Software, durch zu hohen Arbeitsdruck, Arbeitsverdichtung und immer schnellere Zeittakte.

Weitere Auslöser können unklare Verantwortlichkeiten, fehlender Informationsfluss, fehlende Kompetenz bei Vorgesetzten oder Kollegen sein. Die fehlende Transparenz von Arbeitsabläufen mindert die Freude an der Arbeit und führt zu Frust, fehlende soziale Kontakte oder Fachgespräche, zu hoher Zeitdruck und daraus folgend Defizite im betrieblichen Sozialverhalten.

Psychische Gefährdungsfaktoren finden sich mittlerweile auch im Zusammenhang mit „Home Office“. Seitdem durch Corona gezwungener Maßen das vormals verpönte Home Office weit verbreitet wurde, ist einerseits die Zahl der Arbeitnehmer, die Home Office wünschen stark angestiegen. Andererseits ist die Zahl der Vorgesetzten und Arbeitgeber, die Home Office wieder abbauen oder minimieren wollen nach Corona ebenfalls stark gestiegen.

Sofern Home Office organisatorisch möglich erscheint, aber nicht oder nicht mehr von Seiten der Verantwortlichen gewährt wird, steigt der Stress und Frust bei den betroffenen Mitarbeitern und damit die psychische Belastung.

Zudem kann gerade auch Home Office psychische Probleme bis hin zur Erkrankung verursachen. Durch zu lange Abwesenheitszeiten von der Betriebsstätte und den Kollegen treten soziale Isolierung und mangelnder Informationsaustausch auf.

Viele Arbeitgeber haben die Home Office-Phase auch genutzt, um massiv vorhandenen Büroraum und konkrete Arbeitsmöglichkeiten im Betrieb abzubauen. Den Mitarbeitern wird kein fester Arbeitsplatz mehr geboten, sondern z.B. nur noch ein Rollcontainer mit der Anweisung, selbst einen freien Platz zu suchen. Das kann zu einer Entfremdung einzelner Mitarbeiter führen, die Betriebsgemeinschaft zerbricht durch die unterschiedlichen Arbeitszeiten und Örtlichkeiten. Auch solche Entwicklungen können psychische Erkrankungen befördern.



4. Organisatorische Faktoren


Zu psychischem Stress und zu Gefährdungen führen u.a. eine falsche oder stritte oder schwierige Organisation des Arbeitsablaufs, eine nicht einleuchtende Organisation und mangelhafte Transparenz, fortwährende Störungen des Arbeitsablaufes durch inner- oder außerbetriebliche Faktoren, häufiges Abberufen während der Durchführung einer Aufgabe, übermäßiger Telefonstress, unnötige und ineffektive „Meetings“, unregelmäßiger Arbeitsanfall mit hohem Stress in den Spitzenzeiten.

Für viele Arbeitnehmer ist die korrekte Einhaltung der Arbeitszeit von erheblicher Bedeutung. Deshalb sind Störungen in der Arbeitszeit besonders ernst zu nehmen. Ein massiver Stressfaktor ist die Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Ruhe- und Kurzpausen. Dies gilt insbesondere bei Tätigkeiten mit hoher Konzentration, die dann
nachlassende Konzentration und daraus entstehende Fehler erhöhen noch die psychischen Gefährdungen. Häufige und vor allem unregelmäßige Überstunden können zur innere Arbeitsverweigerung mit entsprechender
psychischer Belastung führen, aber auch die mangelnde Rücksichtnahme bei der Arbeitszeit und bei Überstunden auf soziale und familiäre Verpflichtungen der Mitarbeiter sowie auf deren berechtigtes
Freizeitverhalten.

Gerade bei Home Office ist die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen und gesundheitlich sehr wichtigen Pausen höchst problematisch. Die Vorgesetzten meinen, dass zu viele oder zu lange Pausen gemacht werden, die Mitarbeiter meinen, dass sie durch den Arbeitsdruck nicht mehr die erforderlichen Auszeiten einhalten können.

Ein besonderes, die Psyche sehr beeinträchtigendes Problem bei Home Office sind die unregelmäßigen Arbeitszeiten. Home Office hat den Vorteil, dass die Mitarbeiter ihre Arbeit relativ frei nach den häuslichen und familiären Gegebenheiten einrichten können. Das führt aber zu unregelmäßigen Arbeitszeiten und in vielen Fällen auch zu Nachtarbeit, was sich auf die Dauer durch den bestehenden Arbeitsdruck in einem schleichenden Vorgang psychisch belastend auswirken kann, ohne dass die Mitarbeiter dies zunächst als Belastung ansehen. Treten dann aber entsprechende Krankheitssymptome auf, ist es oft schon fast zu spät. Zudem werden durch diese Arbeitsweisen auch die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten von 11 Stunden nicht eingehalten.

Diese Vorgänge stellen noch kein Mobbing dar, sind aber als Vorstufen ernst zu nehmen, zumal dann noch die Mitbestimmung des Betriebsrat bei der Gestaltung der Arbeitszeit und der Ableistung von Überstunden nach § 87 Abs.2 und 3 BetrVG völlig „unter die Räder“ kommen kann.



5. Fazit


Mobbing ist im Arbeitsleben sicherlich ein Stressfaktor und ein Grund, der Probleme im Betrieb schafft und die Freude der Mitarbeiter an der Arbeit
mindert. Mobbing ist aber nur ein Faktor unter vielen Faktoren, die zu psychischen Belastungen, zu Fehlern bei der Arbeit und letztlich zu psychischen Erkrankungen führen können. Aus diesem Grund hat
Operettenchef Gotthilf Schiffer mit seinem Betriebsrat und jedenfalls mit seinen Mitarbeitern ausreichend Grund, nach den Ursachen der psychischen Belastungen in seinem Betrieb zu suchen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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