Folge 111

Lohngrundsätze III – Tarifverträge



Der Fall:


    Arbeitgeber Gottfried Herder betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit mehreren Filialen. Der Filialleiter Goethe leitet die Filiale Weimar mit 15
    Angestellten. Filialleiter Schiller in Jena hat 12 Angestellte. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge des Einzelhandels Anwendung.

    Wegen der konsumschwachen Weimaraner muß Herder die
    Filiale Weimar verkleinern. Es erfolgt dadurch eine Personalreduzierung auf zukünftig 7 Mitarbeiter. In Jena dagegen boomt dank Cleverle Späth die Wirtschaft und der Konsum. Die Filiale Jena wird noch vergrößert.

    Wegen der Verkleinerung der Filiale Weimar kürzt Arbeitgeber Herder das Gehalt von Goethe um 700 Euro brutto monatlich. Als die fürsorgliche Frau von Stein deshalb bei Herder heftig protestiert, beruft sich
    dieser auf den Tarifvertrag. Der sieht die Gehaltskürzung bei Filialen mit weniger als 8 Arbeitnehmern vor. Herder meint, daß eine Änderungskündigung nicht nötig sei. Goethe macht vor dem Arbeitsgericht einen
    Verstoß gegen Verfassung und zwingende Gesetze geltend. Außerdem sei der Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber Schiller verletzt.



Die Lösung:



1. Geltung der Tarifverträge


    Tarifverträge können im Arbeitsverhältnis aufgrund unterschiedlicher Rechtsregeln wirksam sein. Zum einen kann die Geltung bestimmter Tarifverträge im
    Arbeitsvertrag vereinbart sein.

    Zum anderen gelten Tarifverträge normativ und zwingend, d.h. wie ein Gesetz, dann, wenn der Arbeitnehmer in der zuständigen Gewerkschaft und der Arbeitgeber im zuständigen
    Arbeitgeberverband ist. Eine normative Wirkung der Tarifverträge liegt auch dann vor, wenn Tarifverträge durch das zuständige Ministerium für allgemeinverbindlich erklärt wurden.

    Im vorliegenden Falle fanden
    die Tarifverträge aufgrund der Gewerkschaftsmitgliedschaft von Goethe und Schiller (Verdi) und der Mitgliedschaft von Herder im Einzelhandelsverband zwingend normativ Anwendung (Einzelhandel).



2. Entgelttarifvertrag


    Im Gehaltstarifvertrag Einzelhandel ist für Filialleiter eine unterschiedliche Vergütungshöhe vorgesehen, je nach Größe der Beschäftigtenzahl der
    Filiale. Ab 8 Arbeitnehmer erhöht sich die Vergütung um monatlich 700 Euro.

    Dies Tarifnormen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Es liegt kein Verstoß gegen höherrangiges oder zwingendes Gesetzesrecht vor.

    Die Tarifvertragsparteien haben im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung bei der Regelung von Arbeitsbedingungen Gestaltungsfreiheit und Spielräume, die von der Rechtsprechung zu beachten sind. Zwingende
    Gesetze allerdings müssen auch die Tarifvertragsparteien einhalten.

    Die Staffelung der Gehälter von Führungsangestellten nach der Zahl der Untergebenen und der Verantwortung ist sachgerecht und durch die
    Rechtsordnung nicht zu beanstanden. Goethe irrt insoweit.



3. Keine Änderungskündigung


    Die Absenkung der Vergütung von Goethe ist eine automatische Folge der Verkleinerung seiner Filiale in Weimar. Der Arbeitsvertrag von Goethe wie auch das
    zugrundeliegende Tarifvertragswerk ist durch die unternehmerische Maßnahme von Herder nicht verändert worden. Eine Änderungskündigung war deshalb nicht notwendig.

    Die Verringerung der Vergütung ist vielmehr
    die automatische Folge der unternehmerischen Maßnahmen von Herder. Die Absenkung des Gehalts durch Herder stellt lediglich einen Vollzug des Tarifvertrages dar.

    Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, die für
    eine tarifvertraglich vorgesehene tatsächliche Änderung der Arbeitsbedingungen zwingend den Ausspruch einer Änderungskündigung im Sinne von § 2 KSchG vorschreibt. Vielmehr können nach der Rechtsprechung des
    Bundesarbeitsgerichts Tarifverträge vorsehen, daß der Arbeitgeber ohne Änderung des Arbeitsvertrages dem Arbeitnehmer andere Tätigkeiten zuweist, die eventuell sogar einer niedrigeren Vergütungsgruppe angehören.
    Auch eine solche tarifliche Regelung wäre mit der geltenden Rechtsordnung vereinbar und widerspricht nicht dem staatlichen Gesetzesrecht.

    Vorliegend wurde Goethe keine andere Tätigkeit zugewiesen. Seine
    Tätigkeit und seine grundsätzliche Verantwortung blieb. Arbeitsvertraglich schuldet Goethe dem Arbeitgeber eine Tätigkeit als Filialleiter. Im Arbeitsvertrag ist aber nicht festgelegt, daß Goethe einen Anspruch
    auf eine Filiale mit regelmäßig mehr als 8 unterstellten Vollzeitbeschäftigten und damit auf eine bestimmte Vergütung besitzt.

    Da ein solcher Anspruch auf eine bestimmte Beschäftigtenzahl und damit eine
    entsprechende Vergütungsstaffeln nicht besteht, war eine Änderungskündigung nicht erforderlich. Der Arbeitsvertrag der Partien ist durch die Verkleinerung der Filiale nicht geändert worden.


    Achtung:

    Etwas anderes würde gelten, wenn die Vertragsparteien ausdrücklich eine bestimmte Mindestgröße der Filiale festgelegt hätten. Dann hätte Goethe einen vertraglichen Anspruch auf eine Mindestbeschäftigtenzahl und die erhöhte Vergütung.



4. Rechtsmißbrauch / Manipulation


    Der Einwand von Goethe, daß Herder ihn und nicht sein Lieblingskind Schiller boshaft manipuliert habe, entbehrt jeder Grundlage. Herder würde sich als
    Arbeitgeber selbst schaden, wenn er den Personalbestand ohne Sachgrund so massiv abbaut, nur um das Gehalt von Goethe abzusenken. Grundsätzlich muß davon ausgegangen werden, daß auch der Unternehmer Herder
    optimale Umsätze und entsprechende Gewinne erzielen will. Im übrigen muß sich Goethe entgegenhalten lassen, daß der Mißerfolg seiner Filiale auch von seiner Tätigkeit als Marktleiter mitbeeinflußt wurde.



5. Vertrauenstatbestand / Gleichbehandlung

/ Besitzstand?


    Einen Vertrauenstatbestand von Arbeitnehmern auf eine bestimmte überdurchschnittliche Gehaltshöhe etc. gibt es nicht. Auch wenn die Filiale Weimar lange
    Zeit 15 Arbeitnehmer hatte, kann Goethe nicht darauf bestehen, daß dies bleibt.

    Sieht der Tarifvertrag gestaffelte vor, so gibt es insoweit keinen Vertrauenstatbestand dahin, daß stets die höhere Staffel für
    den Arbeitnehmer im Wege der Besitzstandswahrung garantiert ist.

    Auch der Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz geht fehl. Nur Gleiches muß gleich behandelt werden. Die Filiale Jena läuft, vielleicht
    auch aufgrund des Einsatzes von Schiller, besser. Da Schiller für die doppelte Arbeitnehmeranzahl die Verantwortung trägt, ist sein höheres Gehalt auch sachlich gerechtfertigt.

    Ergebnis: Goethe ist wieder einmal der Verlierer.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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