Folge 106

Kündigung bei Schwangerschaft – Verlust des Benachrichtigungsbriefes auf dem Postweg



Der Fall:


    Der sangesfreudige Gastwirt Gotthilf Schiffer beschäftigt die ebenfalls musikalisch vorbelastete Yoko Uno in seiner Gaststätte als Bedienung. Nachdem
    Yoko Uno in der Gaststätte immer wieder Beatles-Platten abspielte, statt Volkslieder, kündigte Arbeitgeber Gotthilf Schiffer das Arbeitsverhältnis der Parteien am 29.7.2002 fristgerecht zum 30.9.2002.

    Der
    Frauenarzt von Yoko Uno stellte am 17.8.2002 eine Schwangerschaft im dritten Monat fest.

    Yoko Uno behauptet, daß sie gleich am 18.8. die Schwangerschaftsbescheinigung per einfachem Brief an Arbeitgeber
    Gotthilf Schiffer gesandt hat. Zeuge sei ihr fürsorglicher Lebensgefährte Alfred Bio, der sie bis zum Briefkasten begleitet habe.

    Gotthilf behauptet, keinen Brief empfangen zu haben. Er habe erst durch den
    Anruf von Yoko Uno am 22.9.2002 von der Schwangerschaft erfahren.

    Yoko beruft sich auf das absolute Kündigungsverbot des § 9 Mutterschutzgesetz bei Schwangerschaft. Sie will bei Gotthilf weiter
    Beatles-Platten spielen lassen zur Hebung des Niveaus. Gotthilf dagegen beruft sich darauf, daß Yoko die zweiwöchige Meldefrist des § 9 Mutterschutzgesetz versäumt hat. Die Kündigung seiner einzigen
    Mitarbeiterin sei rechtswirksam.

    Wer hat recht?



Die Lösung:



1. § 9 Mutterschutzgesetz


    § 9 MuSchG enthält in Abs. 1 ein absolutes Kündigungsverbot für schwangere Arbeitnehmerinnen. Die Vorschrift bestimmt:


    Die Kündigung gegenüber
    einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von 4 Monaten nach der Entbindung ist unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder
    innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.


    Yoko Uno war zum Zeitpunkt des Kündigungszuganges schwanger. Ihr Frauenarzt hat allerdings die Schwangerschaft erst knapp 3 Wochen nach
    Zugang der Kündigung festgestellt. Für solche Fälle bestimmt das Gesetz weiter:


    Das Überschreiten der Meldefrist von 2 Wochen ist unschädlich, wenn es auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund
    beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.


    Diese Ergänzung des Gesetzes beruht gerade auf den Fällen, in denen die Schwangerschaft der Mitarbeiterin erst nach Ausspruch der Kündigung
    unverschuldet bekannt wird. Dies gilt auch für Yoko Uno.



2. Zwei-Wochen-Frist


    Yoko Uno hat aufgrund der verspäteten Erkenntnis nicht die Möglichkeit gehabt, die gesetzliche 2-Wochen-Frist nach Zugang der Kündigung einzuhalten und
    rechtzeitig eine Schwangerschaftsmitteilung zu machen. Sie mußte deshalb diese Mitteilung dann unverzüglich nachholen.

    Unstreitig hat Yoko Uno dem Arbeitgeber Gotthilf im Telefonat vom 22.9.2002 ihre
    Schwangerschaft mitgeteilt. Dies wäre aber bezogen auf die Feststellung des Frauenarztes am 17.8.2002 nicht mehr unverzüglich gewesen. Yoko hat dagegen behauptet, schon am 18.8.2002 einen Brief abgeschickt zu
    haben.



3. Form der Mitteilung


    Das Gesetz schreibt nicht vor, in welcher Form die Mitteilung der Schwangerschaft zu erfolgen hat. Aus Beweisgründen ist immer eine schriftliche
    Mitteilung, möglichst mit der Schwangerschaftsbescheinigung zu empfehlen.

    Allerdings wäre auch eine telefonische oder sonstige mündliche Mitteilung oder die Mitteilung durch einen Boten ausreichend.
    Entscheidend ist allerdings der Zugang der Mitteilung und im Streitfalle der Nachweis des Zugangs.



4. Risiko der Übermittlung


    Das Risiko der Übermittlung trägt die schwangere Mitarbeiterin. Sie muß dafür sorgen, daß ihre mündliche, oder besser schriftliche, Mitteilung
    rechtzeitig bzw. unverzüglich beim Arbeitgeber angelangt. Im Streitfall muß sie auch den Zugang der Mitteilung beim Arbeitgeber beweisen. Dies ist bei einem einfachen Brief sehr schwierig.

    Vorliegend hat Yoko
    Uno ihren Lebensgefährten Alfred als Zeugen für den rechtzeitigen Einwurf des Briefes nebst Schwangerschaftsattest am 18.8.2002 in den Briefkasten benannt. Dies ist sehr risikobehaftet, da die Glaubwürdigkeit
    des Zeugen angezweifelt werden könnte.

    Alfred hat ein eigenes Interesse an der Unwirksamkeit der Kündigung seiner Lebensgefährtin. Für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung verlöre er eine arbeitende und
    Einkommen erzielende Partnerin. Außerdem steht er Yoko als fürsorglicher Partner sehr nahe.

    Die Gerichte haben dem Lebensgefährten Alfred trotz dieser objektiven Bedenken an seiner Glaubwürdigkeit geglaubt
    und zugunsten von Yoko Uno angenommen, daß der Brief tatsächlich am 18.8.2002 in den Briefkasten gelangt.

    Nun berief sich Arbeitgeber Gotthilf aber darauf, daß der Brief gleichwohl nicht angekommen war.

    Wer trägt dieses Post-Risiko?



5. Nicht zu vertretender Grund


    Die Arbeitnehmerin muß spätestens binnen 2 Wochen nach Zugang der Kündigung ihre Schwangerschaft dem Arbeitgeber mitteilen. Das Überschreiten der
    2-Wochen-Frist in unschädlich, wenn es auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.

    Das Bundesarbeitsgericht hat angenommen, daß Yoko Uno mit
    ihrem Brief vom 18.8.2002 die Schwangerschaftsbescheinigung rechtzeitig an den Arbeitgeber abgesandt hat. Das hatte Lebensgefährte Alfred glaubhaft vor dem Arbeitsgericht bekundet. Daß der Brief möglicherweise
    dann beim Arbeitgeber Gotthilf Schiffer nicht angekommen ist, könne der Mitarbeiterin nicht angelastet werden. Sie habe zunächst auf die ordnungsgemäße Beförderung ihrer Briefsendung durch die Post vertrauen
    dürfen.

    Es gibt auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß Yoko Uno in der Zeit zwischen dem 18.8. und dem 22.9.2002 hätte bemerken müssen, daß die Schwangerschaftsmitteilung bei Gotthilf nicht
    angekommen ist. Dies hat Yoko erst in dem Telefonat vom 22.9.2002 erfahren. Daraufhin hat sie im gleichen Telefonat dem Arbeitgeber Gotthilf ihre Schwangerschaft mitgeteilt. Mit dieser Reaktion war ihre
    Unterrichtung am 22.9.2002 nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts noch rechtzeitig dem Arbeitgeber zugegangen.

    Im Ergebnis ist somit die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 MuSchG
    rechtsunwirksam.


    Achtung:

    Ein anderes Ergebnis würde erzielt, wenn das Arbeitsgericht dem fürsorglichen Alfred nicht glauben würde! Das ist das Risiko der schwangeren Arbeitnehmerin.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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