Folge 100

Probleme beim Weihnachtsgeld II


    Der grundlegende Fehler bei Streitigkeiten und Unzufriedenheiten wegen Weihnachtsgratifikationen im Betrieb besteht schon darin, daß sich Arbeitnehmer
    und Arbeitgeber manchmal nicht über die Anspruchsgrundlage klar sind, auf denen die Zusagen und Ansprüche beruhen.

    Dies soll vorliegend geklärt werden.



Der Fall


    7 Arbeitnehmer treffen sich vor Weihnachten zum Singen bei der Liedertafel Concordia Kreuzberg. Sie wundern sich über ihre verschiedenen
    Weihnachtsgratifikationen. Sowohl der Höhe wie auch der Ausgestaltung nach bestehen gravierende Unterschiede. Bei Edmund dem Reiniger, Gerd dem Autobauer, Herta der Marktfrau, Guido und Cornelia den
    Bankangestellten, Angela der Uni-Angestellten und Lothar dem Kraftfahrer, der gar nichts bekommt.



Die Lösung



1. Die Anspruchsgrundlagen


    Die Verpflichtung des Arbeitgebers auf Zahlung einer Jahresgratifikation/Weihnachtsgeld/Sonderzahlung etc. kann sich aus verschiedenen
    Anspruchsgrundlagen ergeben, nämlich aus Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Gesamtzusage, betriebliche Übung, Gleichbehandlungsgrundsatz, Einzelvertrag.



2. Tarifverträge


    In vielen Branchen bestehen Tarifverträge, die eine Jahressonderzahlung regeln, z.B. im öffentlichen Dienst (Zuwendungsvertrag), in der Bankbranche, im
    Einzelhandel, Metallindustrie etc.

    Entscheidend ist die Frage, ob der Tarifvertrag im Arbeitsverhältnis gilt! Dies ist nicht selbstverständlich. Tarifverträge gelten generell nur normativ und zwingend
    zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber Mitglied im Arbeitgeberverband/der Innung und der Arbeitnehmer Mitglied in der zuständigen Gewerkschaft ist. Dies ist vielfach nicht der Fall! Daneben
    gelten Tarifverträge mit Sonderzuwendungen noch dann zwingend, wenn diese Tarifverträge allgemeinverbindlich erklärt sind. Das ist bei Sonderzahlungstarifverträgen aber regelmäßig nicht der Fall. Auch der
    räumliche Geltungsbereich der Tarifverträge muß geprüft werden. Ein Teil der Tarifverträge gilt z.B. nicht in den neuen Bundesländern.

    Die Arbeitsvertragsparteien können allerdings die Geltung des
    Branchentarifvertrages auch im Arbeitsvertrag vereinbaren. Dann gilt der Tarifvertrag mit der Sonderzuwendung zwar nicht zwingend, aber kraft Individualvereinbarung. Dies wird z.B. mit dem Zusatz gemacht:

    Im übrigen gelten die Tarifverträge des …-gewerbes in der jeweiligen Fassung.



3. Betriebsvereinbarungen


    Arbeitgeber und Betriebsräte lieben es, Sondergratifikationen auch per Betriebsvereinbarung zu vereinbaren. Der Betriebsrat kann den Abschluß einer
    solchen Betriebsvereinbarung nicht erzwingen, da sie freiwillig ist.

    Die Betriebsparteien übersehen allerdings, daß eine solche Betriebsvereinbarung rechtlich nur zulässig ist, wenn in der Branche die
    Sonderzahlung tariflich nicht geregelt ist! Da in vielen Branchen solche Tarifverträge existieren, sind dort Betriebsvereinbarungen rechtswidrig und unwirksam.

    Diese Betriebsvereinbarungen können später
    jederzeit vom Arbeitgeber unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten für die Zukunft gekündigt werden. Der Anspruch der Arbeitnehmer auf Sonderzahlung entfällt dann ersatzlos. Eine Nachwirkung gibt es
    nicht, wenn dies nicht gesondert vereinbart ist.



4. Gesamtzusage


    Eine Gesamtzusage (auch vertragliche Einheitsregelung genannt) liegt dann vor, wenn der Arbeitgeber gegenüber allen Arbeitnehmern des Betriebes oder
    gegenüber einer Gruppe von Arbeitnehmern einseitig erklärt, daß er zukünftig Weihnachtsgeld, 13. Monatsgehalt oder eine Sonderzuwendung zahlen wird. Diese Erklärung des Arbeitgebers ist zunächst freiwillig. Wenn
    er jedoch keine Widerrufsvorbehalte macht, entwickelt sich daraus für die Zukunft ein zwingender Rechtsanspruch der Arbeitnehmer (nach dreimaliger vorbehaltloser Zahlung).

    Sofern diese Zusage schon in einem
    Formulararbeitsvertrag enthalten ist, sprich man auch von einer “arbeitsvertraglichen Einheitsregelung”.



5. Betriebliche Übung


    Eine betriebliche Übung entsteht, wenn der Arbeitgeber eine Weihnachtsgratifikation über Jahre hinweg wiederholt und ohne Widerrufsvorbehalt gewährt.
    Dadurch entsteht für die Arbeitnehmer ein Vertrauenstatbestand mit Bindungswirkung für die Zukunft.

    Das Besondere der betriebliche Übung besteht darin, daß der Arbeitgeber zahlt, ohne eine ausdrückliche
    verbindliche Zusage oder Klärung gegenüber Arbeitnehmern abgegeben zu haben. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein bindender Vertrauenstatbestand in solchen Fällen dann entstanden, wenn der Arbeitgeber 3 Jahre
    lang hintereinander zahlt, ohne eine Widerrufsvorbehalt zu erklären oder ohne die Zahlung für die Zukunft auszuschließen.

    Ein Vertrauenstatbestand entsteht nicht, wenn der Arbeitgeber darauf hinweist, daß die
    Zahlung einmalig ist und er sich vorbehält, in der Zukunft keine oder nur eine verringerte Zahlung zu erbringen.



6. Einzelvertragliche Zusage


    Eine einzelvertragliche Zusage kann so aussehen, daß der Arbeitgeber auch ohne Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband/Innung die Zahlung des
    tarifvertraglichen Weihnachtsgeldes/Sonderzahlung verspricht. Im übrigen kann im Einzelarbeitsvertrag eine Jahressonderzahlung oder Gratifikation individuell vereinbart werden, so wie es die Vertragsparteien
    wünschen. Sofern diese Gratifikationsvereinbarung höher ist als der Tarifvertrag, gilt stets die höhere Vereinbarung nach dem Günstigkeitsprinzip.

    In der Individualvereinbarung können auch Einschränkungen
    gemacht werden, z.B. ein Widerrufsvorbehalt, eine Rückzahlungsklausel etc.

    Hat sich der Arbeitgeber arbeitsvertraglich den jederzeitigen Widerruf vorbehalten, so steht die künftige Zahlung im Ermessen des
    Arbeitgebers.



7. Nachwirkung des Tarifvertrages


    Hat zwischen den Arbeitsvertragsparteien ein Tarifvertrag gegolten, so entfällt der Anspruch auf Weinachtsgratifikation nicht deshalb, weil dieser
    Tarifvertrag ausläuft. Tarifverträge wirken generell nach. Dies gilt auch dann, wenn der Tarifvertrag allgemeinverbindlich war und die Allgemeinverbindlichkeit entfällt. Auch dann wirkt der Tarifvertrag nach.


    Beachte:

    Der neue Tarifvertrag löst den alten Tarifvertrag ab. Sofern Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch Verbandszugehörigkeit zwingend tarifvertragsgebunden sind, gilt jeweils der neueste Tarifvertrag. Wenn der neue Tarifvertrag günstiger ist, erhöht sich der Anspruch der Arbeitnehmer. Sofern der neue Tarifvertrag ungünstiger ist, könnte der Anspruch der Arbeitnehmer sich verschlechtern.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.