Frage:
Wenn ich gekündigt bin, weil mein Arbeitgeber keine Arbeit für mich hat, bin ich dann verpflichtet, in der Kündigungsfrist oder danach eine andere, auch geringwertigere Arbeit anzunehmen? Wenn ich den Kündigungsschutz-Prozess gewinne, muss mir dann der Arbeitgeber den gesamten Lohn nachzahlen oder darf er mir das verrechnen, was ich durch andere Arbeit verdient habe oder hätte verdienen können?
Der Fall:
Spediteur Edmund Hillary will das Mount Everest Base Camp mit Nahrungsmitteln und alpiner Literatur versorgen. In der Hoffnung auf die neu gebaute Straße stellt er den brotlosen Schriftsteller Uwe Johnson als
Kraftfahrer ein.
Nachdem der Bauunternehmer Francesco Petrarca erfolgreich eine Straße auf den provenzalischen Olymp Mont Ventoux gebaut hatte, baut er jetzt auch die neue Straße zum Mount Everest Base Camp.
Wegen des legendären Fleißes der Deutschen stellte er den Straßenarbeiter Max Liebermann ein. Doch statt Schotter auf die Piste aufzubringen, malt Liebermann lieber berauscht die phantastischen Himalaya-Szenen in Öl.
Petrarca kündigt deshalb Liebermann. Da Liebermann vor dem Arbeitsgericht Kathmandu klagt, bietet Petrarca ihm nach Ablauf der Kündigungsfrist eine Prozessbeschäftigung als Straßenarbeiter für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses an. Liebermann malt trotzdem lieber Bilder und verkauft diese, da er als Impressionist damit mehr Geld verdienen kann, als im Straßenbau.
Als Liebermann den Prozess gewinnt und von Petrarca den Straßenarbeiter-Lohn nachgezahlt haben wollte, verrechnet Petrarca die Malereinkünfte mit dem von Liebermann verschmähten Arbeitslohn und verweigert jede Zahlung. Liebermann ist irritiert.
Da der Straßenbau nicht vorankommt und der einzige LKW von Sir Hillary durch räuberische Sherpas gestohlen wurde, spricht Hillary dem Kraftfahrer Uwe Johnson eine Änderungskündigung aus und bietet ihm an, als Lagerarbeiter in Kathmandu weiterzuarbeiten. Mangels Straße und LKW soll Johnson bereits in der Kündigungsfrist im Lager arbeiten.
Das verweigert Uwe Johnson. Er besteht darauf, dass er in der Kündigungsfrist vertragsgemäß als LKW-Fahrer eingesetzt und bezahlt wird. Andernfalls sitzt er lieber träumend am Durbar Place in Kathmandu und schreibt nepalesische Kurzgeschichten.
Als Johnson für die Kündigungsfrist seinen Lohn abholen will, um sich während des Geschichten-Schreibens den Magen mit Hühner-Curry zu
füllen, verweigert Sir Hillary die Lohnzahlung. Zu Recht?
Die Lösung:
6. Besonderheiten
Der Fall des Spediteurs Sir Hillary und seines LKW-Fahrers Uwe Johnson enthält mehrere Besonderheiten. Zum einen ist es dem Spediteur Sir Hillary wegen des gestohlenen LKWs nicht möglich, den Mitarbeiter Johnson
als LKW-Fahrer einzusetzen. Zum anderen kann er Johnson auf der Himalaya-Route auch deshalb nicht beschäftigen, weil der Bauunternehmer Francesco Petrarca die Mount Everest Base Camp-Trasse wegen seines säumigen Mitarbeiters Max Liebermann nicht rechtzeitig fertigstellen konnte.
Aus diesen Gründen hat der Spediteur Sir Hillary dem Arbeitnehmer Johnson angeboten, schon während des Laufs der Kündigungsfrist als
Lagerarbeiter in Kathmandu für ihn zu arbeiten.
Generell ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer während des Laufs der Kündigungsfrist die bisherige, vertraglich geschuldete Tätigkeit zuzuweisen. Dabei hat der Arbeitgeber im Rahmen des Direktionsrechtes die Möglichkeit, den Arbeitnehmer in der entsprechenden Bandbreite der geschuldeten Tätigkeit einzusetzen.
Erst nach Ablauf der Kündigungsfrist hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer eine Prozessbeschäftigung anzubieten, wobei im Rahmen der Prozessbeschäftigung auch eine andere Tätigkeit angeboten werden kann, als die vertraglich geschuldete.
Der Arbeitnehmer ist allerdings nur verpflichtet, die Prozessbeschäftigung anzunehmen, wenn es sich um eine für ihn zumutbare Tätigkeit handelt. Allerdings stellt die Rechtsprechung fest, daß im Rahmen des
anderweitigen Erwerbs nach § 615 BGB auch eine geringerwertige Tätigkeit zumutbar ist, wenn sich keine besser bezahlte oder höherwertige Tätigkeit bietet.
7. Direktionsrecht
Der Gesetzgeber hat mittlerweile das Direktionsrecht in § 106 Gewerbeordnung geregelt. Danach kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag bzw. Gesetz anderweitig festgelegt sind. Das bedeutet, dass sich die Pflichten und Rechte des Arbeitnehmers i.d.R. aus dem Einzelarbeitsvertrag ergeben.
Je konkreter und genauer die Arbeitspflichten eines Arbeitnehmers im Einzelarbeitsvertrag festgelegt sind, umso weniger Raum bleibt für das Direktionsrecht des Arbeitgebers bei der Ausgestaltung der Arbeitspflichten.
Soweit im Arbeitsvertrag geregelt ist, dass Arbeitnehmer verpflichtet sind, innerhalb des Betriebes vergleichbare oder zumutbare Tätigkeiten auszuüben, muss im Einzelfall geprüft werden, was konkret eine vergleichbare oder zumutbare Tätigkeit ist.
Im Falle des Fahrers Uwe Johnson haben die Arbeitsvertragsparteien vereinbart, daß er als LKW-Fahrer auf der Mount Everest Base
Camp-Route zu fahren hat.
Aus dem Arbeitsvertrag geht somit hervor, dass der Arbeitnehmer Johnson als LKW-Fahrer eingestellt wurde. Der Arbeitgeber hat im Wege des Direktionsrechtes nicht die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit als die Fahrertätigkeit zuzuweisen.
Eine Fahrertätigkeit kann Arbeitgeber Sir Hillary dem Uwe Johnson jedoch nicht anbieten, da zum einen der einzige LKW gestohlen ist, zum
anderen ist die Mount Everest Base Camp-Route nicht fertiggestellt. Arbeitgeber Sir Hillary befindet sich deshalb im Annahmeverzug.
8. Pflicht zur anderweitigen, nicht vertragsgemäßen Arbeit?
Ein böswilliges Unterlassen von Erwerb im Sinne des § 615 Satz 2 BGB kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aber auch darin liegen, daß der Arbeitnehmer eine vertraglich nicht geschuldete
Arbeitsleistung während der Kündigungsfrist ablehnt.
Nach der Rechtsprechung ist darauf abzustellen, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben sowie unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles die anderweitige, ihm angebotene Arbeit zumutbar ist.
Eine Unzumutbarkeit der Arbeit kann sich aus verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. Sie kann ihren Grund in der Person des Arbeitgebers finden, wenn dieser sich in massiver Weise vertragswidrig verhalten hat. Die Unzumutbarkeit kann sich aber auch aus der Art der Arbeit ergeben, wenn dem Arbeitnehmer z.B. eine Arbeit angeboten wird, die sein Persönlichkeitsrecht verletzt. Auch andere Arbeitsbedingungen können zur Unzumutbarkeit führen, wenn z.B. ein Arbeiter zukünftig in Anzug und Krawatte Verkaufsgespräche am Bankschalter führen soll oder umgekehrt.
Ist die angebotene Arbeit zwar eine andere, als die vertraglich geschuldete Tätigkeit, nach den konkreten Umständen dem Arbeitnehmer gleichwohl aber zumutbar, so wird ihm der hier zu erzielende Verdienst mit seinen
Annahmeverzugsansprüchen bei einem Obsiegen in der Kündigungsschutzklage verrechnet.
9. Kündigungsfrist
Die voranstehenden Grundsätze gelten stets für die Prozeßbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist.
Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darf jedoch die Frage der Unzumutbarkeit in dem noch bestehenden Arbeitsverhältnis während des Laufs der Kündigungsfrist nicht anders beurteilt werden, als nach Ablauf der Kündigungsfrist. Das Gesetz macht nämlich in § 615 Satz 2 BGB keinen Unterschied danach, ob die Arbeitsmöglichkeit mit dem bisherigen Arbeitgeber oder bei einem anderen fremden Arbeitgeber besteht.
Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb mit einer Entscheidung vom 7.2.2007 die alte Rechtsprechung aufgegeben, wonach der Arbeitnehmer während des Laufs der Kündigungsfrist es ablehnen durfte, eine nicht geschuldete Tätigkeit vom Arbeitgeber anzunehmen.
Da der Arbeitgeber aus vertraglichen Gründen verpflichtet ist, zunächst den Arbeitsvertrag zu erfüllen, darf er eine nicht vertragsgemäße, z.B. geringerwertige Tätigkeit nur unter strengen Voraussetzungen vom Arbeitnehmer verlangen. Die Zumutbarkeit vertragswidriger Arbeit hängt nach dieser neuen Rechtsprechung davon ab, aus welchen Gründen der Arbeitgeber die andersartige Arbeit anbietet.
10. Dringende Gründe für anderweitige Arbeit
Nach der Rechtsprechung muß die vom Arbeitgeber Hillary angebotene neue, aber vertragswidrige Arbeit im Lager dem Fahrer Uwe Johnson zumutbar sein. Im Rahmen der Zumutbarkeit darf Arbeitnehmer Johnson zunächst grundsätzlich die vertragsgemäße Arbeit zu den entsprechenden Bedingungen erwarten.
Allerdings muss der Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitsvertrages auch die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigen und darauf Rücksicht nehmen. Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme beim Arbeitnehmer hängt regelmäßig davon ab, aus welchen Gründen der Arbeitgeber ihm keine vertragsgemäße Arbeit für die Zeit der Kündigungsfrist
anbietet. Der Arbeitnehmer muß diese besonderen Gründe dem Arbeitnehmer und dem Gericht in Prozeß darlegen.
Bestehen für das veränderte Arbeitsangebot dringende Gründen, denen nicht von vorneherein die Billigung versagt werden kann, so handelt der Arbeitnehmer nicht rücksichtsvoll, wenn er die Arbeit allein deswegen ablehnt, weil sie nicht vertragsgemäß ist und er dann ohne Erwerb bleibt.
Vielmehr sind die berechtigten Belange des Arbeitnehmers einerseits und die Belange des Arbeitgebers bzw. die Gesamtumstände im Betrieb andererseits gegeneinander abzuwägen. Im vorliegenden Falle bedeutet dies, dass der Arbeitnehmer berücksichtigen muss, dass Sir Hillary wegen des Diebstahls seines LKWs ihm überhaupt keine Fahrertätigkeit mehr anbieten kann. Eine Fahrertätigkeit auf der Mount Everest-Route ist ebenfalls unmöglich, da der Bauunternehmer Francesco Petrarca wegen der Säumigkeit seiner Mitarbeiter die Trasse nicht fertigstellen konnte.
Unter diesen Umständen war es gerechtfertigt, daß der Arbeitgeber Sir Hillary dem Fahrer Johnson jedenfalls zunächst einmal eine Tätigkeit im Lager anbot, um die Zeit zu überbrücken.
Wenn der Fahrer Uwe Johnson diese Lagertätigkeit ablehnt, obwohl der Arbeitgeber sich in einer Zwangslage befindet und die Lagertätigkeit letztendlich jedenfalls für eine gewisse Zeit dem Johnson zugemutet werden kann, so muss Uwe Johnson bei einer Weigerung ein böswilliges Unterlassen im Sinne des § 615 BGB vorgeworfen werden.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass Uwe Johnson bei einem Obsiegen in der Kündigungsschutzklage keinen Anspruch auf Verzugslohn hat, weder während der Zeit der Kündigungsfrist, noch während des Laufs des Prozesses bis zum Urteil.