Frage:
Wenn ich als behinderter Bewerber abgelehnt wurde oder eine Beförderung nicht stattfand und ich meine, Schadenersatzansprüche zu besitzen, muss ich dann innerhalb einer bestimmten Frist klagen?
Wenn ich schwerbehindert bin und eine Stelle habe, muss ich bei Anweisung des Arbeitgebers Zusatzarbeit/Mehrarbeit/Überstunden ableisten? Wie hoch ist der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte?
Der Fall:
Arbeitgeber Lovis Corinth hat den Bewerber Isaac Stern abgelehnt. Im Zuge der Bewerbung von Stern hat Arbeitgeber Corinth weder den Vorsitzenden der Schwerbehindertenvertretung Haile Selassie unterrichtet, noch den Betriebsratsvorsitzenden Ernest Hemingway.
Mit den Gremien Schwerbehindertenvertretung und Betriebsrat hat der Arbeitgeber Corinth auch nicht über diese Bewerbung beraten.
Issac Stern ist nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen worden. Seine Unterlagen erhält er kommentarlos zurück. Isaac Stern denkt, dass er sich Zeit lassen kann. Im Augenblick naht Weihnachten und er möchte friedlich sein. Er denkt, dass es ausreiche, den Arbeitgeber Corinth im nächsten Frühjahr auf Schadenersatz zu verklagen.
Arbeitgeber Corinth hat aber viel Arbeit. Deswegen gibt er dem schwerbehinderten Mitarbeiter Hans Fallada die Anweisung,
in den nächsten drei Wochen jeweils 60 Stunden/Woche an 6 Arbeitstagen zu arbeiten. Diese Überstunden sollen auch vergütet werden. Hans Fallada möchte aber in seiner Freizeit sich lieber seinem Hobby widmen und
Weihnachtskrippen schnitzen. Muss er sich auf Überstunden einlassen?
Hans Fallada möchte außerdem noch Schwerbehindertenzusatzurlaub erhalten. Arbeitgeber Louis Corinth lehnt ab, weil er lieber die Arbeitskraft
des Hans Fallada nutzt, als den Bewerber Isaac Stern einzustellen.
Die Lösung
1. Frist zur Klage und Geltendmachung
In § 15 Abs. 4 AGG ist für alle Forderungen auf Schadenersatz oder Entschädigung eine Geltendmachungsfrist gesetzlich geschaffen worden. Danach müssen diese Ansprüche binnen einer Frist von 2 Monaten schriftlich geltend gemacht werden, wenn ein Tarifvertrag nichts anderes sagt.
Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder des beruflichen Aufstiegs mit Zugang der Ablehnung, sonst mit dem Zeitpunkt, in dem Bewerber und Beschäftigte von ihrer Benachteiligung Kenntnis erlangen.
Die vom Gesetzgeber geforderte schriftliche Geltendmachung setzt nicht voraus, dass der Schadenersatzanspruch beziffert werden muss. Er setzt aber voraus, dass die schriftliche Geltendmachung beim Arbeitgeber zugeht und im Bestreitensfalle von der diskriminierten Person bewiesen wird.
In der weiteren, ergänzenden Vorschrift des § 61b Arbeitsgerichtsgesetz hat der Gesetzgeber dann bestimmt, dass eine solche Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG innerhalb einer Frist von 3 Monaten erhoben werden muss, nachdem der Anspruch zuvor schriftlich geltend gemacht worden ist.
Lehnt also der Arbeitgeber nach schriftlicher Geltendmachung den Anspruch ab oder äußert er sich nicht, so muss in 3 Monaten nach Zugang der schriftlichen Geltendmachung Klage erhoben werden. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber nachweislich die Forderung anerkannt hat.
Machen mehrere Bewerber wegen Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses oder bei einer Beförderung eine Entschädigung nach § 15 AGG gerichtlich geltend, so wird auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsgericht für alle Klagen zuständig, bei dem die erste Klage erhoben wurde.
2. Mehrarbeit/Überstunden
Nach § 207 SGB IX müssen schwerbehinderte Menschen auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt werden.
Dabei muss das Verlangen der schwerbehinderten Menschen auf Freistellung von Mehrarbeit nicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt werden.
Mehrarbeit i.S.d. § 207 SGB IX ist diejenige Arbeit, welche über die normale gesetzliche Arbeitszeit von 8 Stunden werktäglich hinausgeht. Im Gesetz selbst ist der Begriff der Mehrarbeit nicht definiert.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist jedoch als Mehrarbeit die Arbeit anzusehen, welche über die normale gesetzliche Arbeitszeit von 8 Stunden werktäglich hinausgeht. Dabei hat das BAG klargestellt, dass die individuell vereinbarte oder tariflich geregelte Arbeitszeit keinen Maßstab für die Bestimmung des Begriffs der Mehrarbeit i.S.d. § 207 SGB IX darstellt.
Achtung: Da das Arbeitszeitgesetz und auch das Bundesarbeitsgericht von einer gesetzlichen Arbeitszeit von 6 Werktagen ausgeht, betrifft § 207 SGB IX nicht das Verlangen des Arbeitgebers Louis Corinth, dass Hans Fallada auch am Samstag 8 Stunden arbeitet.
Die Frage ist nur, ob Fallada aufgrund des Arbeitsvertrages dazu verpflichtet ist. Sieht der Arbeitsvertrag eine 5-Tage-Woche vor, so kann
der Arbeitgeber die Arbeit am 6. Werktag nur bei Vorliegen besonderer Gründe, z.B. in Not- oder dringenden Eilfällen verlangen.
Beachte: Teilzeitarbeitnehmer sind generell weder zur Erbringung von
Überstunden, noch zur Ableistung von Mehrarbeit über werktäglich 8 Stunden hinaus verpflichtet. Teilzeitarbeitnehmer haben eine ganz bestimmte Wochenarbeitszeit an ganz bestimmten Wochentagen vereinbart. Der Arbeitgeber kann von ihnen nicht im Wege des Direktionsrechts verlangen, dass sie über diese Zeit hinaus arbeiten.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Parteien im Arbeitsvertrag eine Pflicht zur Ableistung von Überstunden über die Teilzeit hinaus vereinbart haben.
3. Bereitschaftsdienst
Als Arbeitszeit i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Arbeitszeitgesetz gilt seit der Neufassung des Gesetzes auch der Bereitschaftsdienst i.S. von Anwesenheitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst mit einem festgelegten
Aufenthaltsort.
Insbesondere bei Nachtbereitschaft mit Pflicht zur Anwesenheit in Pflegediensten, Krankenhäusern etc. handelt es sich um Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes wie auch im Sinne des § 207 SGB IX. Diese Arbeitszeit ist auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit anzurechnen.
4. Zusatzurlaub
Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von 5 Arbeitstagen im Urlaubsjahr. Verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit des schwerbehinderten Menschen auf mehr als 5
Arbeitstage in der Kalenderwoche (6 Tage) oder verringert sich die Arbeitszeit auf weniger als 5 Arbeitstage, so erhöht oder verringert sich der Zusatzurlaub entsprechend.
Beispiel:
– Reguläre Arbeit an 6 Wochentagen, Zusatzurlaub ebenfalls 6 Arbeitstage.
– Reguläre Teilzeitarbeit an 2 Wochentagen. Zusatzurlaub beträgt 2 Arbeitstage/Wochentage.
Die Weigerung von Louis Corinth Zusatzurlaub zu gewähren, ist gesetzeswidrig.