Frage:
Ich bin bei der Einstellung abgelehnt worden, als der Arbeitgeber erfuhr, daß ich Schwerbehindert bin. Oder: Nur wegen meiner Schwerbehinderung bin ich nicht befördert worden.
Habe ich Anspruch auf Schadenersatz? Selbst wenn ich nie eine Chance zur Einstellung oder Beförderung gehabt hätte?
Ich bin vor allem tief getroffen und in meinem Persönlichkeitsrecht verletzt, weil mich der Arbeitgeber mit der Begründung ablehnte, Schwerbehinderte
wolle er nicht in seinem Laden. Muss ich mir das gefallen lassen?
Der Fall:
Der schnittige Arbeitgeber Simon Bolivar betreibt ein Sicherheitsunternehmen. Er überwacht neben den Rum-Destillen und Zigarrenfabriken Kubas, neuerdings auch den Nord-Ostsee-Kanal und die neuen Gasförderplattformen vor der Insel Borkum im Wattenmeer.
Der bei Bolivar seit Jahrzehnten auf Kuba beschäftigte Wachmann Gustav Heinemann möchte gerne in die alte Heimat zurück. Deshalb hat er sich für das neue Projekt in Niedersachsen als Vorarbeiter und Niederlassungsleiter auf einer Gasförderplattform beworben.
Der schneidige Bolivar lehnt eine Beförderung des vor Gicht gekrümmten Heinemanns jedoch ab und begründet dies mit dem Alter und den gichtigen Fingern und Gliedern von Heinemann. Der durch Krankheit mittlerweile gebeugte Heinemann findet diese Behandlung unfair und fragt sich, ob er Schadenersatz verlangen kann.
Für die neuen Projekte braucht Simon Bolivar noch dringend neue Mitarbeiter. Der durch lange Festungshaft gesundheitlich ruinierte Alexandre Dumas bewirbt sich. Bolivar lehnt ihn aber mit der Begründung ab, Schwerbehinderte und Krüppel könnte er schon nicht in Kuba, erst recht aber nicht in Norddeutschland gebrauchen.
Der Revolverheld Edward Hopper hätte gute Chancen im Sicherheitsapparat von Bolivar. Der Vertrag war quasi perfekt. Als Bolivar aber von den Prostataproblemen Hoppers und von dessen Schwerbehinderung erfuhr, sowie davon, dass Hopper ein Dauer-Pampers-Träger ist, wirft Bolivar den Hopper wieder raus. Pampers-Träger kann Bolivar schon in den Tropen nicht gebrauchen, erst recht aber nicht im Wattenmeer.
Dumas und Hopper sinnen auf Rache. Der gealterte Heinemann und die beiden anderen wollen zumindest aber Schadenersatz. Zu Recht?
Die Lösung:
1. Kein Erfüllungsanspruch
Die diskriminierten Bewerber Heinemann, Dumas und Hopper würden am liebsten die von ihnen begehrte neue Arbeitsstelle bekommen. Dann wären sie zufrieden. Der Gesetzgeber hat jedoch ausdrücklich sowohl Bewerbern
für eine Arbeitsstelle, wie auch betriebsangehörigen Mitarbeitern bei Beförderungen oder Versetzungen keinen Anspruch auf die von ihnen gewünschte Stelle gegeben. Es gibt kein „Erfüllungsinteresse“ bzw. keinen Erfüllungsanspruch.
Der Gesetzgeber in § 15 Abs. 6 AGG bestimmt, dass ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG (wegen Behinderung, Alter, Geschlecht, Weltanschauung, Religion etc.) keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, eines Berufsausbildungsverhältnisses, eines beruflichen Aufstieges, einer Versetzung oder einer Beförderung gewährt. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Einstellungs- oder Beförderungsanspruch sich aus einer gesonderten Regelung, z.B. aus einer vertraglichen Vereinbarung ergeben würde.
Der Gesetzgeber hat damit alle bei Einstellung, Beförderung etc. diskriminierten Bewerber allein auf die Möglichkeit des Schadenersatzes oder der Entschädigung verwiesen.
2. Obergrenze für Schadenersatz
In § 15 Abs. 1 AGG hat der Gesetzgeber den Arbeitgeber für den Fall der Diskriminierung zwar zu Zahlung von Schadenersatz verpflichtet.
Wichtigste Voraussetzung des Schadenersatzes: Es muss ein materieller Schaden, ein Vermögensschaden durch die rechtswidrige Diskriminierung entstanden sein.
Der Gesetzgeber hat jedoch keine Obergrenze im Gesetz festgelegt. Diese zu finden ist unter Auslegung des Gesetzes und der allgemeinen Grundsätze alleine Aufgabe der Rechtsprechung.
Einigkeit besteht darüber, dass der Gesetzgeber keine unbeschränkte Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers wollte.
Selbst im US-amerikanischen Recht ist für solche Fälle die Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers auf maximal 3 Jahresgehälter begrenzt. Die Bemessung der Schadenersatzhöhe muss im Zusammenhang mit einschlägigen EG-Richtlinie 76/207/EWG beurteilt werden. Danach sind folgende Dinge wichtig:
– Abschreckende Wirkung: Nach den Vorgaben der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien und der Rechtsprechung des EuGH muss
die Sanktion eine abschreckende Wirkung haben. Daraus folgt, dass die Höhe der Schadenersatzpflicht geeignet sein muss, den Arbeitgeber zu gesetzmäßigem Verhalten in der Zukunft anzuhalten.
– Ausgleich für materiellen Schaden, der dem Bewerber wegen der Diskriminierung entsteht.
– Wichtig ist auch der Grad der Verantwortlichkeit und des Verschuldens des Arbeitgebers für die Diskriminierung.
– Die Schwere der Verletzung und des materiellen oder des immateriellen Schadens, die Tiefe der psychischen Beeinträchtigung des Diskriminierten spielen eine Rolle.
– In vielen Fällen wird der Schadenersatz an der Höhe der Vergütung als geeigneter Anknüpfungspunkt bemessen.
– Letztendlich muss auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers in Betracht gezogen werden.
Aus all diesen Punkten folgert eine Meinung, dass der Schadenersatz begrenzt werden könne auf die Vergütung, die bei einer fiktiven Einstellung und bis zum 1. Kündigungszeitpunkt und dem Ablauf der Kündigungsfrist zu zahlen gewesen wäre.
Diese Berechnung nach der Theorie „des rechtmäßigen Alternativverhaltens“ ist aber problematisch, weil die dadurch zu berechnende Schadenersatzhöhe teilweise so gering ist, dass eine abschreckende Wirkung nicht erzielt wird.
Letztendlich muss die Rechtsprechung deshalb Regeln für die Berechnung der Höhe der Schadenersatzzahlung noch genau festlegen.
3. Entschädigungspflicht nach § 15 Abs. 2 AGG
Der Gesetzgeber hat neben dem Schadenersatzanspruch der diskriminierten Person noch einen zusätzlichen Entschädigungsanspruch als Spezialregelung in § 15 Abs. 2 AGG geschaffen.
Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Wird ein Bewerber wegen seiner Behinderung einerseits benachteiligt, wäre er aber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl andererseits nicht eingestellt worden, so ist die Entschädigungshöhe auf maximal 3 Monatsgehälter begrenzt.
Diese Entschädigungspflicht des Arbeitgebers bei Diskriminierung wegen Behinderung ist – im Gegensatz zum Schadenersatz nach § 15 Abs. 1 AGG – nicht von einem Verschulden oder Vertreten müssen des Arbeitgebers abhängig.
Es handelt sich hierbei letztlich um einen Anspruch auf Schmerzensgeld, das vom Arbeitgeber bei einer Diskriminierung z.B. wegen Behinderung selbst dann zu zahlen ist, wenn ihn kein Verschulden trifft und wenn der Bewerber auch aus anderen Gründen nicht eingestellt worden wäre.
Die Diskriminierung stellt eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes dar. Die diskriminierte Person erhält die Entschädigung bzw. das Schmerzensgeld wegen dieser Persönlichkeitsrechtsverletzung (sog. immaterieller Schaden).
Die Höhe dieses Schmerzensgeldanspruches hängt von der Schwere der Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes oder der körperlichen Unversehrtheit ab. Auch hier ist wieder zu berücksichtigen, dass nach den Vorgaben der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien von der Entschädigungshöhe eine abschreckende Wirkung ausgehen muss. Die Höhe muss geeignet sein, den Arbeitgeber oder andere Personen von ähnlichen Diskriminierungen zukünftig abzuhalten.
Achtung: Als Besonderheit ist die Höhe der Entschädigung auf maximal 3 Monatsgehälter begrenzt worden, wenn feststeht, dass die diskriminierte
Person auch ohne die Benachteiligung die Stelle nicht erhalten hätte.
Daraus folgt, dass der Bewerber Alexandre Dumas einen Entschädigungsanspruch auf maximal 3 Monatslöhne besitzt, da er durch seine körperlichen Gebrechen von Anfang an keine Chance zur Einstellung hatte. Der Bewerber Edward Hopper dagegen wäre eingestellt worden. Seine Entschädigungsforderung kann weitaus höher sein.
Der Vorarbeiter Gustav Heinemann hat auf alle Fälle einen Entschädigungsanspruch wegen Altersdiskriminierung. Soweit plausibel erscheint, dass er auch Chancen auf die Gasplattform-Stelle hatte, kommt dazu auch noch ein Schadenersatzanspruch in Betracht, wenn der Schaden höher als die Entschädigung ist.