Folge 329

Arbeitszeit – aktuelle Entwicklungen IX

Frage:

Wie verhält es sich, wenn ich mehrere Arbeitsverhältnisse nebeneinander herlaufen lasse. Gelten dann die Höchstgrenzen des
Arbeitszeitgesetzes nur für jedes einzelne Arbeitsverhältnisse oder werden diese zusammengerechnet?

Was ist bei der Nachtarbeit bzw. Schichtarbeit zu beachten?

Der Fall:

Der Arbeitnehmer Gaius Julius Cäsar hat ein festes, volles Arbeitsverhältnis als städtischer Angestellter im Bereich des
Ordnungsamtes. Da er sich nicht ausgelastet fühlt, ihn die Langeweile drückt und er noch Geld braucht, verdingt er sich nach Dienstschluß bei einem Gastronomen als Würstchenverkäufer in einer Bude neben der
Elisabethkirche für das Elisabethjahr. Da die Geschäfte gut laufen, hat er einen Arbeitsvertrag über zusätzlich 4 Stunden von Montag bis Freitag sowie 10 Stunden am Samstag und am Sonntag, da dieser besonders
gut mit Elisabeth-Würstchen aus biologischer, garantiert gewaltfreier Herstellung läuft. Ist das zulässig?

Die Asylbewerber Kemal Pascha und Pablo Neruda müssen Geld verdienen. Sie erhalten eine Anstellung
als Schichtarbeiter insbesondere in der Nachtschicht. Was ist dort zu beachten?

Die Lösung:

1. Zweitbeschäftigung

Der Gesetzgeber hat die Frage beantwortet, ob Zweit- und Drittbeschäftigungen im Zuge des Arbeitszeitgesetzes zu
berücksichtigen sind. Nach § 2 Abs. 1 ArbZG müssen Arbeitszeiten, die bei mehreren Arbeitgebern erbracht werden, zusammengerechnet werden.

Dies bedeutet im Ergebnis, daß ein Arbeitnehmer auch in verschiedenen
Arbeitsverhältnissen maximal bis zu 10 Stunden am Werktag arbeiten darf. Dies darf er aber auch nur, wenn in einem Ausgleichszeitraum von 6 Monaten die Arbeitszeit wieder soweit absinkt, daß eine
durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten wird.

Diese Problematik stellt sich nicht nur bei Vollzeitarbeitnehmern, die nebenher einen zweiten Job durchführen. Diese Problematik
stellt sich vielmehr insbesondere auch bei Teilzeitarbeitnehmern, die mehrere Teilzeitarbeitsverhältnisse nebeneinander laufen lassen und z.B. je 6 Stunden vormittags und 6 Stunden nachmittags bei verschiedenen
Arbeitgebern beschäftigt sind.

2. Praxistip:

Der Arbeitgeber kann und muß sich absichern, indem er dem Arbeitnehmer möglichst schriftlich die Frage stellt nach
anderweitigen Arbeitsverhältnissen und sich diese Arbeitsverhältnisse mit den Arbeitszeiten schriftlich mitteilen läßt.

Stellt er fest, daß der Mitarbeiter zusätzliche Arbeitsverhältnisse durchführt, die über
die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes hinausgehen, so muß der Arbeitgeber die Arbeitszeit mit diesem Arbeitnehmer reduzieren. Ggf. muß er gegenüber dem Arbeitnehmer eine Änderungskündigung aussprechen!

Gaius
Julius Cäsar muß sich entscheiden: Entweder gibt er die Tätigkeit in der Würstchenbude auf oder er muß damit rechnen, daß ihm sein Arbeitgeber die Arbeitszeit reduziert.

3. Keine 7-Tage-Woche

Zusatzproblem: Julius Cäsar arbeitet an 7 Tagen die Woche. Dies ist nach § 9 Arbeitszeitgesetz nicht zulässig. Der Sonntag
ist arbeitsfrei. Ein Arbeitnehmer darf allenfalls 6 Tage in der Woche arbeiten, wenn kein Ausnahmetatbestand vorliegt. In einem ähnlichen Fall hat deshalb das Bundesarbeitsgericht entschieden, daß der
Arbeitgeber des Vollzeitarbeitsverhältnisses gegenüber dem Arbeitnehmer eine Änderungskündigung dahingehend aussprechen muß und darf, daß die Arbeitszeit beim Vollzeitarbeitgeber um einen Tag gemindert wird.

Beschäftigt der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer länger als 10 Stunden täglich, so handelt er ordnungswidrig und muß mit einer Geldbuße bis zu 15.000 Euro rechnen. Dies gilt auch bei Vorliegen von mehreren
Arbeitsverhältnissen bzw. Teilzeitarbeitsverhältnissen. Hier muß sowohl der Hauptarbeitgeber wie ggf. auch der Folgearbeitgeber mit einer entsprechenden Bestrafung rechnen.

4. Mitbestimmung des Betriebsrats

Der Betriebsrat hat bei Arbeitszeitfragen zwingend mitzubestimmen.

– Nach § 87 Abs. 1 Ziff. 2 Betriebsverfassungsgesetz
bestimmt der Betriebsrat mit bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Dies betrifft die reguläre Arbeitszeit.

– Ein weiterer Mitbestimmungstatbestand ergibt sich aus § 77 Abs. 1 Ziff. 3 Betriebsverfassungsgesetz. Danach besteht ein zwingendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der vorübergehenden Verkürzung oder
Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Dies betrifft alle Arten von Zusatzarbeit, Überstunden und Mehrarbeit.

– Der Gesetzgeber hat bestimmt, daß der Arbeitgeber den Betriebsrat vor der Anordnung von
Zusatzarbeit, Überstunden etc. anzuhören und dessen Zustimmung einzuholen hat. Stimmt der Betriebsrat nicht zu, so muß eine Einigungsstelle angerufen werden. Bis diese entschieden hat, darf der Arbeitgeber nicht
die zusätzlichen Arbeitsstunden anordnen bzw. die Arbeit von den Arbeitnehmern verlangen.

Der Gesetzgeber will mit dieser Regelung zusätzlich den Schutz der Arbeitnehmer wahren und die Vorgehensweise des
Arbeitgebers durch den Betriebsrat kontrollieren lassen. Die Mitbestimmung gewährleistet die Teilhabe der Arbeitnehmer an den betrieblichen Vorgängen, die sie selbst unmittelbar betreffen.

5. Nachtarbeit

Nach § 6 ArbZG ist die Nacht- und Schichtarbeit nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die
menschengerechte Gestaltung der Arbeit festzulegen.

Die werktägliche Arbeitszeit der Nachtarbeiter darf 8 Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu 10 Stunden nur dann verlängert werden, wenn
abweichend von § 3 ArbZG innerhalb von 1 Kalendermonat oder innerhalb von 4 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

Nachtarbeit liegt nach § 2 Abs. 3 und Abs. 4 ArbZG vor,
wenn Arbeitnehmer länger als 2 Stunden innerhalb eines Zeitraumes zwischen 23 Uhr und 6 Uhr morgens arbeiten. Nachtzeit im Sinne dieses Gesetzes ist die Zeit zwischen 23 Uhr und 6 Uhr morgens, bei Bäckereien und Konditoreien die Zeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr morgens.

6. Schutzvorschriften

Der Gesetzgeber hat den Schutz der Nachtarbeiter in § 6 ArbZG besonders geregelt. Es müssen nicht nur die gesicherten
arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt werden. Die werktägliche Arbeitszeit darf in einem überschaubaren Zeitraum nicht 6 Stunden überschreiten.

Darüber hinaus sind Nachtarbeiter berechtigt,
vor Beginn der Beschäftigung und danach in regelmäßigen Zeitabständen von nicht weniger als 3 Jahren sich arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Nach Vollendung des 50. Lebensjahres steht Nachtarbeitnehmern
dieses Recht in Zeitabständen von 1 Jahr zu. Die Kosten der Untersuchung muss der Arbeitgeber tragen, sofern er die Untersuchung nicht kostenlos durch einen Betriebsarzt oder den arbeitsmedizinischen Dienst anbietet.

Der Nachtarbeitnehmer hat einen Anspruch auf Umsetzung auf einen geeigneten Tagesarbeitsplatz, wenn

– nach arbeitsmedizinischen Feststellungen eine weitere Nachtarbeit seine Gesundheit gefährdet,
oder

– wenn im Haushalt ein Kind unter 12 Jahren lebt, das nicht von einer anderen Person im Haushalt betreut werden kann, oder

– der Arbeitnehmer einen schwer pflegebedürftigen Angehörigen zu versorgen
hat, der nicht durch eine andere Person im Haushalt versorgt werden kann.

Dem Umsetzungsbegehren können nur dringende betriebliche Erfordernisse entgegengehalten werden.

7. Nachtarbeitsausgleich

Nach § 6 Abs. 5 ArbZG muss der Arbeitgeber den Nachtarbeitnehmern einen Nachtarbeitsausgleich für die Nachtarbeit gewähren.
Der Arbeitgeber muss eine angemessene Zahl bezahlter Feiertage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoentgelt gewährleisten.

Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber ein Wahlrecht hat
bezüglich Freistellung oder Zuschlag. Übt der Arbeitgeber dieses Wahlrecht nicht aus, so kann der Arbeitnehmer nach angemessener Fristsetzung das Wahlrecht selbst ausüben.

Angemessener Zuschlag: Immer wieder
streitig ist die Frage, was ein angemessener Zuschlag ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wurde ein Zuschlag von 30 % bei Dauernachtschicht als angemessen befunden, ein Zuschlag von 25 % bei Wechselschicht und von 10 % bei Arbeitsbereitschaft in erheblichem Umfange. Diese Prozentsätze in der Rechtsprechung sind jedoch stets die Untergrenze.

Mitbestimmung: Aus Gründen des Gesundheitsschutzes hat
der Betriebsrat bei Nachtarbeit ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz. Dieses Mitbestimmungsrecht betrifft die Frage, ob der gesetzliche Ausgleich durch Freistellung oder durch
Abgeltung erfolgen soll. Der Betriebsrat kann allerdings nicht über die Höhe des Zuschlages mitbestimmen. Dies ist eine Rechtsfrage, die letztendlich zwischen den Arbeitsvertragsparteien ausgehandelt werden oder durch das Gericht entschieden werden muss.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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