Frage:
Gehört es zu meiner Arbeitszeit, wenn ich am Verkaufstresen, in der Kneipe oder in der Telefonzentrale mangels Kundschaft einen Western lese? Wenn ich mich für den Arbeitgeber bereit halten muß, Bereitschaftsdienst
leisten muß etc? Ist dies Arbeitszeit, wie verhält es sich mit meinen Ruhepausen? Darf der Arbeitgeber anordnen, daß ich meine unbezahlten Pausen so lege, wie es der Arbeitsanfall gerade zuläßt?
Der Fall:
Graf Zeppelin ist Pförtner beim Finanzamt. Nach der großen Steuerreform traut sich kein Kunde mehr ins Finanzamt. Der Pförtner dreht Däumchen oder verfaßt Liebesromane. Der Finanzamtsvorsteher meint, daß diese
Zeit nicht als Arbeitszeit bezahlt werden müsse.
Walter Benjamin ist angestellter Buchhändler. Da am Vormittag keine Kundschaft kam, meinte Arbeitgeberin Käthe Kollwitz, daß diese Zeit als unbezahlte Pause
bzw. als Freizeit anzusehen sei.
Dr. Eisenbart hat nach einer vollen Schicht im Operationssaal Arbeitsbereitschaft. Theoretisch kann er sich Schlafen legen, wenn nicht die Notfälle wären. Arbeitszeit?
Rembrand van Rijn wird in seiner Malerwerkstatt gerade nicht benötigt. Arbeitgeber Rubens schickt ihn in eine der umliegenden Kneipen mit der Aufforderung, sich aber bereit zu halten für einen etwaigen
Arbeitseinsatz.
Roald Amundsen ist gerade von einer Nordpolexpedition zurückgekehrt. Reeder und Walfischfänger Hauke Haien will ihn gleich auf ein Schiff für eine Expedition zum Südpol verfrachten. Roald
Amundsen will wenigstens während der gesetzlichen Ruhezeit mit seiner Frau kuscheln.
Die Lösung:
1. Arbeitsbereitschaft
Arbeitsbereitschaft ist Arbeitszeit. Der Arbeitnehmer befindet sich am Arbeitsplatz und ist bereit, unverzüglich die Arbeitsleistung aufzunehmen oder in den Arbeitsprozeß einzugreifen. Im Augenblick ist das nicht
nötig, da keine Arbeit da ist oder nur verminderte Arbeit anfällt.
Unter Arbeitsbereitschaft wird deshalb gegenüber der Vollarbeit einerseits die verminderte Leistung, andererseits aber die Bereitschaft zur
sofortigen Aufnahme der Arbeit ohne Aufforderung am Arbeitsplatz verstanden. Arbeitsbereitschaft wird definiert: „Wache Achtsamkeit im Zustand der Entspannung“.
Arbeitsbereitschaft liegt z.B. vor, wenn der
Pförtner Graf Zeppelin in der Pforte wacht, wenn Buchhändler Benjamin auf Kundschaft wartet oder wenn die Maschine stillsteht mangels Nachschub.
Grundsätzlich ist für die Arbeitsbereitschaft dieselbe
Vergütung wie für die Vollarbeit zu zahlen. Allerdings wären einzelvertraglich oder tarifvertraglich vereinbarte Abschläge oder Pauschalregelungen zulässig. Dies wäre z.B. bei Fernfahrern denkbar für Ladezeiten,
in denen der Fahrer wegen Ab- oder Beladen nicht arbeiten kann.
2. Bereitschaftsdienst/Anwesenheitsbereitschaft
Bereitschaftsdienst ist dann gegeben, wenn sich ein Arbeitnehmer an einer bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes bereithalten muß für den Fall, daß seine Arbeitskraft benötigt wird. Er muß
i.d.R. nicht unmittelbar am Arbeitsplatz anwesend sein. Wenn die Arbeit nicht benötigt wird, muß er nicht arbeiten. Der Arbeitnehmer kann z.B. auch schlafen.
Ein solcher Bereitschaftsdienst wird
typischerweise in vielen Kliniken von Ärzten abgeleistet, so auch von Dr. Eisenbart. Nach früherer Rechtsprechung zählte der Bereitschaftsdienst nicht zur Arbeitszeit. Dies hat sich jedoch geändert!
Der
Europäische Gerichtshof hat entschieden, daß Bereitschaftsdienste, die die Ärzte zur medizinischen Grundversorgung in Form von persönlicher Anwesenheit in einer Gesundheitseinrichtung leisten, insgesamt als
Arbeitszeit i.S.d. Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23.11.1993 in der Fassung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 4.11.2003 anzusehen sind.
Dem hat sich 2004 auch das
Bundesarbeitsgericht angeschlossen. Das BAG hat anerkannt, daß Bereitschaftsdienste Arbeitszeit im Sinne der Europäischen Richtlinie und im Sinne des Arbeitszeitgesetzes sind.
3. Vergütung Bereitschaftsdienst
Allerdings besteht nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts keine Pflicht, diese Bereitschaftsdienste wie sonstige aktive Arbeitszeit zu vergüten. Die Arbeitsvertragspartner sind frei, für
Bereitschaftsdienst und für die Vollarbeit unterschiedliche Vergütungssätze vorzusehen.
Das BAG begründet dies damit, daß Bereitschaftsdienst keine volle Arbeitsleistung erfordert, sondern lediglich eine
Aufenthaltsbeschränkung darstellt mit der Verpflichtung, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden. Dieser qualitativer Unterschied rechtfertige es, die Bereitschaftsdienste mit einer anderen Vergütung zu
versehen, als die Vollarbeit.
4. Rufbereitschaft
Rufbereitschaft ähnelt dem Bereitschaftsdienst. Allerdings kann hier der Arbeitnehmer den Ort mehr oder weniger frei wählen, an dem er sich aufhalten will. Er hat insoweit ein Selbstbestimmungsrecht. Der
Arbeitnehmer muß allerdings an dem angegebenen Ort oder unter einer bestimmten Rufnummer erreichbar sein, um im Einsatzfall zur Arbeit gerufen werden zu können. Dies setzt auch voraus, daß er seinen
Aufenthaltsort in erreichbarer Nähe wählt, um im Einsatzfall den Arbeitsort in angemessener Zeit zu erreichen.
Rembrand van Rijn kann durchaus bei Rufbereitschaft eine der umgebenden Kneipen aufsuchen.
Arbeitgeber Rubens muß wissen, in welcher Kneipe Rembrand sich aufhält. Rembrand darf sich nicht besaufen, damit sein Pinselstrich noch locker über die Leinwand fliegt.
Für die Rufbereitschaft hat der
Arbeitgeber Rembrand eine angemessene Vergütung zu zahlen, die jedoch deutlich unter der Arbeitsvergütung liegen darf.