Frage:
Darf mein Arbeitgeber von mir jede Arbeitszeit verlangen, die er für betrieblich notwendig hält? Bin ich verpflichtet,
Überstunden zu leisten? Gibt es einen gesetzlichen Arbeitszeitschutz und eine gesetzliche Höchstarbeitszeit und wie sieht diese aus?
Der Fall:
Arbeitgeberin Coco Cianelli stellt den Arbeitnehmer Felix Wankel ein, damit er ihr einen neuen Parfumdosierungsmotor für
Flacons konstruiert und baut. Den Kraftfahrer Karl Liebknecht stellt sie ein, damit dieser eilige Parfumsendungen an VIP-Kunden zu jeder Tages- und Nachtzeit exklusiv ausliefert.
Damit der
Technologievorsprung erhalten bleibt, verlangt Arbeitgeberin Coco von Wankel, daß er Tag und Nacht an der Entwicklung des Dosierungsmotors bleibt. Karl Liebknecht muß je nach Laune der Kunden Tag und Nacht und
an Wochenenden die Parfumbestellungen ausfahren.
Um Festlegungen und Diskussionen zu vermeiden, hat Arbeitgeberin Coco von vorneherein in den Arbeitsverträgen festgelegt, daß die Arbeitszeit alleine von der
Arbeitgeberin nach betrieblichen Notwendigkeiten festgelegt wird. Beide Arbeitnehmer fragen sich, ob dies zulässig ist.
Arbeitgeber Alfred Hitchcock braucht für das Drehbuch eines neuen Thrillers einen
Theologen, der ihn berät. Dafür stellt er Rudolf Bultmann ein. Nach den Hollywood-Gebräuchlichkeiten geht Hitchcock davon aus, daß Bultmann regulär 60 – 90 Stunden pro Woche arbeitet oder wenigstens ihm zur
Verfügung steht. Da Bultmann seine Arbeitsleistung in Deutschland erbringt, hat er Zweifel am Umfang einer solchen Arbeitszeit.
Die Lösung:
5. Vollzeitarbeit
Der Begriff der Vollzeitarbeit ist als „Terminus technicus“ im Gesetz zwar nicht zu finden. Dieser Begriff wird aber in
Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen vorausgesetzt. Darunter zu verstehen ist die volle betriebliche oder tarifliche Wochenarbeitszeit (38,5 Stunden, 40 Stunden etc.) mit einer entsprechenden vollen
Arbeitsleistung des Arbeitnehmers.
Während dieser vertraglich geschuldeten Vollzeitarbeit muß der Arbeitnehmer mit seiner vollen Arbeitskraft dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen. Er muß die vereinbarte oder
zumutbare Arbeit erbringen. Dabei muß er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt anwenden. Er braucht sich nicht zu überanstrengen, darf aber seine Arbeitskraft auch nicht „künstlich“ zurückhalten.
Leistet der
Arbeitnehmer aus Faulheit oder Frustration „Dienst nach Vorschrift“, begeht er eine Vertragspflichtverletzung. Senkt er gar seine ihm mögliche Arbeitsleistung oder Arbeitsmenge vorsätzlich ab, so kann im
Zweifelsfalle der Arbeitgeber ihn abmahnen oder gar kündigen. Nach der „Low-Performer-Rechtsprechung“ des Bundesarbeitsgerichts darf der Arbeitgeber einen Mitarbeiter sogar dann personenbedingt kündigen, wenn
dieser aufgrund mangelnder Fähigkeiten auf Dauer weit unterdurchschnittliche Arbeitsleistungen erbringt.
6. Zusatzarbeit / Überstunden
Von Überstunden spricht die Rechtsprechung dann, wenn ein Arbeitnehmer über die betriebliche oder tarifliche
Vollzeit-Wochenarbeitszeit hinaus zusätzlich für den Arbeitgeber Arbeitsleistungen erbringt.
Von Zusatzarbeit oder Überarbeit wird dann gesprochen, wenn ein Teilzeitarbeitnehmer über seine persönliche,
einzelvertraglich vereinbarte Teilzeit hinaus zusätzlich für den Arbeitgeber arbeitet. Sofern die Arbeitsleistung des Teilzeitarbeitnehmers dann noch die betriebliche oder tarifliche Wochenarbeitszeit
überschreitet, liegen auch Überstunden im technischen Sinne vor.
Arbeitet ein Arbeitnehmer über seine reguläre vertragliche Arbeitszeit hinaus für den Arbeitgeber, so besteht grundsätzlich immer ein Anspruch
auf Vergütung dieser zusätzlichen Arbeitszeit. Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn arbeitsvertraglich vereinbart ist, daß eine bestimmte Anzahl von Zusatzarbeitsstunden oder Überstunden mit dem Gehalt
bereits abgegolten sind.
Achtung: Eine vertragliche Vereinbarung, wonach sämtliche Überstunden mit dem Gehalt abgegolten seien, ist generell wegen unzulässiger Benachteiligung und unbilliger Regelung
rechtsunwirksam. Coco und Alfred dürfen deshalb von ihren Mitarbeitern nicht unbegrenzte zusätzliche Arbeitszeitüberschreitungen ohne Entgelt verlangen.
Soweit Tarifverträge gelten, muß der Arbeitgeber danach
regelmäßig für Überstunden auch Überstundenzuschläge bezahlen, wenn die betriebsübliche Arbeitszeit überschritten wird. Im Arbeitszeitgesetz sind Zuschläge für Überstunden oder Mehrarbeit nicht mehr vorgesehen.
Sofern ein Tarifvertrag nicht gilt, können Überstundenzuschläge auch in Arbeitsverträgen vereinbart werden. Ein Anspruch besteht aber nur dann, wenn eine entsprechende Anspruchsgrundlage (Tarifvertrag oder
Arbeitsvertrag) vorhanden ist. Sofern alle anderen Mitarbeiter Überstundenzuschläge bekommen, gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz.
7. Teilzeitarbeitnehmer
Teilzeitarbeitnehmer haben keine Verpflichtung zur Ableistung von Überstunden oder Zusatzarbeit. Sie haben vielmehr mit
ihrem Vertrag eine genau geregelte Arbeitszeit vereinbart. An diese muß sich der Arbeitgeber halten. Zu beachten ist auch, daß Teilzeitarbeitnehmer für Zusatzarbeit keine Überstundenzuschläge beanspruchen
können. Überstundenzuschläge, die in Tarifverträgen geregelt sind, werden erst gezahlt, wenn die tarifliche Wochenarbeitszeit (z.B. 38,5 oder 40 Stunden) überschritten wird. Erst dann können Teilzeitarbeitnehmer
auch Überstundenzuschläge verlangen. Etwas anderes gilt, wenn im Arbeitsvertrag für Teilzeitarbeitnehmer auch für Zusatzarbeit bereits Zuschläge vereinbart werden.
8. Mehrarbeit
Mehrarbeit im technischen Sinne liegt dann vor, wenn ein Arbeitnehmer über die im Arbeitszeitgesetz vorgesehene
Arbeitszeit hinaus arbeitet. In diesem Fällen liegen regelmäßig auch Überstunden vor, da damit regelmäßig auch die tarifvertragliche oder betriebliche Wochenarbeitszeit überschritten ist.
Auch für die über
das gesetzliche Höchstmaß hinausgehende Mehrarbeit sind im Arbeitszeitgesetz keine Zeitzuschläge vorgesehen. Wer also quasi gesetzwidrig mehr arbeitet als er darf, kann vom Arbeitgeber nur die reguläre
Stundenvergütung ohne Zuschläge verlangen.
9. Fallösung
Es bringt der Arbeitgeberin Coco Cianelli und dem Arbeitgeber Hitchcock nichts, wenn sie die geschuldete Wochenarbeitszeit
der Arbeitnehmer Wankel, Liebknecht und Bultmann nicht in den Arbeitsverträgen festlegen. Soweit in Vollzeitarbeitsverhältnissen nichts geregelt ist, gilt die tarifliche oder übliche Wochenarbeitszeit als
vereinbart. Dies mag in den vorliegenden Fällen eine Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche sein. Mangels anderer Regelungen muß alle Arbeitszeit, die darüber hinaus geleistet wird, zusätzlich zum Gehalt vergütet
werden. Überstundenzuschläge gibt es allerdings nicht, da kein Tarif gilt und vertraglich nichts geregelt ist.
Darüber hinaus legt das Arbeitszeitgesetz verbindlich tägliche und wöchentliche
Höchstarbeitszeiten fest (8, maximal 10 Stunden pro Arbeitstag, 48, maximal 60 Stunden pro Arbeitswoche bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden in einem Ausgleichszeitraum von 6
Monaten).
Die Arbeitgeber müssen deshalb damit rechnen, daß sie bei einer Klage ihrer Arbeitnehmer zu erheblichen Vergütungsnachzahlungen verurteilt werden können.