Frage:
 
 Darf der Arbeitgeber die Arbeitsvergütung soweit reduzieren, wie er es möchte, oder wie er es wirtschaftlich für vertretbar hält? Muß ich mir Lohnreduzierungen gefallen lassen oder habe ich bei einer
                                Vollzeitbeschäftigung einen Anspruch auf einen auskömmlichen Lohn?
 
 Diese Fragen stellen sich gerade heute, wo in der Politik um die Einführung eines Mindestlohnes gerungen wird und andererseits die Politik den
                                Verweis auf Gerichte tätigt bzw. ein neues Gesetz gegen sittenwidrige Löhne plant.
 
 Was aber ist ein sittenwidriger Lohn oder eine Wuchervergütung?
 
  Der Fall:
 
  Der Gemüsehändler Caligula beschäftigt den vormals arbeitslosen Notendekorateur Engelbert Humperdinck als Gemüseschlepper, Fahrer, Marktschreier und Verkäufer. Caligula zahlt volle 4,50 Euro brutto pro Stunde.
                                    Der mit 40 Wochenstunden vollzeitbeschäftigte Humperdinck erreicht somit einen Monatslohn von 780 Euro brutto.
  
  Die Friseursaloninhaberin Maria Montessori beschäftigt die gelernte Friseurin Alma Mahler-Werfel.
                                    Sie zahlt ihr pro Kundin den Satz von 3,50 Euro. Bei regem Kundenandrang erreicht Alma so ein Monatseinkommen von ca. 600 Euro brutto.
  
  Als beide Mitarbeiter sich beschweren, verweist Caligula darauf, daß er
                                    sich auch einen Rumänen für 4 Euro die Stunde nehmen könnte. Maria Montessori verweist darauf, daß Alma schließlich noch zusätzlich Trinkgelder von ihren Kundinnen kassiert.
 
 
  Die Lösung:
 
 
  1. Aktuelle Problematik
 
  In immer mehr Branchen sinken die Vergütungen ab. Teilweise wird versucht, das unternehmerische Risiko auf Arbeitnehmer zu übertragen, indem Arbeitnehmer an Verlusten, Risiken, Schäden, ausbleibenden
                                    Kundenzahlungen oder an allgemeinen Kosten beteiligt werden.
  
  Seit geraumer Zeit beschäftigt sich die Rechtsprechung mit der Frage der sittenwidrigen Vergütung. In der Politik ist die Debatte angeheizt worden
                                    durch den Streit um die Einführung eines Mindestlohnes. Objektiv stellt sich das Problem, daß in manchen Bereichen mittlerweile keine oder kaum noch auskömmliche Löhne gezahlt werden.
  
  Besonnene Geister
                                    verweisen darauf, daß die Rechtsprechung mit dem bereits bestehenden rechtlichen Instrumentarium Auswüchse im Lohnsektor bekämpft und auch zukünftig bekämpfen kann. Voraussetzung ist allerdings, daß die
                                    betroffenen Arbeitnehmer vor das Arbeitsgericht gehen und klagen. Dies ist wiederum für den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht in jedem Falle förderlich.
 
 
  2. Vertragsfreiheit
 
  Im gesamten Zivilrecht und damit auch im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dies bedeutet, daß zunächst Arbeitgeber und Arbeitnehmer die arbeitsvertraglichen Konditionen frei aushandeln können.
                                    Dabei handelt es sich nicht nur um den Stundenlohn oder die Monatsvergütung, sondern auch um weitere Konditionen, wie z.B. Gratifikationen, freiwillige Leistungen, Urlaub und Kündigungsfristen. Diese sog.
                                    „Privatautonomie“ gilt jedoch nicht schrankenlos. Die schon im Jahre 1900 vom Gesetzgeber mit dem BGB gesetzten Schranken sind mittlerweile im Rahmen des Sozialstaates und der sozialen Marktwirtschaft durch
                                    Gesetzgeber und Rechtsprechung immer enger gezogen worden.
 
 
  3. Grenzen der Vertragsfreiheit
 
  Die Vertragsfreiheit hatte in unserem Rechtssystem von Anfang an 4 Grenzen, nämlich:
  
  (1) § 136 BGB Gesetzeswidrigkeit. Verträge dürfen nicht gegen zwingendes Gesetzesrecht verstoßen. So können Verträge nicht
                                    das Kündigungsschutzgesetz oder die Steuergesetze außer Kraft setzen oder mißachten. Zu diesen zwingenden Vorschriften zählen im Bereich des Arbeitsrechtes auch teilweise Tarifverträge sowie
                                    Betriebsvereinbarungen.
  
  (2) § 138 BGB Sittenwidrigkeit. Verträge dürfen weder die Grenze zur Sittenwidrigkeit, noch zum Wucher überschreiten. Sittenwidrigkeit bezieht sich dabei nicht nur auf Tatbestände
                                    sexueller Art, sondern ist viel weiter gefaßt.
  
  (3) § 242 BGB Treu und Glauben. Verträge dürfen nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen.
  
  (4) Objektive Unmöglichkeit. Verträge, die auf
                                    einen objektiv unmöglichen Inhalt oder eine objektiv unmögliche Leistung gerichtet sind, sind von Anfang an nichtig, da solche Verträge keinen Sinn ergeben.
  
  Diese Grenzen der Vertragsfreiheit sind
                                    mittlerweile durch die Vorschriften des Grundgesetzes, durch das Rechts- und Sozialstaatsprinzip, durch den aus Artikel 1 GG folgenden Schutz der Menschenwürde, den aus Art. 3 GG folgenden
                                    Gleichbehandlungsgrundsatz, durch die in Art. 12 GG garantierte Berufsfreiheit, insbesondere auch durch die aus Art. 14 Abs. 2 GG folgende Sozialbindung des Eigentums weiter eingeschränkt worden.
  
  Dies
                                    bedeutet, daß die Arbeitgeber Caligula und Maria Montessori mit ihren Mitarbeitern nicht einfach vereinbaren können, was sie wollen. Die Vertragsparteien auch im Arbeitsrecht sind an Recht und Gesetz, an ggf.
                                    zwingende Tarifverträge und allgemeine Rechtsgrundsätze unseres Sozialstaates gebunden.
 
 
  4. Interessenkonflikt
 
  Arbeitgeber unterliegen wegen der zunehmenden Kostenschere, wegen der Folgen der Globalisierung und eines z.T. massiven Preisverfalles, wegen ruinöser Konkurrenz, aber auch wegen einfachem Gewinnstreben der
                                    Versuchung oder dem Zwang, die Kostenstruktur in ihrem Unternehmen und damit auch die Vergütungen der Arbeitnehmer soweit wie möglich abzusenken, um konkurrenzfähig zu bleiben.
  
  Bei diesem Bestreben geraten
                                    Arbeitgeber sehr schnell und sehr leicht in Konflikt mit dem Gesetz oder Tarifverträgen bzw. mit den Regeln, die die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zu Lohnfragen wie auch zur Gestaltung des Arbeitsvertrages
                                    ausgeurteilt hat.
  
  Gleichwohl finden sich niedrige Löhne mittlerweile nicht nur bei Arbeitnehmern, die keinerlei Ausbildung besitzen oder bei Geringqualifizierten. Auch bei Arbeitnehmern mit einer
                                    Berufsausbildung finden sich in bestimmten Branchen Löhne, deren Höhe auch in der Politik mittlerweile als problematisch angesehen werden.
  
  Dazu kommt noch die Tendenz, arbeitslose Bewerber, Berufsanfänger
                                    oder Universitätsabsolventen über ein „Praktikum/ein Volontariat/ein Trainee-Programm“ zunächst unentgeltlich zu beschäftigen. Immer mehr auch hochbezahlte Berufsanfänger begnügen sich zunächst mit einem z.T.
                                    jahrelangen kaum bezahlten Praktikum in der Hoffnung auf eine Festanstellung.
 
 
  5. Klage
 
  Alle diese unterbezahlten oder gar nicht bezahlten Mitarbeiter, die unter den verschiedensten „Etiketten“ in Unternehmen arbeiten, hoffen auf eine Regierungsinitiative, um dem Mißstand Herr zu werden, dem auch
                                    sie unterliegen.
  
  Hier ist jedoch zur Klarstellung zu sagen:
  
  Der Gesetzgeber kann nur demjenigen helfen, der auch bereit ist, sein Recht vor Gericht einzuklagen. Schon nach geltendem Recht kann bei
                                    sittenwidrigen oder gesetzeswidrigen Vergütungen und Vertragsbedingungen mit Aussicht auf Erfolg geklagt werden. Egal welche Lösung sich die Politik einfallen läßt: Auch in Zukunft wird sich nichts daran ändern,
                                    daß jeder Vertragspartner, der sich gesetzes- oder Sittenwidrig benachteiligt fühlt, vor Gericht gehen und selbst klagen muß. Diese Arbeit kann niemand anderes für ihn erledigen!