Der Fall:
 
  Arbeitgeber Philipp Reis betreibt einen großen Telefonhandel mit einer kleinen Telefonproduktion. Nachdem der Leiter der Forschungsabteilung altersbedingt ausschied, wirbt er von einer
                                    Konkurrenzfirma als neuen Leiter der Forschungsabteilung den berühmten Eduard Bell ab. Während Philipp Reis noch mit Eduard Bell verhandelt, plant er jedoch bereits, die Telefonproduktion und Forschungsabteilung
                                    zu schließen und zukünftig Telefone nur noch aus China zu beziehen, um sie in Deutschland zu vertreiben.
  
  Eduard Bell kündigt seinen Arbeitsplatz und tritt bei Philipp Reis an. Bereits nach 3 Monaten kündigt
                                    Philipp Reis, weil er in China handelseinig wurde und Forschungsabteilung nebst Produktion stillegt.
  
  Eduard Bell fühlt sich hereingelegt und verlangt Schadenersatz, weil Philipp Reis ihn über die
                                    Gesamtumstände nicht aufgeklärt hat.
 
 
  Die Lösung:
 
 
  1. Anbahnung eines Vertragsverhältnisses
 
  Bei der Anbahnung eines Vertragsverhältnisses haben die Verhandlungspartner nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches die Pflicht, miteinander fair umzugehen und eine
                                    Schädigung des Verhandlungspartners nach Treu und Glauben zu vermeiden. Die Rechtsprechung nannte diese Pflicht zur Schadensvermeidung „culpa in contrahendo“.
  
  Wird diese Pflicht verletzt, so muß der
                                    schuldhaft handelnde ggf. Schadenersatz leisten.
 
 
  2. Rücksichtnahmepflicht im Arbeitsverhältnis
 
  Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erwachsen aus einem Schuldverhältnis einer Vertragspartei nicht nur Leistungs-, sondern auch Verhaltenspflichten zur Rücksichtnahme auf
                                    die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Vertragsteils.
  
  Gerade im Arbeitsrecht beinhaltet die vertragliche Rücksichtnahmepflicht auch eine Pflicht zur Aufklärung dahingehend, daß die eine
                                    Vertragspartei die andere unaufgefordert über Umstände informieren muß, die für den Vertragspartner und seine Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses erheblich sind.
  
  Der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer sind dann zur Aufklärung verpflichtet, wenn Gefahren für das Leistungs- oder Integritätsinteresse des Gläubigers bestehen, von denen dieser ganz ersichtlich keine Kenntnis
                                    hat oder haben kann.
  
  Deshalb darf ein Arbeitgeber, der Vertragsverhandlungen eingeht, bestehende Umstände – gleich welcher Art –, die die vollständige Durchführen des Rechtsverhältnisses in Frage stellen,
                                    nicht verschweigen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ihm diese Umstände bekannt sind oder bekannt sein müssen.
 
 
  3. Unternehmerische Entscheidung
 
  Die sich aus den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB begründende Aufklärungspflicht gegenüber einem Bewerber über einen möglichen Stellenabbau tritt nicht erst dann ein, wenn
                                    die unternehmerische Entscheidung bereits endgültig getroffen ist und die Umsetzung unmittelbar bevorsteht oder gar schon durchgeführt wird. Es reicht vielmehr aus, daß eine hinreichende Konkretisierung gegeben
                                    ist.
 
 
  4. Hinreichende Konkretheit
 
  Eine Auskunftspflicht des Arbeitgebers wegen des Wegfalls der zu besetzenden Stelle kann sich aus Treu und Glauben allerdings erst dann ergeben, wenn die Planungen für den Wegfall oder
                                    die Umstrukturierung eine hinreichende Reife und Konkretheit aufweisen. Dies setzt voraus, daß sich der Arbeitgeber jedenfalls im Grundsatz dazu entschlossen hat, bestimmte Stellen zu streichen oder zu
                                    verlagern.
  
  Der Stellenabbau muß hinreichend bestimmt und in Einzelheiten bereits absehbar sein. Die bloße Möglichkeit oder Idee reicht nicht aus, um eine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers zu begründen.
  
  Achtung: Alleine das Bestehen einer schlechten wirtschaftlichen Lage, die dem Arbeitnehmer zudem bekannt sein könnte, begründet noch keine Auskunftspflicht des Arbeitgebers, wenn noch keine konkrete, mehr oder
                                    weniger abgeschlossene Planung besteht, diesen Arbeitsplatz zu streichen.
  
  Im vorliegenden Fall hat Philipp Reis während der Verhandlungen mit Eduard Bell aber bereits konkret mit Partnern in China verhandelt.
                                    Der Wegfall der Forschungsabteilung und der Produktion war schon hinreichend reif und konkret. Philipp Reis hatte eine Aufklärungspflicht.
  
  Wegen Verletzung der Aufklärungspflicht kann Arbeitnehmer Eduard Bell
                                    von Philipp Reis Schadenersatz verlangen.