Frage:
In der sozialen Marktwirtschaft hat der Arbeitgeber die unternehmerische Freiheit, darüber zu entscheiden, mit wie viel Arbeitnehmern er was produzieren oder bewerkstelligen will. Reicht
es deshalb aus, daß bei einer betriebsbedingten Kündigung der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat und dem Arbeitsgericht sich auf seine marktwirtschaftlich gesicherte, unternehmerische Entscheidung beruft?
Der Fall:
Arbeitgeber Gilbert Bécaud hat in Deutschland einen Metallverarbeitungsbetrieb eröffnet. Nach 3 Jahren organisiert er um. Er will die Arbeitsvorbereitung, die der Produktion
vorgeschaltet ist, abschaffen und die Tätigkeiten der Arbeitsvorbereitung in die Produktionsabteilung verlagern. Damit kann er die dort bisher beschäftigten Arbeitnehmer Isaac Singer und Erasmus von Rotterdam
entlassen.
Als diese vor dem Arbeitsgericht gegen die betriebsbedingte Kündigung klagen und auf Weiterbeschäftigung bestehen, beruft sich Gilbert Bécaud auf die Vertragsfreiheit und die unternehmerische
Entscheidungsfreiheit. Seine Rationalisierungsentscheidung sei gerichtlich nicht überprüfbar.
Die Lösung:
1. Kündigungsschutzgesetz
Auf das Arbeitsverhältnis der Kläger fand das Kündigungsschutzgesetz mit dem allgemeinen Kündigungsschutz Anwendung, weil sie länger als 6 Monate im Betrieb beschäftigt waren und im
Unternehmen mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt sind.
Würde das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finden, so kann der Arbeitgeber Gilbert Bécaud das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der
arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist jederzeit kündigen.
2. Betriebsbedingte Kündigung
Die betriebsbedingte Kündigung setzt neben einer richtigen Sozialauswahl voraus, daß entsprechende Arbeitsplätze auf Dauer weggefallen sind und eine anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit auf freien Arbeitsplätzen innerhalb des Betriebes oder eines anderen Betriebes im Unternehmen nicht besteht.
Im vorliegenden Falle meint der Arbeitgeber, daß 2 Arbeitsplätze
weggefallen sind dadurch, daß er die Arbeitsvorbereitung aufgelöst hat. Der Arbeitgeber schafft sich durch seine eigene Entscheidung selbst die Bedingung für den Wegfall der Arbeitsplätze und den
betriebsbedingten Kündigungsgrund.
Nach den allgemeinen Regeln des BGB (§ 162 BGB) kann sich normalerweise derjenige, der einen Bedingungseintritt herbeiführt, sich nicht zu seinen Gunsten auf diesen
Bedingungseintritt berufen, da er selbst die Ursache gesetzt hat. Dies ist im Fall der betriebsbedingten Kündigung anders. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber durch eine
unternehmerische Entscheidung den Wegfall von Arbeitsplätzen selbst veranlassen und sich dann im Kündigungsschutzprozeß darauf berufen.
3. Unternehmerische Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht hat anerkannt, daß ein Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit selbst darüber entscheiden kann, ob er einen Betrieb führt, was er
herstellt oder welche Dienstleistung er erbringt und mit wie vielen Arbeitnehmern er seinen Betriebszweck erreichen möchte. Es ist nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte, Arbeitgebern in Bezug auf Betriebswirtschaft,
Technik und Finanzwirtschaft vorzuschreiben, wie sie ihren Betrieb führen wollen.
Im Rahmen dieser unternehmerischen Entscheidungsfreiheit kann ein Arbeitgeber auch entscheiden, ob er Arbeitsplätze zusätzlich
schafft oder Arbeitsplätze abbaut. Der Abbau von Arbeitsplätzen kann auf außerbetrieblichen Gründen oder auf innerbetrieblichen Gründen beruhen.
Außerbetriebliche Gründe können vorliegen bei Auftragsrückgang,
schlechter Konjunktur, Umsatzeinbruch, Änderungen der Technik, der Gesetze, der Kostenbelastung.
Innerbetriebliche Gründe können Rationalisierungsentscheidungen sein, Stillegungsentscheidungen, oder
Umstrukturierungsentscheidungen, aber auch Produkt- und Innovationsentscheidungen.
Die unternehmerische Entscheidung unterliegt nach der Rechtsprechung nur der Mißbrauchskontrolle. Sie ist nur zu überprüfen
darauf, ob sie in grober Weise unsachlich ist, ob sie willkürlich oder ob sie rechtsmißbräuchlich ist.
4. Abbau von Arbeitsplätzen
Wenn die unternehmerische Entscheidung den Abbau von Arbeitsplätzen beinhaltet, so kann dies deshalb richtig sein, weil auch die Arbeit tatsächlich weggefallen ist, z.B. durch
Auftragsrückgang, durch Wegfall von Kunden, aber auch durch Outsourcing und Verlagerung auf einen fremden Unternehmer.
Wird dagegen im Rahmen einer unternehmerischen Entscheidung der Abbau von Arbeitsplätzen
betrieben und die Arbeit dieser Arbeitsplätze auf andere im Betrieb verbliebene Arbeitnehmer verteilt, so akzeptiert die Rechtsprechung die alleinige Begründung, es läge eine unternehmerische Entscheidung vor,
nicht.
Vielmehr hat der Arbeitgeber in diesem Falle zur Begründung einer betriebsbedingten Kündigung darzulegen,
– welche konkreten Arbeitsaufgaben
– mit welchen Arbeitszeitvolumen
– auf welche Arbeitnehmer
– ab einem bestimmten Zeitpunkt
übertragen worden sind. Der Arbeitgeber hat weiter darzulegen, welche Arbeitsaufgaben mit welchem Arbeitszeitvolumen bisher die verbliebenen
Arbeitnehmer durchgeführt haben, auf die nunmehr weitere Arbeitsaufgaben übertragen werden sollen. Es ist dann zu prüfen, ob diese Neuverteilung der Arbeitsaufgaben auf die verbliebenen Arbeitnehmer und damit
die bisherige und zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge ohne überobligatorische Leistungen und ohne übermäßige Belastung des verbliebenen Personals überhaupt möglich ist. Nur dann wird die unternehmerische
Entscheidung von den Arbeitsgerichten akzeptiert.
Achtung: Dies bedeutet, daß Arbeitgeber Gilbert Bécaud nicht einfach behaupten kann, er werde die Arbeiten von Isaac Singer und Erasmus auf andere Mitarbeiter
verteilen. Die Gerichte prüfen auch, ob diese unternehmerische Entscheidung tatsächlich realistisch ist und umgesetzt werden kann. Nur wenn der Arbeitgeber diesen Nachweis erbringt, wird in diesem Falle seine
Kündigung rechtswirksam sein.