Folge 304

AGG XI – Durchführung des Arbeitsverhältnisses


Frage:

    Muß ich es als Frau mir gefallen lassen, daß stets ich im Büro den Kaffee kochen muß? Ist es richtig, daß Teilzeitkräfte wegen der Teilzeit kein Weihnachtsgeld, keine Betriebsrente und kein Fahrgeld bekommen?
    Dürfen islamische Mitarbeiter während der Arbeitszeit ihre 5 Tagesgebete verrichten?


Der Fall:

    Im Betrieb von Adalbert Stifter herrscht noch „die gute alte Zeit“. Für verheiratete Mitarbeiter gibt es Zulagen, für Lebensgemeinschaften nicht. Das Kaffekochen wird noch von den weiblichen Mitarbeitern
    durchgeführt. Als K.u.K.-Österreicher hat er die Türkenkriege nicht vergessen. Deswegen dürfen seine türkischen Mitarbeiter den Hof kehren. Als Abteilungsleiter werden nur muttersprachliche Mitarbeiter befördert.

    Die Arbeitgeberin Anna Amalie aus Weimar kämpft gegen die Frauenunterdrückung. Deshalb werden in ihrem Betrieb zum Säubern der Maschinen und zu Reinigungsarbeiten nur Männer eingesetzt. Sie ist sehr
    aufgeschlossen. Als jedoch mohammedanische Mitarbeiter ihre Korangebete während der Arbeitszeit in ihrer Bibliothek verrichten wollten und türkische Mitarbeiterinnen mit dem Kopftuch die Kunden bedienten, hörte
    bei ihr die Toleranz auf. Das wollte sie nicht mitmachen. Liegen hier verbotene Diskriminierungen nach dem AGG vor?


Die Lösung:


1. Arbeitseinsatz

    Der Arbeitseinsatz und die Ausübung des Direktionsrechtes muß vom Arbeitgeber und den Vorgesetzten diskriminierungsfrei erfolgen. Aus diesem Grunde müssen in vielen Betrieben traditionelle Verhaltensweise bzw.
    „liebgewordene“ Vorgänge kritisch überprüft werden.

    Es ist z.B. diskriminierend, wenn nur weibliche Mitarbeiter Kaffee kochen, zu Konferenzen die Tafel richten oder nur ausländische Mitarbeiter niedrige
    Tätigkeiten verrichten, wie z.B. Hofkehren oder ähnliches.

    Auch eine umgekehrte Diskriminierung i.S.v. Anna Amalie ist rechtlich problematisch.


2. Vergütung

    In Vergütungsfragen fanden in der Vergangenheit zahlreiche Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechtes statt. Aus diesem Grunde müssen Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge, aber auch Arbeitsverträge
    auf solche Diskriminierungsinhalte überprüft werden. Dies gilt vor allem für Zusatzzahlungen, wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Fahrkostenersatz, Kurzulage etc.

    Nach dem Grundsatz „gleiche Arbeit für gleichen
    Lohn“ ist es rechtlich nicht haltbar, wenn Frauen für gleiche Arbeit weniger bekommen als Männer, wenn ausländische Mitarbeiter für gleiche Arbeit oder gar für qualifiziertere Arbeit weniger verdienen als
    deutsche Arbeitnehmer.

    Im Bereich der Vergütung stellt sich insbesondere das Problem der „mittelbaren Diskriminierung“. In den allermeisten Fällen findet eine unmittelbare Diskriminierung mittlerweile nicht
    mehr statt. Gleichwohl sind in der Vergangenheit immer wieder Arbeitnehmergruppen gebildet worden, die als Gruppe schlechtere Vertragskonditionen oder Vergütungen bekamen, als die anderen Mitarbeiter. Dies
    betraf vor allem Teilzeitmitarbeiter.

    Achtung: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts ist zu prüfen, ob innerhalb einer benachteiligten Gruppe ein Geschlecht oder
    eine Nationalität überwiegt. Sollte das der Fall sein, liegt eine mittelbare, verbotene Diskriminierung vor, sofern für die Schlechterstellung kein hinreichender sachlicher Grund gegeben ist.

    Es ist deshalb
    unzulässig, wenn Teilzeitmitarbeiter von Zusatzleistungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Betriebsrente, Feiertagsvergütung etc. ausgeschlossen werden.

    Ebenso unzulässig ist es, wenn z.B. eine bestimmte
    Arbeitergruppe mit überwiegenden Ausländeranteil von solchen Zusatzleistungen ausgenommen wird.


3. Gleichbehandlungsgrundsatz

    Nach dem AGG und der ständigen Rechtsprechung ist eine Schlechterstellung von Arbeitnehmergruppen diskriminierend. Sie stellt außerdem einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar. Eine Ausnahme gilt
    nur dann, wenn für die Schlechterstellung eine ausreichende sachliche Veranlassung vorliegt. Dies muß vom Arbeitgeber dann substantiiert dargelegt und nachgewiesen werden.

    Die Zahlung einer
    Verheiratetenzulage stellt nach dem AGG eine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung dar. Die Verheiratetenzulage/Familienzuschlag muß nach neuer Rechtslage auch an gleichgeschlechtlichen
    Lebenspartnerschaften aus Gründen der Gleichbehandlung gezahlt werden. Dies gilt allerdings nicht für allgemeine Lebensgemeinschaften ohne staatliche Anerkennung.


4. Beförderung

    Auch bei Beförderungen, Höhergruppierungen und sonstigen hierarchischen Verbesserungen muß der Arbeitgeber neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch die Benachteiligungsverbote des AGG beachten. Dies bedeutet,
    daß generell eine Beförderung von „nur“ Muttersprachlern, d.h. von deutschstämmigen Mitarbeitern, einen Diskriminierungstatbestand darstellt. Ebenso dürfen Frauen bei Beförderungen wegen des Geschlechtes nicht
    benachteiligt werden. Die deutsche Wirtschaft hat insoweit einen großen Nachholbedarf.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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