Folge 301

AGG VIII – Geschützter Personenkreis / Stellenausschreibung


Frage:

    Werden durch das AGG eigentlich nur Arbeitnehmer geschützt oder auch andere Personen, die diskriminiert werden? Wie verhält sich das mit Bewerbern, die noch nicht einmal in der Firma
    sind? Gerade Stellenausschreibungen bereiten zunehmend Probleme, da immer mehr Formulierungen verboten oder mißverständlich sind. Was muß ein Arbeitgeber bei der Stellenausschreibung nach dem AGG beachten?


Der Fall:

    Die Schriftstellerin Christine Brückner leitet im „Brotberuf“ die Mensa der Marburger Universität. Sie muß neues Personal einstellen. Die Bewerber Prinz Eugen, Paul Cezanne und Auguste
    Victoria werden abgelehnt. Alle drei Bewerber meinen, daß die Ablehnung diskriminierend sei und sie wollen klagen. Der gehbehinderte Prinz Eugen führt den Ablehnungsgrund auf seine Behinderung zurück. Paul
    Cezanne meint, daß er als Ausländer, Südfranzose und Gauloise-Raucher unerwünscht sei. Auguste Victoria glaubt, daß sie als entlassene deutsche Kaiserin und als Frau keine Chance gehabt habe.

    Charles Darwin
    arbeitet als Vorstandsmitglied in der neuen Behring- und Röntgen-Stiftung. Er hat sich für den Vorstandsvorsitz beworben. Er wurde abgelehnt und statt seiner ein Staatssekretär aus Wiesbaden
    Vorstandsvorsitzender. Charles Darwin führt die Ablehnung auf eine Diskriminierung wegen seiner speziellen Weltanschauung zurück.

    Der Arbeitgeber Al Capone betreibt ein florierendes Familienunternehmen. Wegen
    hoher arbeitsbedingter Ausfallquoten braucht er dringend Nachwuchs und neue Mitarbeiter, insbesondere Auszubildende und erfahrene Gebietsmanager sowie dynamische Schutzgeldkassierer. Er weiß nicht, wie er nach
    dem neuen AGG die Stellenausschreibung gestalten soll, um Diskriminierungsklagen und ein entsprechendes Presseecho zu vermeiden.


Die Lösung:


1. Geschützter Personenkreis

    In der Formulierung des AGG ist im arbeitsrechtlichen Teil immer die Rede von „Beschäftigten“, die geschützt werden sollen. Daraus geht aber nicht hervor, wie dieser Begriff gemeint ist.

    § 6 AGG hat deshalb den Begriff der „Beschäftigten“ im Sinne dieses Gesetzes definiert und viel weiter gefaßt, als der Begriff es vermuten läßt:

    – Beschäftigte sind zunächst Arbeitnehmerinnen und
    Arbeitnehmer, egal ob Arbeiter oder Angestellte.

    – Beschäftigte sind auch die zu ihrer Berufsausbildung in den Betrieben eingestellten Azubis.

    – Als Beschäftigte gelten weiter Personen, die wegen ihrer
    wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind. Arbeitnehmerähnliche Personen sind zwar rechtlich unabhängig, in der Regel aber wirtschaftlich von ihrem Arbeitseinkommen oder
    Auftraggeber abhängig. Darunter fallen insbesondere Freie Mitarbeiter aller Art, freie Handelsvertreter mit kleinen Einkommen, freie Journalisten, aber auch Heimarbeiter und Hausgewerbetreibende sowie die ihnen
    Gleichgestellten. Dazu können auch „Subunternehmer“ gehören die im Wesentlichen nur einem Auftraggeber zuarbeiten.

    – Wichtig: Als Beschäftigte im gesetzlichen Sinne gelten auch Bewerberinnen und Bewerber für
    ein Beschäftigungsverhältnis, sowie Personen, die aus einem Beschäftigungsverhältnis bereits wieder ausgeschieden sind. Auch wenn diese Personen kein Beschäftigungsverhältnis (mehr) haben, gelten sie als
    geschützte Beschäftigte!

    – Soweit es um die Einstellung für eine Erwerbstätigkeit geht oder um den beruflichen Aufstieg, die Beförderung, gilt das AGG in wesentlichen Teilen auch für Selbständige und
    Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Vorstände entsprechend.

    Dies bedeutet, daß sich Charles Darwin auf den Schutz des AGG bei seiner Bewerbung um den Vorstandsvorsitz berufen kann, wenn er
    benachteiligt wurde, obwohl er kein Arbeitnehmer ist. Die abgelehnten Bewerber Prinz Eugen, Paul Cezanne und Auguste Victoria haben als abgelehnte Bewerber ebenfalls die Möglichkeit, sich auf die
    Benachteiligungsverbote des AGG zu berufen.


2. Stellenausschreibung

    Die Zeiten, in denen der Arbeitgeber eine Stellenausschreibung im Betrieb, in der Presse etc. so gestalten konnte, wie er sich das vorstellt, sind längst vorbei. Schon seit Jahren gilt
    der § 611 b BGB. Danach ist die geschlechtsbezogene Ausschreibung eines Arbeitsplatzes innerbetrieblich oder öffentlich strikt untersagt, es sei denn, ein bestimmtes Geschlecht ist unverzichtbare Voraussetzung
    für die betreffende Tätigkeit.

    Gleichwohl finden sich bis heute Stellenanzeigen, in denen entweder nur weibliche oder männliche Bewerber gesucht werden.

    Das AGG hat die Bedingungen erheblich verschärft
    und verlangt nun, daß keine diskriminierenden Bestandteile in einer Stellenausschreibung enthalten sind.


3. Pflicht zur benachteiligungsfreien Stellenausschreibung

    Die Geltung des AGG erstreckt sich nicht nur auf den Arbeitsvertrag und das bestehende Arbeitsverhältnis, sondern auch auf das Vertragsanbahnungsverhältnis. Aus diesem Grunde müssen
    Stellenausschreibungen wie auch die Auswahl der Bewerber und die Einstellungsentscheidung frei von Diskriminierungen sein.

    Der Gesetzgeber hat deshalb in § 11 AGG geregelt, daß ein Arbeitsplatz nicht unter
    Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden darf. Dies gilt nach dem Willen des Gesetzgebers auch für Ausschreibungen im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung.

    Tipp: Jedem Arbeitgeber ist dringend zu raten, Stellenausschreibungen so neutral wie möglich zu formulieren. Es ist zu empfehlen, daß sich die Stellenausschreibung ausschließlich auf die Tätigkeit selbst und die
    im Rahmen der Tätigkeit notwendigen Anforderungen bezieht. Alle sonstigen Attribute, die nicht unmittelbar die Tätigkeitsausübung betreffen, haben in der Stellenausschreibung keinen Platz mehr.

    Vermieden werden sollen insbesondere Formulierungen wie:

    – Erfahrener alter Hase; damit werden jüngere Bewerber wegen des Alters diskriminiert.

    – Junge dynamische Schutzgeldkassiererin; hier liegt
    ebenfalls eine Diskriminierung wegen des Alters und des Geschlechtes vor.

    – Muttersprachler/akzentfreie deutsche Aussprache; Diskriminierung von Ausländern, soweit akzentfreies Deutsch für die Berufsausübung
    nicht unabdingbar notwendig ist.

    – Fehlerfrei Beherrschung der deutschen Schrift; Benachteiligung von Ausländern, allerdings auch von vielen Deutschen!

    – Mindest-Körpergröße, Höchstgewicht, bestimmter Body-Mass-Index.

    – Mindestens 10/15 Jahre ununterbrochene Berufstätigkeit; Diskriminierung von jungen Frauen, die Kinder bekamen und ggf. in Elternzeit waren.

    – Uneingeschränkte körperliche Belastbarkeit; mittelbare Diskriminierung von Behinderten.

    Dagegen ist eine genaue Beschreibung der Tätigkeit und der dabei erforderlichen Eigenschaften und Fähigkeiten
    richtig und unbedenklich.

    Achtung: Diese Pflicht zur Stellenausschreibung ohne Diskriminierung und Benachteiligung muß vom Arbeitgeber ernst genommen werden. Angesichts der Beweiserleichterung bzw.
    Beweislastumkehr des § 22 AGG stellt eine diskriminierende Stellenausschreibung stets einen wichtigen Baustein für die Feststellung der Diskriminierung und Verurteilung zu Schadenersatz/Entschädigung dar.


4. Stellenvermittler

    Wer sich als Arbeitgeber zur Stellenausschreibung eines Dritten bedient, z.B. eines „Headhunters“ oder eines Stellenvermittlers, muß ebenfalls darauf achten, daß dieser die Pflicht zur
    neutralen Stellenausschreibung beachtet. Verletzt der Dritte diese Pflicht, so wird die Pflichtverletzung dem Arbeitgeber zugerechnet. Der Arbeitgeber kann dann zur Entschädigung verurteilt werden.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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