(Stand 2025)
Frage:
Ich bin 53 Jahre alt und alle Bewerbungen scheitern. Kein Arbeitgeber will mich nehmen. Werde ich wegen meines Alters diskriminiert?
Muss ich automatisch in Rente gehen, wenn ich 65/67 Jahre alt werde? Warum darf ich nicht weiterarbeiten?
Kann ich als Arbeitgeber gewisse Mindestanforderungen an das Lebensalter und die Berufserfahrung stellen?
Der Fall:
Arbeitgeber Andrea Palatio baut komplizierte Villen. Alle Bauleute und Architekten, die er einstellt, muss er für seine Zwecke ausführlich schulen. Deshalb möchte er keinen Bewerber einstellen, der älter als 55 Jahre ist.
Arbeitgeber Johannes Keppler ist sehr sozial und hat eine betriebliche Altersversorgung für seine Astronomen und Astronauten eingeführt.
Die betriebliche freiwillige Altersversorgung will er aber nur an Mitarbeiter zahlen, die eine Wartezeit von 15 Jahren erfüllen und damit beim Eintritt nicht älter als 50 Jahre alt sind. Außerdem will er Hinterbliebenenrente nur an die Hinterbliebenen zahlen, die höchstens 15 Jahre jünger, als der Arbeitnehmer sind.
Die 17jährige Lucretia Borgia hat den 63jährigen Galileo geheiratet. Sie findet es diskriminierend, dass sie von der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen werden soll.
Die Lösung:
1. Zulässige Differenzierung bei Alter
Nach § 10 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn diese unterschiedliche Behandlung objektiv angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Auch die Mittel zur Erreichung dieses Zieles müssen angemessen und erforderlich sein.
Der Gesetzgeber hat damit im Gegensatz zu den anderen Diskriminierungstatbeständen deutlich leichtere Rechtfertigungsmöglichkeiten für eine unterschiedliche Behandlung des Alters zugelassen. Die Möglichkeit, bei objektiven und angemessenen Gründen Altersunterschiede zu berücksichtigen, gilt sowohl für
Individual-Arbeitsverträge, wie auch für Kollektiv-rechtliche Regeln (Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge).
Aus diesem Grunde ist es z.B. nach wie vor gerechtfertigt, wenn der Urlaubsanspruch in Tarifverträgen nach Lebensalter gestaffelt ist. Dies dient dem Gesundheitsschutz für ältere Arbeitnehmer. Hier liegt ein angemessener sachlicher Grund vor.
2. Eingliederung von Jugendlichen/älteren Beschäftigten
Nach § 10 Ziff. 1 AGG darf der Arbeitgeber besondere Altersgrenzen für die Einstellung von Bewerbern, wie auch für die berufliche Bildung im Unternehmen festlegen, wenn es um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, die Förderung von älteren Beschäftigten oder Personen mit Fürsorgepflichten geht.
In diesem Falle darf der Arbeitgeber für diese speziellen Arbeitnehmergruppen außerdem auch besondere Bedingungen für die Entlohnung und die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vertraglich vereinbaren. Der Gesetzgeber hält die Einführung besonderer Bedingungen für diese gefährdeten Arbeitnehmergruppen für angemessen und sachlich gerechtfertigt.
So hat er z.B. in § 14 Abs. 3 TzBfG geregelt, dass für vormals arbeitslose Arbeitnehmer eine kalendermäßige Befristung ohne sachlichen Grund für volle 5 Jahre – statt nur für 2 Jahre – zulässig ist, um deren Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.
3. Mindestanforderungen an Alter/Berufserfahrung/Dienstalter
Nach § 10 Ziff. 2 AGG ist es sachlich gerechtfertigt, dass der Arbeitgeber sowohl an das Lebensalter, wie auch an das Dienstalter oder die Berufserfahrung von Bewerbern Mindestanforderungen stellt. Dasselbe gilt auch für die Verteilung sonstiger Vorteile im Betrieb, z.B. bei der Beförderung.
Dies bedeutet im Ergebnis, dass der Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Freiheit nicht gezwungen ist, die Kriterien von Lebens- und Berufserfahrung zu ignorieren.
4. Festsetzung eines Höchstalters
Die Festsetzung eines Höchstalters bei Einstellungen ist nach § 10 Ziff. 3 AGG zulässig, wenn auf bestimmten Arbeitsplätzen spezifische Ausbildungsanforderungen sich stellen oder wenn
vor dem Eintritt in den Ruhestand eine angemessene Beschäftigungszeit noch zurückgelegt werden muss. Dies gilt vor allem dann, wenn das Erreichen des Rentenalters bereits absehbar ist, i.d.R. ab dem 55.
Lebensjahr.
Die gesetzgeberische Überlegung zielt auf Arbeitsverhältnisse, die eine aufwendige Einarbeitung und Einarbeitungszeit am Arbeitsplatz erfordern. Das gilt auch, wenn neben der Einarbeitung aufwendige zusätzliche Ausbildungen absolviert werden müssen. In diesen Fällen hat der Arbeitgeber ein berechtigtes betriebswirtschaftliches Interesse daran, dass eine sinnvolle Mindestdauer im Arbeitsverhältnis zurückgelegt wird, um eine produktive Arbeitsleistung für den Arbeitgeber zu gewährleisten. Schließlich ist das Arbeitsverhältnis von Gegenseitigkeit geprägt.
Weitere Beispiele:
– Die Höchstaltersgrenze kann auch zulässig sein, wenn eine bestimmte körperliche Belastbarkeit erforderlich ist, die evtl. bei höherem Lebensalter nicht mehr gewährleistet wird.
– Eine Höchstaltersgrenze ist sachlich gerechtfertigt, wenn im Film oder Theater ein jugendlicher Liebhaber gefordert wird.
– Dasselbe gilt, wenn ein Redakteur für Musiksendungen gesucht wird, die sich überwiegend an Jugendliche richten,
– eine Höchstaltersgrenze kann dann gerechtfertigt sein, wenn im Reisebüro ein Ansprechpartner speziell für Jugendliche und junge Kunden gesucht wird.
5. Betriebliche Altersversorgung
Nach § 10 Ziff. 4 AGG ist die Festsetzung von Altersgrenzen bei dem betrieblichen System der sozialen Sicherheit (betriebliche Altersversorgung) als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente zulässig.
Die Rechtsprechung hat schon in der Vergangenheit im Bereich der betrieblichen Altersversorgung verschiedene Altersgrenzen für zulässig erachtet. Der Gesetzgeber hat durch die neue gesetzliche Regelung die Zulässigkeit dieser Altersgrenzen bestätigt.
Dies gilt zum einen für Wartezeitregelungen. Dies gilt aber auch für Altersbegrenzungen bei Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber ist berechtigt, festzulegen, welchen Kreis von Arbeitnehmern er mit einer betrieblichen Altersversorgung bedenken will. Er will mit der Altersversorgung Betriebstreue entlohnen und die Mitarbeiter im Betrieb halten bzw. von einem Wechsel, z.B. zur Konkurrenz, abhalten. Deshalb kann er festlegen, dass Arbeitnehmer, die aufgrund des nahenden Rentenalters nicht mehr erhebliche Zeiten im Betrieb zurücklegen können, von ihm keine Altersversorgung bekommen.
Auch die sog. „Spätehenklausel“ ist nach bisheriger Rechtsprechung zulässig. Wenn Ehepartner wesentlich jünger sind als der Betriebsrentner, so braucht der Arbeitgeber für Hinterbliebene keine
Hinterbliebenenversorgung zu erbringen. Es soll u.a. verhindert werden, dass so die Betriebsgemeinschaft für „Versorgungsehen“ aufzukommen hat (sog. „Josephsehen“).
6. Ausscheiden wegen Rentenberechtigung
Nach § 10 Ziff. 5 AGG sind Vereinbarungen weiterhin zulässig, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsehen, zu dem der oder die Beschäftigte bei Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen Alters beantragen kann. Dies ist eine Befristung mit Sachgrund.
Aber nicht jede Möglichkeit des Rentenbezugs stellt einen ausreichenden Sachgrund dar. Kein Arbeitnehmer darf durch eine solche Befristung gezwungen werden, vorzeitig oder gar mit Abschlägen durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Rente zu gehen. Dies gilt vor allem auch für Schwerbehinderte. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Möglichkeit einer Altersrente wegen Schwerbehinderung zu beziehen, stellt eine rechtswidrige Diskriminierung dar.
Nach § 41 Sozialgesetzbuch VI ist der Anspruch auf Rente wegen Alters auch nicht als ein Grund anzusehen, der die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nach dem Kündigungsschutzgesetz bedingen kann. Allerdings ist auch nach dieser Vorschrift eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze möglich.
Diese Regelung des Gesetzes ist sachgerecht, um einer Überalterung der Belegschaft vorzubeugen und um junge Bewerber in Arbeit zu bringen.
7. Kündigung
Nach den bisher geltenden Regeln des Kündigungsschutzgesetzes sowie des BGB ist auch bei Kündigungen das Alter ein Kriterium, nach dem bei der Länge von Kündigungsfristen und bei der sozialen Schutzwürdigkeit differenziert werden darf. Wie sich hier zukünftig die Rechtsprechung entwickelt, bleibt abzuwarten.