Folge 299

AGG VI – Benachteiligung wegen Religion, Weltanschauung, Rasse und ethnischer Herkunft

(Stand 2025)


Frage:

Wann darf ich eine Bewerberin oder einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion oder Weltanschauung bei der Einstellung oder Beförderung ablehnen?

Ich bin Farbiger. Darf deshalb meine berufliche Entfaltung behindert werden?

Können mein Arbeitgeber und meine Arbeitskollegen mich nur deshalb ablehnen, weil ich ein Kopftuch trage?


Der Fall:

Die Psychologin und Nonne Hildegard von Bingen bewirbt sich bei der modernen Firma Marbach-Valley-Corporation. Sie wird abgelehnt, weil ihre altmodische Nonnentracht nicht ins Bild der IT-Elite passt. Fatima Saud möchte in einem Kaufhaus arbeiten. Der Personalchef lehnt ab, weil ihr Kopftuch Kunden abschrecken könnte.

Der ergraute Friedrich Engels bewirbt sich als Langzeitarbeitsloser für
einen Pförtnerposten im katholischen Altersheim. Der Vorstand lehnt ihn ab, weil unverbesserliche Marxisten in einer solchen Einrichtung Fehl am Platze sind.

Der Farbige Othello will in einer Kneipe bedienen. Der Gastwirt lehnt ab, weil er nur hellhäutige Europäer beschäftigt.

Gottlieb Daimler bewirbt sich bei einer oberbayerischen Molkereigenossenschaft. Die bayerischen Bauern lehnen die Beschäftigung von Schwaben ab, weil allein bei deren Anblick die Milch sauer wird.

Baruch Spinoza ist Außendienstmitarbeiter. Er bewirbt sich für ein neues Verkaufsgebiet in Asien. Arbeitgeber Nasser lehnt dies ab, weil er
befürchtet, daß jüdische Verkäufer in Asien wegen ihrer Abstammung schlechte Geschäfte machen.


Die Lösung:


1. Zulässige Benachteiligung wegen Religion/Weltanschauung

In § 9 AGG ist geregelt, dass Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften in den ihnen zugeordneten Einrichtungen eine Benachteiligung Andersgläubiger durchführen dürfen, wenn dies
unter Beachtung ihres Selbstverständnisses und nach der Art der Tätigkeit beruflich gerechtfertigt ist.

Darüber hinaus kann jede Weltanschauungsgemeinschaft oder Religion von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen.

Schließlich ist eine unterschiedliche Behandlung nach § 8 AGG zulässig, wenn die Diskriminierung wegen Zweck und Art der auszuübenden Tätigkeit rechtmäßig und angemessen ist.

Dieses Privileg der Religionen und Weltanschauungen und ihrer Unternehmungen bezieht sich aber in erster Linie nur auf Tendenzträger, die im Rahmen ihrer Tätigkeit auch mit der Verkündigung und Weiterverbreitung ihrer Religion oder Weltanschauung durch Wort oder Tat oder beispielhafte Tätigkeit zu tun haben. Mitarbeiter, die lediglich untergeordnete Bedeutung
haben und die Tendenz der Religion oder der Weltanschauung nicht nach außen tragen, sind davon nicht betroffen.

Aus diesem Grunde ist es nicht zulässig, wenn Friedrich Engels allein wegen seiner marxistischen Einstellung für den Pförtnerposten im konfessionellen Altersheim abgelehnt wird.

Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Pförtner darüber hinaus die Aufgaben hätte, im Rahmen von „Seelenpflege“ erbauende tröstende religiöse Gespräche mit den Heiminsassen zu führen.

Es wäre z.B. auch nicht zulässig, eine Putzfrau wegen der falschen Religion oder Weltanschauung in einem solchen konfessionellen Unternehmen abzulehnen. Andererseits aber kann der Träger der Einrichtung verlangen, dass Kindergärtnerinnen, Sozialarbeiter, Therapeuten, Hausleiter, Psychologen, Betreuungskräfte etc. die Tendenz des Unternehmens teilen.


2. Keine Rechtfertigung der Diskriminierung wegen Religion/Weltanschauung

Aus der Vorschrift des § 9 AGG folgt im Umkehrschluss, das außerhalb der Weltanschauungsgemeinschaften eine unterschiedliche Behandlung oder Benachteiligung wegen der Religion generell untersagt ist. Aus diesem Grunde ist es nicht zulässig, dass Hildegard von Bingen alleine wegen ihrer Nonnentracht in dem modernen IT-Unternehmen abgelehnt wird. Dies gilt jedenfalls solange, wie die Nonnentracht ihre Tätigkeit als IT-Expertin oder als Psychologin nicht beeinträchtigt.

Auch das islamische Kopftuch von Fatima Saud ist kein Grund, sie als Verkäuferin im Kaufhaus abzulehnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist alleine die Vermutung, dass die Kunden eine solche Verkäuferin ablehnen könnten, nicht geeignet, die Mitarbeiterin Fatima zu diskriminieren.

3. Politische Tendenzunternehmen

Nach bisheriger Rechtsprechung konnten Tendenzunternehmen der politischen Parteien oder der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände verlangen, dass ihre Mitarbeiter auch ihre weltanschaulichen, gewerkschaftlichen, politischen oder marktwirtschaftlichen Überzeugungen teilten.

Da in § 9 AGG politische Tendenzunternehmen nicht aufgeführt sind, kann gefolgert werden, dass nach der neuen Rechtslage diese Tendenzunternehmen nicht mehr verlangen können, dass sich ihre Beschäftigten mit ihrer politischen Ausrichtung identifizieren müssen. Das gilt jedenfalls für Arbeitnehmer, für deren Tätigkeit die Tendenz ohne Bedeutung ist.

Aus diesem Grunde ist z.B. im Bewerbungsgespräche die Frage nach der politischen Überzeugung oder Mitgliedschaft in politischen Parteien und sonstigen Organisationen in Zukunft jedenfalls höchst problematisch.

Achtung: Dies gilt auch für Presseunternehmen mit politischen Tendenzen. Die Chefredaktion kann einerseits verlangen, dass die Redakteure und Mitarbeiter die politischen Tendenzen des Blattes in der Berichterstattung nicht konterkarieren bzw. sich entsprechend einordnen, d.h. die Tendenz nach außen vertreten.

Dies bedeutet aber nicht, dass die Mitarbeiter dieses Tendenzen auch in ihrem privaten Bereich nach ihrer privaten Überzeugung vertreten müssten.


4. Gerechtfertigte Benachteiligung wegen Rasse/ethnischer Herkunft

Die Ablehnung eines Bewerbers oder Mitarbeiters alleine wegen seiner Rasse oder ethnischen Herkunft ist nach § 8 AGG nur zulässig, wenn eine andere Rasse oder ethnische Herkunft aufgrund der Art der auszuübenden Tätigkeit wesentlich und erforderlich ist und die Anforderung rechtmäßig und angemessen ist.

In der Praxis ist es nur schwer vorstellbar, dass eine Differenzierung wegen Rasse oder ethnischer Herkunft gerechtfertigt ist.

Im Fall des Außendienstmitarbeiters Baruch Spinoza reicht es jedenfalls nicht aus, zu vermuten, dass in Asien ein jüdischer Verkäufer, dessen Herkunft im Zweifel noch nicht einmal bekannt ist, schlechtere Geschäfte mache. Hier liegt eine ungerechtfertigte Diskriminierung vor.

Dasselbe gilt für die Bewerbung von Othello. Kein Gastwirt kann sich darauf berufen, dass er nur weiße, farbige, schwarze oder andere Mitarbeiter einstellt. Auch die Kundenerwartungen stellen insoweit keine wesentliche oder entscheidende berufliche Anforderung dar.

Schließlich kann die ethnische Herkunft des Schwaben Gottlieb Daimler kein Grund sein, in Bayern mit einem Beschäftigungsverbot belegt zu werden. Zumindest die Milch von glücklichen Kühen wird beim Anblick von Schwaben nicht generell sauer.

Achtung: Denkbar wäre es aber, dass z.B. landsmannschaftlich ausgerichtete Dienstleistungsbetriebe im Kundenbereich nur passende Mitarbeiter einstellen.

Beispiele: Im China-Restaurant sollen nur asiatisch aussehende
Mitarbeiter, in der Bayernstube nur passende Dirndl- und Lederhosenträger  eingestellt werden.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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