Der Fall:
 
  Der arbeitslose Musiker Dimitri Schostakowitsch ist beim erfolgreichen Entsorgungsunternehmer George Gershwin als Arbeiter beschäftigt. Gershwin unterhält u.a. einen großen Schrottplatz.
                                    Schostakowitsch ist dort seit vielen Jahren mit der Entsorgung von verschrotteten Autos beschäftigt.
  
  Daneben leitet er seit langem den kleinen Werkschor. Bei Betriebsfeiern nervt er Gershwin und die
                                    Mitarbeiter gerne mit eigenen kleinen Kompositionen.
  
  Der Schwerarbeit leistende Schostakowitsch ist seit 2003 vom Versorgungsamt mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. 2005 wurde ihm eine
                                    Kniegelenksprothese eingesetzt. Seitdem ist sein rechtes Bein nicht mehr voll belastbar. Insbesondere darf er seitdem nicht mehr als 15 kg heben und tragen. Deshalb kann er nicht mehr seine bisherige Arbeit auf
                                    dem Schrottplatz verrichten.
  
  Schostakowitsch schlägt vor, zukünftig den Werkschor mit neuen Kompositionen hauptamtlich zu betreuen. George Gershwin lehnt erschaudernd ab.
  
  Der mitleidige Platzwart Martin
                                    Heidegger hätte vielleicht einige Stunden pro Woche Arbeit im Bereich der Ersatzteilsortierung anzubieten. Der Betriebsrat Fritz Wunderlich fordert dagegen vom Arbeitgeber den Einsatz von mechanischen
                                    Hebevorrichtungen, um Schostakowitsch die Weiterarbeit auf dem Schrottplatz zu ermöglichen.
  
  Arbeitgeber Gershwin lehnt es ab, Schostakowitsch weiter zu bezahlen. Den Einbau von Arbeitshilfen hält er für viel
                                    zu teuer. Dimitri dagegen beklagt eine Diskriminierung als Schwerbehinderter. Er verlangt den vollen Lohn.
  
  Muß George Gershwin zahlen?
 
 
  Die Lösung
 
 
  1. Ohne Arbeit kein Lohn
 
  Auch wenn es für manche Zeitgenossen erstaunlich klingen mag, so gilt doch im deutschen Arbeitsrecht weiter der Grundsatz: „Ohne Arbeit kein Lohn“. Dies bedeutet, daß der Arbeitnehmer
                                    generell verpflichtet ist, seine geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Nur dann ist der Arbeitgeber verpflichtet, als Gegenleistung den vereinbarten Lohn zu zahlen.
  
  Entscheidend ist dafür die
                                    arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit. Schostakowitsch ist als angelernter Arbeiter beschäftigt. Er muß nach dem Arbeitsvertrag sämtliche anfallenden Arbeiten, egal wie schwer, verrichten.
  
  Vom Grundsatz
                                    „ohne Arbeit kein Lohn“ gibt es Ausnahmen. Zu diesen Ausnahmen zählen Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Ausnahmsweise muß der Arbeitgeber auch dann den Lohn zahlen, wenn er sich im Annahmeverzug
                                    befindet.
 
 
  2. Annahmeverzug
 
  Das Institut des Annahmeverzuges ist in § 615 BGB geregelt. Danach kann der zur Ableistung von Arbeit verpflichtete Arbeitnehmer/Dienstverpflichtete die vereinbarte Vergütung vom
                                    Dienstherrn/Arbeitgeber verlangen, wenn dieser die angebotene Arbeit/Dienste nicht annimmt.
  
  Für die Lohnzahlungspflicht im Annahmeverzug spielt es keine Rolle, ob dem Arbeitgeber bei der Nichtannahme bzw. bei
                                    der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers ein Verschulden trifft. Entscheidend ist allein, ob er die vertragsgemäß angebotene Arbeit annimmt oder nicht.
  
  Beispiel: Fällt in einem Restaurant der Strom aus, so
                                    kann in der Küche weder gekocht werden, noch können die Gäste bedient werden. Der Arbeitgeber haftet für dieses Risiko. Er muß deshalb den Lohn an alle Bediensteten zahlen, auch wenn er das Lokal nicht betreiben
                                    kann.
 
 
  3. Vertragsgerechtes Angebot
 
  Voraussetzung für den Annahmeverzug ist allerdings ein vertragsmäßiges Angebot der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer. Nach § 297 BGB kommt der Arbeitgeber nicht in Verzug, wenn der
                                    Arbeitnehmer – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage ist, vertragsgemäß seine Arbeitsleistung anzubieten oder zu erbringen.
  
  Dimitri Schostakowitsch ist nicht in der Lage, seine Arbeitsleistung
                                    vertragsmäßig zu erbringen. Aus gesundheitlichen Gründen ist er nur noch eingeschränkt belastbar. Das am Schrottplatz erforderliche Heben von schweren Lasten ist ihm gesundheitlich nicht mehr möglich.
  
  Aus
                                    diesem Grunde kann Schostakowitsch den Arbeitgeber Gershwin nicht in Annahmeverzug versetzen. Er hat keinen Vergütungsanspruch nach § 615 BGB.
  
  Beachte: Im Rahmen des Annahmeverzugs ist der Arbeitgeber
                                    generell nicht gehalten, seine Arbeitsorganisation zu ändern oder den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers mit technischen Arbeitshilfen auszustatten. Der Arbeitgeber kann vielmehr dem Grundsatz nach zunächst auf
                                    Einhaltung des Arbeitsvertrags bestehen.
 
 
  4. Direktionsrecht
 
  Im Rahmen des Direktionsrechtes kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch den
                                    Arbeitsvertrag genau geregelt sind. Nach § 106 Satz 3 Gewerbeordnung muß der Arbeitgeber allerdings bei Ausübung seines Ermessens auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen.
  
  Hätte Arbeitgeber
                                    Gershwin einen anderen freien Arbeitsplatz für Schostakowitsch im Betrieb, so müßte er dem Arbeitnehmer im Rahmen des billigen Ermessens durch Versetzung ermöglichen, seine Arbeit dort fortzusetzen.
  
  Ggf.
                                    müßte auch daran gedacht werden, im Zuge einer Umsetzung von mehreren Arbeitnehmern im Wege des Direktionsrechtes eine Weiterbeschäftigung von Schostakowitsch zu ermöglichen.
  
  Eine solche Pflicht besteht aber
                                    dann nicht, wenn Betriebsrat oder Arbeitnehmer sich aus guten Gründen gegen eine solche Umsetzung zur Wehr setzen.
  
  Ein nur stundenweiser Einsatz bei Platzwart Heidegger würde das Problem nicht endgültig lösen.