Folge 261

Surfen im Internet – Fristlose Kündigung I


Der Fall

    Die moderne Arbeitgeberin Maria Theresia wickelt ihrer Unternehmens- und Finanzberatung nur noch über das Internet ab. Entsprechend sind ihrer Mitarbeiter während der gesamten
    Arbeitszeit im Internet beschäftigt. Seit dem Jahr 2000 befindet sich auf der Startseite des Unternehmens oben links ein rot unterlegter Hinweis: „Internet nur zum dienstlichen Gebrauch“. Wird dieser Hinweis
    angeklickt, so erfolgt eine gesperrt geschriebene Warnung. Darin wird mitgeteilt, daß jeder Zugriff auf Internetseiten mit pornografischem, gewaltverherrlichendem oder rassistischem Inhalt registriert und
    gespeichert wird und daß Mitarbeiter, die hier tätig werden, mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen.

    Außerdem hat Maria Theresia durch ein Rundschreiben an alle Mitarbeiter auf das Verbot zur
    privaten Internetnutzung hingewiesen.

    Im Zuge einer Routinekontrolle der Festplatte stellte Maria Theresia fest, daß der von ihr ungeliebte, aber altgediente Mitarbeiter Fritz Pommerol in den letzten 3
    Monaten ca. 30.000 Zugänge auf privaten Seiten aufzuweisen hatte, vorwiegend E-bay, aber auch verschiedene Chat-Foren. Großes Interesse hatte er auf Wohnmobil-Verkaufsseiten gerichtet und auf den Ankauf von
    Jagdgewehren. Besonders schmerzte sie das Interesse des alten Fritz bei Last-Minute-Angeboten für Reisen nach Schlesien.

    Beim Arbeitnehmer Jerome Lustigk stellte sie fest, daß dieser stundenlang mit diversen
    Freundinnen gechattet hat. Außerdem hat er zu Hunderten pornografische Seiten und Videos heruntergeladen und dann teilweise per e-mail unter Angabe der Firmenadresse in seinem weiten Bekanntenkreis verschickt.

    Maria Theresia kündigt beiden Mitarbeitern wegen grober Treuewidrigkeit fristlos. Jerome und Fritz sind beleidigt, weil sie dies für eine überzogene Reaktion halten. Sie behaupten, von dem Verbot der
    privaten Internetnutzung nichts gesehen und gehört zu haben. Maria Theresia habe keine klaren Verhältnisse geschaffen. Allenfalls sei eine Abmahnung gerechtfertigt.


Die Lösung


1. Verhaltensbedingte Kündigung

    Verletzt ein Arbeitnehmer seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag gravierend, so sieht der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung
    vor. Gilt das Kündigungsschutzgesetz nicht, so kann der Arbeitgeber ohnehin ohne Angabe oder Vorlegen bestimmter Kündigungsgründe das Arbeitsverhältnis ordentlich kündigen.

    In Ausnahmefällen, bei Vorliegen
    besonders gravierender Vertragsverletzungen kann auch nach § 626 Abs. 1 BGB außerordentlich, fristlos gekündigt werden. Diese fristlose Kündigung ist jedoch nach § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb einer
    Ausschlußfrist von 2 Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes durch den Arbeitgeber möglich.

    Kündigungsgründe für eine verhaltensbedingte Kündigung können sich aus dem Verhalten des Arbeitnehmers gegenüber
    dem Arbeitgeber, seinen Arbeitskollegen oder Dritten ergeben, soweit dadurch das Arbeitsverhältnis unmittelbar beeinflußt wird. Der Regelfall besteht in Vertragsverletzungen gegenüber dem Arbeitgeber. Eine
    verhaltensbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz ist dann gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über das Ende der
    ordentlichen Kündigungsfrist hinaus nicht zumutbar ist. Dabei müssen die Interessen beider Seiten ordnungsgemäß abgewogen werden. Es können nur solche Tatsachen berücksichtigt werden, die einen unmittelbaren
    Bezug zum Arbeitgeber bzw. zum Betrieb haben. Verfehlungen im außerdienstlichen Bereich sind nur ausnahmsweise zu berücksichtigen.

    Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus „wichtigem Grund“ ohne
    Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer den Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider
    Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

    Achtung: Das Gesetz benutzt den unbestimmten und ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff des
    „wichtigen Grundes“. Dieser Begriff wird sehr oft mißverstanden!

    Der Begriff des wichtigen Grundes ist nach objektiven Maßstäben auszulegen und zu füllen. Es kommt nicht darauf an, was der einzelne Kündigende
    rein subjektiv für sich und seinen Betrieb oder sein Arbeitsverhältnis als wichtigen Grund ansieht.

    Warnung: Es wird in der Praxis viel zu oft fristlos gekündigt, statt des Ausspruchs einer Abmahnung oder
    einer ordentlichen Kündigung. Eine unwirksame fristlose Kündigung kann vor dem Arbeitsgericht für den Arbeitgeber sehr teuer werden. Ein wichtiger Grund liegt meist nur vor, wenn der Vertragspartner eine
    strafbare Handlung gegen den anderen begangen hat. Sonstige Vertragsverletzungen müssen außergewöhnlich gravierend oder hartnäckig sein, um als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung auszureichen.


2. Prüfungsschema fristlose Kündigung

    Die Berechtigung einer fristlosen Kündigung muß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in einem zweistufigen Verfahren erfolgen.

    Vor Beginn der Prüfung muß jedoch
    zuerst der Sachverhalt aufgeklärt werden. Wer kündigen will, braucht neben der Sachverhaltsaufklärung dann außerdem noch stichhaltige Beweise, da der Kündigende vor dem Arbeitsgericht die Rechtmäßigkeit seiner
    Kündigung darlegen muß – und beweispflichtig ist. Wer keine Beweise hat, mag zwar im Recht sein, er wird im Prozeß vor Gericht jedoch im Zweifel trotzdem verlieren, wenn er beweispflichtig ist.

    Nach
    Aufklärung des Sachverhalts und der Sicherung der Beweise ist dann zunächst zu prüfen, ob der ermittelte Sachverhalt generell nach der Rechtsprechung als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet und anerkannt
    ist. Reicht der Sachverhalt in einer generalisierenden Betrachtungsweise nach der Rechtsprechung nicht aus, so ist dringend zu raten, die Finger von einer fristlosen Kündigung zu lassen.

    Liegen diese
    Voraussetzungen ebenfalls vor, so muß in einer zweiten Stufe geprüft werden, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bzw. die Einhaltung der Kündigungsfrist einer ordentlichen Kündigung unter
    Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht. In dieser Einzelfallprüfung hat die Rechtsprechung eine Interessenabwägung
    integriert. Danach müssen einerseits die persönlichen und betrieblichen Interessen des Arbeitgebers berücksichtigt werden. Andererseits aber müssen auch die Interessen des Arbeitnehmers, seine
    Beschäftigungsdauer, sein Lebensalter, seine Unterhaltsverpflichtungen, ein eventuelles Mitverschulden des Arbeitgebers oder von Arbeitskollegen, ein Organisationsverschulden des Arbeitgebers etc. abgewogen
    werden.

    Achtung: Bei Diebstahl, Unterschlagung etc. ist es unerheblich, ob es nur um einen geringfügigen Wert geht. Entscheidend ist stets der Grad des Vertrauensverstoßes.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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