Folge 242

Ethik-Regeln II – arbeitsvertragliche Pflichten


Der Fall:

    Der amerikanische Großunternehmer Walter Marton will in seinen Unternehmen und Supermärkten weltweit Ethik-Richtlinien (Codes of Ethics) einführen. Alle Mitarbeiter erhalten per Rundschreiben den weltweit
    gültigen 28-seitigen Verhaltenscodex.

    Dieser „Code of Ethics“ enthält ein Verbot von sexuellen und anderen Belästigungen von Kunden und Kollegen, die Pflicht zu Alkohol- und Drogentests, zur Geheimhaltung von
    Betriebsgeheimnissen, zur Verantwortung gegenüber Kunden, Kollegen, Behörden, das Verbot der Annahme von Zuwendungen, ein Flirt- und Liebesverbot am Arbeitsplatz, ein Liebes- und Ausgehverbot mit Untergebenen
    oder Vorgesetzten im privaten Bereich, ein Verbot der privaten Internetnutzung. Außerdem beinhaltet das Papier die Pflicht aller Mitarbeiter zur Meldung sämtlicher Verstöße von Kollegen gegen die Ethik-Regeln
    über eine anonyme Hotline, an einen Vorgesetzten oder an das Ethik-Büro.

    Der orientalische Süßwarenhersteller Ibrahim Pascha will in seinen Süßwarenfabriken in Europa ebenso wie im Orient eine Kopftuchpflicht
    für Frauen sowie eine Bartpflicht für Männer einführen.

    Der christliche Unternehmer Willi Graham hat eine Kapelle neben seine Brotfabrik gebaut. Er fordert per Poster alle Mitarbeiter auf, dort um 9 Uhr am
    Morgengebet und um 12 Uhr am Halleluja-Rufen teilzunehmen.

    Die Arbeitnehmer Emmy Schneeweiß und Erwin Risotto fragen sich, ob diese Arbeitgeber das Recht haben, ihre ethischen und religiösen Vorstellungen am
    Arbeitsplatz durchzusetzen, Betriebsratsvorsitzender Rinaldo Kuttelwascher ist empört. Er macht ein Mitbestimmungsrecht geltend und meint, daß ohne Zustimmung des Betriebsrats gar nichts möglich sei.


Die Lösung


1. Einführung von Ethik-Richtlinien

    Die Einführung von Ethik-Regeln findet auf zwei Ebenen statt, nämlich auf der Ebene des Arbeitsvertragsrechtes zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

    Zum anderen muß die Einführung solcher Richtlinien auf
    der kollektiv-rechtlichen Ebene abgesichert werden. Dies geschieht durch eine Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, sofern ein Betriebsrat besteht. Diese Vereinbarung findet i.d.R. durch eine
    Betriebsvereinbarung statt.

    Immer dann, wenn ein Betriebsrat vorhanden ist, muß der Arbeitgeber genau prüfen, welche Ethik-Regeln mitbestimmungspflichtig sind. Im Bereich des Mitbestimmungsrechts braucht es
    zwingend die Zustimmung des Betriebsrats zur Wirksamkeit, soweit Mitbestimmungstatbestände betroffen sind.


2. Direktionsrecht

    Mit dem Abschluß des Arbeitsvertrages gibt der Arbeitnehmer einen Teil seiner Freiheit gegen Entgelt auf und unterstellt sich dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Das Weisungs- und Direktionsrecht des
    Arbeitgebers ist mittlerweile in § 106 Gewerbeordnung geregelt. Das Weisungsrecht erstreckt sich vor allem auf die Erbringung der Arbeitsleistung. Der Arbeitgeber kann den Inhalt, Ort und Zeit der
    Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag bzw. Gesetz nicht bereits geregelt sind.

    Im Rahmen des
    billigen Ermessens erstreckt sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch auf die Ordnung und das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb. Der Arbeitgeber hat dabei auf die Behinderung eines Arbeitnehmers
    Rücksicht zu nehmen.

    Durch das einseitige Weisungsrecht kann der Arbeitgeber nicht Dinge regeln, die außerhalb der arbeitsvertraglichen Verpflichtung des Arbeitnehmers liegen. Dies gilt insbesondere dann,
    wenn der Arbeitgeber an der Regelung solcher Dinge kein besonderes oder schützenswertes Interesse hat.

    Bei der Ausübung des Weisungsrechts insbesondere im Bereich des Ordnungsverhaltens neben der eigentlichen
    Arbeitsleistung ist stets ein notwendiger Bezug zur geschuldeten Tätigkeit des Arbeitnehmers erforderlich. So darf der Arbeitgeber z.B. im Rahmen der allgemeinen Rücksichtspflichten vom Arbeitnehmer verlangen,
    mit dem Eigentum des Arbeitgebers pfleglich umzugehen und Schäden zu vermeiden.

    Soweit Ethik-Richtlinien eine solche Anforderung aufstellen, wäre dies vom Direktionsrecht umfaßt. Die Grenze des
    Direktionsrechts ist jedoch dann erreicht, wenn die eingeführte Regelung zum Schutz der berechtigten Interessen des Unternehmens nicht erforderlich ist.


3. Vertragliche Vereinbarung

    Über das allgemeine Direktionsrecht hinaus können Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertraglich das Weisungsrecht in Bezug auf Arbeitsverhalten sowie auf Ordnungsverhalten erweitern. Im Rahmen der neuen
    schuldrechtlichen Regelungen muß jedoch beachtet werden, daß vorformulierte Arbeitsverträge stark durch die §§ 305 ff BGB eingeschränkt werden. Insbesondere § 307 BGB verbietet eine unangemessene Benachteiligung
    des Arbeitnehmers und fordert klare und verständliche Regelungen (Transparenzgebot). Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Vertragsregelung mit wesentlichen Grundgedanken nicht
    vereinbar ist, die sich aus Gesetz oder der Natur des Arbeitsvertrags ergeben.

    § 305 c BGB verbietet darüber hinaus überraschende und mehrdeutige bzw. ungewöhnliche Regeln. Diese werden nicht Inhalt des
    Arbeitsvertrag. Zweifel bei der Auslegung gehen  zu Lasten des Arbeitgebers.

    Nach diesen Regeln sind überzogene Einschränkungen der Arbeitnehmerfreiheit, z.B. ein generelles Verbot jeder Art von
    Nebentätigkeit, Vorschriften über den privaten Umgang von Mitarbeitern untereinander oder ein absolutes Vertraulichkeitsgebot problematisch und evtl. unwirksam.


4. Betriebsvereinbarung / Tarifvertrag / Gesetze

    Ethik-Regeln und allgemeine Richtlinien über das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb, im Umgang mit Kunden, Arbeitskollegen und dritten Personen stehen stets unter dem Vorbehalt, daß sie nicht gegen geltendes
    Recht, d.h. gegen zwingend geltende Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge oder Gesetze verstoßen dürfen.

    Dies bedeutet, daß bei der Einführung solcher Richtlinien insbesondere durch ausländische
    Muttergesellschaften stets geprüft werden muß, ob und inwieweit diese Ethikregeln mit dem in Deutschland geltenden Recht vereinbar sind oder  nicht. Selbst wenn – wie im Falle amerikanischer börsennotierter
    Unternehmen – solche Regeln im Ausland gesetzlich vorgeschrieben sind, gilt nach dem Territorialprinzip in Deutschland vorrangig das deutsche bzw. europäische Recht. Aus diesem Grunde ist es nicht ausreichend,
    wenn sich der Arbeitgeber darauf beruft, daß z.B. in den USA, in China, Australien oder im Orient Rechtsordnungen gelten, in denen die Ethik-Richtlinien konform gehen. Sie müssen auch
    mit deutschen Recht übereinstimmen, um hier Gültigkeit zu erlangen.


5. Persönlichkeitsrecht

    Eine zentrale Hürde bei der Überprüfung von Ethik-Regeln und Verhaltensrichtlinien ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters, das auch im Betrieb gewahrt werden muß.

    Das Grundgesetz fordert in
    seinen Art. 1 und 2 die Wahrung der Würde des Menschen und konstituiert das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Dabei handelt es sich um zentrale Werte der Verfassung, die weder von Seiten des
    Staates, noch von Seiten privater Arbeitgeber beseitigt werden können. Das Persönlichkeitsrecht ist ein privates, jedoch von jedermann zu achtendes Recht, das seine Grenzen nur in den Rechten anderer, der
    verfassungsmäßigen Ordnung oder des Sittengesetzes findet.

    Zum Persönlichkeitsrecht gehört das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ob und mit wem eine vertragliche Beziehung, aber auch eine persönliche
    Beziehung, eine Freundschaft oder eine Liebesbeziehung eingegangen wird.

    Soweit Ethik-Regeln in den persönlichen Bereich des Mitarbeiters oder das außerbetriebliche Verhalten eingreifen, ist die jeweilige
    Richtlinie sehr kritisch zu überprüfen. Selbst berechtigte Interessen des Arbeitgebers sind nicht ohne weiteres ausreichend, um einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zu rechtfertigen.

    Eine Rechtfertigung
    kann nur dann vorliegen, wenn im Einzelfall die Interessen des Arbeitgebers unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit objektiv den Vorrang vor den Einzelinteressen verdienen. Grundsätzlich muß aber davon
    ausgegangen werden, daß insbesondere ein Eingriff von Ethik-Richtlinien in die private Lebensführung des Arbeitnehmers nicht zu rechtfertigen ist.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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