Der Fall:
Der tiefgläubige Suleiman verlangt von seinem Arbeitgeber Barbarossa zur Ve
rrichtung seines muslimischen Morgengebets in der Frühschicht zwischen 6 Uhr und
8 Uhr die Freistellung für 3 Minuten.
Das Unternehmen von Barbarossa ist im Bereich der Metallverarbeitung beschäftigt. Der Kläger arbeitet an einer Bandstraße. Barbarossa lehnt ab, weil er das Band nicht
wegen des Klägers für 3 Minuten anhalten könne. Dies verursache erhebliche wirtschaftliche Verluste.
Suleiman schlägt den Einsatz eines Springers vor. Barbarossa hat jedoch nicht regelmäßig einen Springer zur
Verfügung.
Barbarossa beschäftigt 500 Arbeitnehmer, darunter 150 Moslems. Er hält die Einrichtung von Gebetspausen für alle Moslems für wirtschaftlich und technisch völlig ausgeschlossen. Eine Vereinbarung
über das Abhalten von Gebetspausen besteht weder zwischen Suleiman und Barbarossa, noch zwischen dem Betriebsrat und Arbeitgeber.
Suleiman besteht auf der Wahrnehmung seiner religiösen Pflichtgebete und
beruft sich auf sein Recht zur freien Religionsausübung.
Die Lösung
8. Andere Anspruchsgrundlagen
Ein Anspruch auf Gebetspausen könnte sich für Suleiman dann ergeben, wenn der Arbeitgeber Barbarossa Gebetspausen in der Vergangenheit stets akzeptiert und
gewährt hatte. So könnte der Arbeitsvertrag durch betriebliche Übung entsprechend gestaltet worden sein. Das war aber nicht der Fall.
Ein Anspruch von Suleiman könnte sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz
auch dann ergeben, wenn Barbarossa allen anderen Muslimen die Gebetspause gewähren würde, ihm aber nicht.
Gegebenenfalls könnte sich über den Gleichbehandlungsgrundsatz in Verbindung mit dem
Diskriminierungsverbot auch dann ein Anspruch ergeben, wenn Barbarossa allen Religionsgemeinschaften im Betrieb die Religionsausübung auch während der Arbeitszeit mit Pausen gewährt, nur den Muslimen nicht. Dies
würde eine Diskriminierung der Arbeitnehmer wegen ihrer speziellen Religion darstellen. Aber auch das war bei Suleiman nicht der Fall.
Schließlich könnte sich eine Anspruchsgrundlage aus einer
Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag ergeben. Denkbar wäre, daß der Betriebsrat früher oder später die Einführung von Gebetspausen oder Pausen zur Durchführung religiöser Rituale mit dem Arbeitgeber per
Betriebsvereinbarung regelt. Diese Betriebsvereinbarung würde normativ und zwingend im Betrieb gelten. Bei Barbarossa besteht jedoch eine solche Betriebsvereinbarung im Unternehmen nicht.
9. Grundrechtskollision
Suleiman übersieht bei seinem Begehren und seiner Argumentation, daß nicht nur er, sondern auch der Arbeitgeber Grundrechtsträger ist. Dabei spielt es
keine Rolle, ob der Arbeitgeber eine natürliche oder eine juristische Person (GmbH, Aktiengesellschaft etc.) ist.
Der Arbeitgeber Barbarossa hat insbesondere einen grundgesetzlich gewährleisteten Schutz aus
Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG bei der Durchführung seiner Unternehmung. Das mit Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs.
1 GG schützt ihn und seine Tätigkeit.
Die Grundrechte des Arbeitnehmers Suleiman aus Art. 4 und Art. 2 GG finden ihre Grenze an den grundrechtlich geschützten Positionen anderer Vertragspartner oder
Rechtsgenossen. Es tritt dann eine „Grundrechtskollision“ ein.
Diese widerstreitenden Grundrechte und gegenläufigen Interessen müssen mit dem Ziel eines Ausgleichs geprüft werden. Ist ein Ausgleich nicht
möglich, so muß entschieden werden, welche geschützten Interessen überwiegen und wichtiger sind. Dabei ist auch das Recht des Arbeitgebers an einer Berufsausübung ohne ernsthafte betriebliche Störungen zu
berücksichtigen.
10. Berechtigte betriebliche Interessen
Zur Lösung der Grundrechtskollision müssen zunächst berechtigte Interessen beider Seiten vorhanden sein, die grundrechtlich geschützt sind.
Dabei ist zu
prüfen, ob der Arbeitgeber tatsächlich berechtigte betriebliche Interessen besitzt, oder ob die Gebetsdurchführung technisch und betrieblich ohne große Störungen und Beeinträchtigungen durchführbar ist.
Dies
ist von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz verschieden. In Einzelfällen kann der betreffende Arbeitnehmer vor- oder nacharbeiten. Die Einlegung einer Pause ist nicht generell für den Betriebsablauf störend. Im
vorliegenden Falle führt allerdings die Abwesenheit vom Band zu Ablaufstörungen, da bestimmte Bearbeitungsgänge nicht durchgeführt werden. Durch Abwesenheit kann im Einzelfall auch eine technisch bedingte
Störung auftreten.
Arbeitsabwesenheit ist z.T. auch in Sicherheits- und Kontrollbereichen nicht zulässig bzw. nicht zumutbar. Hier könnte ggf. der Einsatz eines Springers Abhilfe schaffen. Der Arbeitgeber ist
allerdings nicht verpflichtet, Springer vorzuhalten. Nur dann, wenn tatsächlich stets ein nicht eingesetzter Springer vorhanden wäre, könnte der Arbeitnehmer ggf. verlangen, kurzzeitig vom Springer abgelöst zu
werden.
Im Falle von Suleiman scheitern jedoch alle diese Lösungen, da Springer oder Arbeitskollegen nicht vorhanden sind, die die Arbeit übernehmen.
11. Zumutbarkeit
Schließlich ist zu prüfen, ob auch bei der Möglichkeit von technischen oder organisatorischen Lösungen, dem Arbeitgeber zumutbar ist, diese Lösungen auch
durchzuführen. Technische Veränderungen oder auch Umorganisation können insbesondere aus wirtschaftlichen oder aus organisatorischen Gründen unzumutbar sein. Hier ist eine Interessenabwägung vorzunehmen.
Im
Rahmen dieser Interessenabwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, daß sich der Arbeitnehmer grundsätzlich bei Vertragschluß mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers einverstanden erklärt hat und keine
Einwendungen hinsichtlich seines Arbeitseinsatzes erhoben hat. Wenn dem Arbeitgeber die Änderung von Betriebsabläufen mit wenigen Mitteln möglich ist, so ist die grundrechtliche Position von Suleiman
schützenswerter und Barbarossa muß ihm die Gebetspause einräumen.
Sollte aber die Umorganisation mit erheblichen Zusatzkosten, mit technischen oder organisatorischen Problemen verbunden sein, so hat Suleiman
kein Recht auf die Einhaltung der Gebetspause. Er muß warten, bis die allgemeine betriebliche Pause erreicht wird.
12. Fazit
Ein Arbeitnehmer verzichtet nicht auf seine Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, weil er bei Abschluß des Arbeitsvertrages damit rechnen mußte, daß
die ordnungsgemäße Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten mit seinen Verpflichtungen gegenüber seinem Glauben kollidieren könnten.
Ein Arbeitgeber ist jedoch nicht verpflichtet, durch Art. 4
geschützte Gebetspausen des muslimischen Arbeitnehmers während der Arbeitszeit hinzunehmen, wenn hierdurch betriebliche Störungen verursacht werden, die nicht mit geringen Mitteln beseitigt werden können.