Folge 224

Gebetspausen am Arbeitsplatz I


Der Fall

    Der tiefgläubige Suleiman verlangt von seinem Arbeitgeber Barbarossa zur Ve

    rrichtung seines muslimischen Morgengebets in der Frühschicht zwischen 6 Uhr und
    8 Uhr die Freistellung für 3 Minuten.

    Das Unternehmen von Barbarossa ist im Bereich der Metallverarbeitung beschäftigt. Der Kläger arbeitet an einer Bandstraße. Barbarossa lehnt ab, weil er das Band nicht
    wegen des Klägers für 3 Minuten anhalten könne. Dies verursache erhebliche wirtschaftliche Verluste.

    Suleiman schlägt den Einsatz eines Springers vor. Barbarossa hat jedoch nicht regelmäßig einen Springer zur
    Verfügung.

    Barbarossa beschäftigt 500 Arbeitnehmer, darunter 150 Moslems. Er hält die Einrichtung von Gebetspausen für alle Moslems für wirtschaftlich und technisch völlig ausgeschlossen. Eine Vereinbarung
    über das Abhalten von Gebetspausen besteht weder zwischen Suleiman und Barbarossa, noch zwischen dem Betriebsrat und Arbeitgeber.

    Suleiman besteht auf der Wahrnehmung seiner religiösen Pflichtgebete und
    beruft sich auf sein Recht zur freien Religionsausübung.



Die Lösung



1. Direktionsrecht


    Mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in den Betrieb unterwirft sich dieser dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit
    der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit es nicht vertraglich oder durch andere Normen geregelt ist.

    Allerdings muß der Arbeitgeber auch im Rahmen des Direktionsrechts auf die
    berechtigten Belange des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen, z.B. auf eine Behinderung, soweit dadurch die betrieblichen Belange nicht erheblich gestört werden.



2. Einschränkungen des Direktionsrechts


    Das Direktionsrecht kann durch Vereinbarungen im Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt sein, aber auch durch zwingende normative Regelungen, d.h. durch
    Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge oder durch Gesetze.

    Der Arbeitsvertrag der Parteien ergibt wegen der Gebetspausen keine Beschränkung des Direktionsrechts, da dieser Punkt im Arbeitsvertrag nicht
    geregelt ist. Eine Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat wegen Arbeitspausen allgemeiner Art besteht zwar. In diesen allgemeinen Pausen (Frühstückspause, Mittagspause) könnte Suleiman seine
    Gebete abhalten. Darüber hinaus regelt die Betriebsvereinbarung jedoch keine weiteren Pausen, insbesondere keine Gebetspausen. Auch tarifvertragliche Regelungen über Gebetspausen gibt es nicht.



3. Einschränkung durch Grundrechte


    Die in der Verfassung festgelegten Grundrechte gelten im Arbeitsverhältnis jedenfalls in der Regel nicht unmittelbar, da sie lediglich Abwehrrechte gegen
    den Staat darstellen.

    Grundrechte wirken jedoch mittelbar auf das Arbeitsverhältnis in verschiedener Weise ein. Suleiman kann sich zunächst auf § 616 BGB berufen. Darin ist geregelt, daß der zur Arbeit
    verpflichtete seines Anspruches auf die Vergütung nicht dadurch verlustig geht, daß er für eine unverhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an seiner Dienstleistung aus einem Grund verhindert ist, der ohne sein
    Verschulden in seiner Person liegt. Dies könnte z.B. eine Krankheit sein oder die Verpflichtung, als Zeuge vor Gericht auszusagen. Dies kann aber auch ein Verhinderungsgrund aus dem weltanschaulichen oder
    religiösen Bereich sein.

    Zu diesen subjektiven Leistungshindernissen im Sinne von § 616 BGB gehören auch die Erfüllung einer vorrangig religiösen Verpflichtung und die ungestörte Religionsausübung. Diese
    steht nämlich gem. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG unter Verfassungsschutz.

    Eine tägliche nur 3minütige Arbeitspause wegen Gebets führt im Sinne von § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zu einer Arbeitsverhinderung
    für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit. Darüber hinaus ergibt sich aus allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsvertragsrechts, insbesondere auch aus § 242 BGB die Pflicht zur gegenseitigen
    Rücksichtnahme. Durch eine verfassungskonforme Auslegung der Generalklausel des § 242 BGB können auch die Grundrechte des Arbeitnehmers in das Arbeitsverhältnis einfließen und dem Arbeitgeber entsprechende
    Pflichten zur Rücksichtnahme aufbürden.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.