Folge 193

Ausgleichsquittung V



Der Fall


    Arbeitgeber Hans Sachs einigt sich mit der Arbeitnehmerin Fatima auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er zahlt ihr den Restlohn aus, übergibt ihr
    die Arbeitspapiere nebst Abrechnung und legt ihr folgende, vorformulierte Vereinbarung vor:

    „Das Arbeitsverhältnis ist am 30.9.2005 beendet worden.

    Anläßlich der Beendigung meines Arbeitsverhältnisses sind
    mir folgende Papiere ausgehändigt worden: Lohnsteuerkarte, Arbeitsbescheinigung, Urlaubsbescheinigung, Abmeldung zur Sozialversicherung und Lohnabrechnung.

    Ich bestätige ausdrücklich, daß mir aus dem
    Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung keine Ansprüche mehr zustehen.

    Ich habe alle Werkzeuge und sämtliches Firmeneigentum vollständig zurückgegeben.

    Diese Erklärung habe ich sorgfältig gelesen und
    verstanden. Eine Durchschrift habe ich erhalten.“

    Fatima überprüft ihre Papiere und unterschreibt das Schriftstück.

    Als sie zuhause ihre Lohnabrechnung überprüft, stellt sie fest, daß noch 10 Tage
    Urlaubsabgeltung in Höhe von 800 Euro, die Bezahlung von 100 Überstunden in Höhe von 1.000 Euro und ein Zeugnis fehlen. Fatima macht bei Hans Sachs deshalb eine Nachzahlung von 1.800 Euro brutto nebst
    Ausstellung eines Zeugnisses geltend.

    Hans Sachs legt ihr die Ausgleichsquittung vor und verweist auf den Absatz, in dem sie ausdrücklich bestätigt, keine Ansprüche mehr zu besitzen. Damit sei die Sache
    erledigt. Fatima geht vor’s Arbeitsgericht.



Die Lösung



13. Verstoß gegen das Transparenzgebot


    Die der Arbeitnehmerin von Hans Sachs vorgelegte Ausgleichsquittung verstößt weiterhin gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach kann
    eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners auch dann vorliegen, wenn die Bestimmungen des Vertrages bzw. der Ausgleichsklausel nicht klar und verständlich sind.

    Dieses Transparenzgebot zwingt
    den Verwender einer Ausgleichsklausel im Rahmen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners nach den Grundsätzen von Treu und Glauben möglichst klar und für den
    Partner durchschaubar darzustellen.

    Dies setzt voraus, daß neben einer allgemeinverständlichen Formulierung mit Hinweisen auf die Tragweite auch die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen erkennbar
    werden. Wie weit die einzelnen Pflichten des Arbeitgebers bei der Ausgleichsquittung insoweit gehen, hängt vom Einzelfall ab.

    Die der Arbeitnehmerin Fatima vorgelegte Ausgleichsquittung ist weder für den
    durchschnittlichen Arbeitnehmer verständlich, noch hat sie ihr die wirtschaftlichen Nachteile des Anspruchsverzichtes hinreichend deutlich gemacht. Es ist weder der ohnehin rechtswidrigen Verzicht auf
    Urlaubsabgeltung, noch der Verzicht auf die Auszahlung der restlichen Überstunden und auf die Erteilung eines Zeugnisses aus dem Zusammenhang erkennbar.

    Letztendlich sind solche Klauseln sehr oft irreführend
    und überraschend, wenn sie keine Einzelheiten enthalten oder wenn nicht ausführlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Konsequenzen dargelegt und diskutiert wurden.



14. Besonderheiten des Arbeitsrechts


    Nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB sind bei der Anwendung der AGB-Regeln auf Arbeitsverträge die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu
    berücksichtigen.

    Diese Einschränkung des Gesetzgebers für Arbeitsverhältnisse im Rahmen der AGB-Gesetzgebung führt jedoch nicht zu einem anderen Ergebnis. Zu den Besonderheiten des Arbeitsrechts gehört es
    jedenfalls nicht, daß ein Arbeitgeber ohne jegliche Gegenleistung einen Vertragspartner dazu veranlassen darf, auf sämtliche rechtlichen Ansprüche zu verzichten, ohne daß dafür ein besonderer Grund vorhanden
    wäre.

    Zu den Besonderheiten des Arbeitsrechts zählt auch ein fairer Umgang zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dieser faire Umgang setzt bei Gestaltung einer Ausgleichsquittung voraus, daß eine
    Verzichtserklärung ausreichend klar formuliert und aus den allgemeinen Quittungsbestandteilen herausgehoben ist.

    Leider ist es so, daß ein solcher fairer Umgang miteinander gerade im Falle der
    Ausgleichsquittungen nicht den Normalfall darstellt. Die „Üblichkeiten“ in der betrieblichen Praxis gingen in der Vergangenheit eher dahin, daß die Verzichtsklauseln in Ausgleichsquittungen unauffällig in den
    Inhalt eingefügt waren. Diese „Üblichkeit“ ergibt jedoch keinen Rechtfertigungstatbestand, diesen Brauch auch in Zukunft fortzuführen. Nach der neuen Schuldrechtsreform müssen Arbeitgeber damit rechnen, daß ihre
    – vielleicht noch im Unternehmen vielfach vorhandenen – Formulare so von den Gerichten nicht mehr akzeptiert werden.




    Praxistip:


    Den Arbeitgebern ist es zu
    empfehlen, die alten Formulare wegzuwe

    rfen oder zu vernichten und eine entsprechende Software auszusondern, bzw. der Personalabteilung die Anweisung zu geben, ein entsprechendes
    elektronisches Formular nicht mehr in dieser Weise zu benutzen.



15. Wie mache ich es besser?


    Wie am Anfang der Serie ausgeführt, sind Ausgleichsquittungen nicht grundsätzlich unzulässig. Die vielen gesetzlichen Hürden brauchen nicht dazu zu führen,
    daß zukünftig dieses Instrument überhaupt nicht mehr angewandt wird. Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist aufgrund der gesetzlichen Gegebenheiten zu raten, entsprechend § 305 b BGB nicht mit vorgefertigten
    Formularen zu arbeiten, sondern jeweils eine echte Individualvereinbarung abzuschließen. Dies setzt voraus, daß dem Arbeitnehmer eine Quittung nicht einfach vorgelegt wird, sondern daß über Restansprüche in
    allen Einzelheiten diskutiert wird, soweit diese bekannt sind.

    Dann kann von einem fairen Verfahren ausgegangen werden. Die daraufhin abgeschlossene Vereinbarung wäre eine echte Individualvereinbarung, die
    nicht unter die einschränkenden Vorschriften der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 305 ff BGB fällt.




    Praxistip:


    Zum Nachweis der Verhandlungen über
    den abschließenden Ve

    rgleich mit einer Abgeltungsformel ist dringend zu empfehlen, daß über die Verhandlungen, den Verhandlungsinhalt und das Verhandlungsergebnis ein schriftliches
    Protokoll gefertigt wird, das von beiden Seiten unterzeichnet wird. So kann im Zweifel jede Seite nachweisen, daß das Verhandlungsergebnis bzw. der Beendigungsvergleich mit Abgeltungsklausel fair und ordentlich
    zustande gekommen ist.

    Darüber hinaus empfiehlt es sich, keinen einseitigen Verzicht zu vereinbaren. Vielmehr sollte die Verzichts- bzw. Abgeltungsklausel für beide Seiten gelten.

    Im Falle von Hans Sachs
    und Fatima wäre es deshalb richtig gewesen, über die einzelnen Restansprüche sowohl des Arbeitgebers wie der Arbeitnehmerin zu sprechen, eine Einigung herbeizuführen und dann in einem individuell formulierten
    Beendigungsvergleich einzelne Zahlungen oder den Verzicht auf bestimmte Recht zu regeln.



16. Gerichtlicher Vergleich


    Ein gerichtlicher Vergleich wird nicht von den Vorschriften über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfaßt. Der gerichtliche Vergleich stellt gerade eine
    Individualabrede nach § 305 b BGB dar. In einem solchen Vergleich werden die verschiedenen Rechte beider Seite besprochen. Jede Seite hat die Möglichkeit, ihre Belange darzulegen und zu diskutieren.

    In jedem
    Falle erfolgt eine individuelle Regelung nach dem Ergebnis des Vortrags der Parteien. Keine Partei ist gezwungen, sich auf eine überraschende, nicht durchdachte Lösung einzulassen. Die dann am Schluß
    vereinbarten Abgeltungsklausel betrifft stets beide Seiten. Wenn offen und mit Bedacht vor Gericht die Ansprüche beider Seiten besprochen und geregelt worden sind, dann kann mit gutem Gewissen die
    Ausgleichsklausel in den Vergleich aufgenommen werden:

    „Damit sind sämtliche Ansprüche aus dem gegenseitigen Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt,
    erledigt.“

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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