Der Fall
Arbeitgeber Hans Sachs einigt sich mit der Arbeitnehmerin Fatima auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er zahlt ihr den Restlohn aus, übergibt ihr
die Arbeitspapiere nebst Abrechnung und legt ihr folgende, vorformulierte Vereinbarung vor:
„Das Arbeitsverhältnis ist am 30.9.2005 beendet worden.
Anläßlich der Beendigung meines Arbeitsverhältnisses sind
mir folgende Papiere ausgehändigt worden: Lohnsteuerkarte, Arbeitsbescheinigung, Urlaubsbescheinigung, Abmeldung zur Sozialversicherung und Lohnabrechnung.
Ich bestätige ausdrücklich, daß mir aus dem
Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung keine Ansprüche mehr zustehen.
Ich habe alle Werkzeuge und sämtliches Firmeneigentum vollständig zurückgegeben.
Diese Erklärung habe ich sorgfältig gelesen und
verstanden. Eine Durchschrift habe ich erhalten.“
Fatima überprüft ihre Papiere und unterschreibt das Schriftstück.
Als sie zuhause ihre Lohnabrechnung überprüft, stellt sie fest, daß noch 10 Tage
Urlaubsabgeltung in Höhe von 800 Euro, die Bezahlung von 100 Überstunden in Höhe von 1.000 Euro und ein Zeugnis fehlen. Fatima macht bei Hans Sachs deshalb eine Nachzahlung von 1.800 Euro brutto nebst
Ausstellung eines Zeugnisses geltend.
Hans Sachs legt ihr die Ausgleichsquittung vor und verweist auf den Absatz, in dem sie ausdrücklich bestätigt, keine Ansprüche mehr zu besitzen. Damit sei die Sache
erledigt. Fatima geht vor’s Arbeitsgericht.
Die Lösung
10. Unangemessene Benachteiligung
§ 307 Abs. 1 BGB bestimmt, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam sind, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen Treu und Glauben
unangemessen benachteiligen.
Eine unangemessene Benachteiligung ist dann anzunehmen, wenn der Verwender / Arbeitgeber durch einseitige Vertragsgestaltung seine eigenen Interessen unter Mißbrauch seiner
Vertragsmacht auf Kosten seines Vertragspartners, der Arbeitnehmerin durchzusetzen versucht. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber dies versucht, ohne von vorneherein die berechtigten Belange der
Arbeitnehmerin hinreichend zu berücksichtigen und ihr einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.
In Ausgleichsquittungen ist ein solch angemessener Ausgleich in der Regel nicht enthalten. Deshalb
benachteiligen Ausgleichsquittungen in aller Regel die Arbeitnehmer unangemessen.
Eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung muß jedenfalls regelmäßig dann angenommen werden, wenn
die Arbeitnehmerseite einseitig und unentgeltlich, d.h. ohne finanziellen Ausgleich auf ihre restlichen Ansprüche und Rechte aus ihrem Arbeitsverhältnis verzichtet.
In unserem Falle hat die Arbeitnehmerin
Fatima mit der Ausgleichsklausel auf ihre Ansprüche umfassend verzichtet, ohne daß Arbeitgeber Hans Sachs irgendeine Gegenleistung dafür erbracht hätte. Ein solcher einseitiger Verzicht stellt ganz regelmäßig
eine unzulässige Benachteiligung der Arbeitnehmerin dar. Ein solcher Verzicht ist deshalb wegen Verstoßes gegen § 307 BGB rechtsunwirksam.
11. Überraschungsklausel
§ 305 c BGB verbietet außerdem in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen, die nach den Umständen, insbesondere auch nach dem äußeren
Erscheinungsbild des Vertrages so ungewöhnlich sind, daß der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen brauchte. Solche Überraschungsklauseln oder mehrdeutige Klauseln werden nach dem Gesetz
nicht Vertragsbestandteil und sind rechtsunwirksam.
Zweifel bei der Auslegung der ausgeschriebenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen gehen stets zu Lasten des Verwenders, d.h. hier zu Lasten des Arbeitgebers,
§ 305 c Abs. 2 BGB.
Der Überraschungseffekt einer Ausgleichsquittung liegt regelmäßig darin, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Restlohn, Arbeitspapiere oder andere
Dinge erhält. Ggf. gibt auch der Arbeitnehmer bestimmte Gegenstände aus dem Firmeneigentum an den Arbeitgeber zurück, wie z.B. schriftliche Unterlagen, Werkzeug, Dienstwagen, Arbeitskleidung etc.
Es ist ganz
normal für jeden verständig denkenden Arbeitnehmer und berechtigt, wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer dafür eine schriftliche Quittung verlangt. Dies ist in § 368 BGB auch so geregelt.
Typischerweise wird
dann mit dieser Quittung zusätzlich und mehr oder weniger überraschend ein Globalverzicht auf sämtliche weiteren Rechte und Ansprüche zum Arbeitsverhältnis verbunden. Wer im Berufsleben insoweit nicht erfahren
ist, muß nicht mit einer solchen Erweiterung der berechtigten Quittung für übergebene Gegenstände rechnen.
12. Fehlende Verständlichkeit
Die Formulierung der Ausgleichsquittung ist zumeist für viele Arbeitnehmer auch rechtlich in ihrer Konsequenz nicht nachvollziehbar. Solche Formulierungen
sind selbst für Juristen nicht immer klar, sondern mehrdeutig.
Der Überraschungseffekt wird für den Arbeitnehmer dann noch größer, wenn die eigentliche Ausgleichsklausel, d.h. die eigentliche
Verzichtserklärung im Schriftbild der Gesamtquittung nicht besonders hervorgehoben ist, sondern im Text mehr oder weniger mit den anderen Dingen gemeinsam durchformuliert worden ist.
So war dies im Falle der Arbeitnehmerin Fatima.
Ob die Verzichtsklausel eine Überraschung darstellt, beurteilt sich im übrigen nicht nach den Erkenntnismöglichkeiten, der Intelligenz und der Erfahrung des
einzelnen konkreten Arbeitnehmers. Vielmehr ist abzustellen auf den Empfängerhorizont des typischerweise zu erwartenden Durchschnittarbeitnehmers und dessen Möglichkeit, die Rechtsfolgen einer Erklärung zu
durchschauen und zu würdigen.
Da der durchschnittliche Arbeitnehmer regelmäßig weder juristisch gebildet ist, noch die Tragweise einer beiläufigen Ausgleichsquittung erkennen kann, muß er insoweit als
rechtsunkundig bzw. nicht ausreichend rechtskundig angesehen werden. Dies bedeutet im Ergebnis, daß die Ausgleichsquittung ganz regelmäßig auch wegen Verstoßes gegen die Überraschungsklausel des § 305 c BGB
rechtsunwirksam ist.