Folge 181

Ein-Euro-Job IV



Der Fall:


    Die Langzeitarbeitslosen Tänzer Paris und Helena sollen in einer Arbeitsgelegenheit Hauptschüler betreuen. Das halten sie seelisch und künstlerisch für
    unzumutbar. Mozart wird verpflichtet, rund um das Wagner-Denkmal die Grünanlagen zu pflegen. Mozart hält diesen Dienst an seinem Konkurrenten für unzumutbar und außerdem für geringwertig.

    Die vormalige
    Sekretärin Lukretia Borgia soll als Arbeitsmaßnahme ganztags in der Stadtbibliothek Bücher sortieren. Eine Ganztagstätigkeit hält sie für unzumutbar. Der Neurochirurg Dr. Mabuse soll bei archäologischen
    Ausgrabungen im Stadtzentrum anpacken. Das lehnt er ab, weil die grobe Erdarbeit seine Neuro-Chirurgen-Hände ruinieren könnten.

    Der langzeitarbeitslose General Tilly soll Stadtführer in Magdeburg werden. Das
    hält er angesichts seiner früheren Tätigkeit in Magdeburg für unzumutbar. Er befürchtet, von der Bevölkerung belästigt zu werden.



Die Lösung:



1. Zumutbarkeit


    Nach § 10 Abs. 1 und Abs. 3 SGB II ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen grundsätzlich jede Arbeit zumutbar. Dies gilt auch für die Teilnahme an
    Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit, d.h. für Arbeitsgelegenheiten/Ein-Euro-Jobs.

    Ist die langzeitarbeitslose Person nicht freiwillig bereit, eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Leistungsträger zu
    treffen, so kann sie sogar per Verwaltungsakt hoheitlich gezwungen werden, eine Arbeitsgelegenheit zu ergreifen.

    Eine Ausnahme vom Zwang zur Durchführung der Arbeitsgelegenheit besteht nur dann, wenn dem ein
    „wichtiger Grund“ entgegensteht. Dieser wichtige Grund kann jedoch nicht subjektiv vom einzelnen Arbeitslosen bestimmt werden. Der Gesetzgeber hat vielmehr dazu eine Reihe von Beispielen gebildet. Daraus ergibt
    sich, daß die Unzumutbarkeit nur im Rahmen von wenigen, schwergewichtigen und objektivierbaren Tatbeständen gegeben ist.



2. Wichtiger Grund/Ausnahmen


    Gründe für die Unzumutbarkeit einer Arbeitsmaßnahme sind in § 10 Abs. 1 SGB II aufgeführt. Die dort aufgeführten 4 Unzumutbarkeitskomplexe sind jedoch
    nicht abschließend! In Ziffer 5 hat der Gesetzgeber ausdrücklich gesagt, daß die Übernahme der Tätigkeit auch dann unzumutbar ist, wenn ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht.

    (1) Die Arbeit ist
    unzumutbar, wenn der betreffende dazu körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist.

    Die Ballett-Tänzer Paris und Helena sind seelisch zur Schülerbetreuung in der Lage, auch wenn sie sich als
    Künstler dagegen sträuben. Die frühere künstlerische Tätigkeit ist kein Ablehnungsgrund.

    (2) Die Arbeit ist weiter unzumutbar, wenn die Ausübung dem Arbeitslosen die künftige Ausübung seiner bisher
    überwiegenden Arbeit wesentlich erschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellt. Die Tätigkeit des Neurochirurgen Dr. Mabuse im Nervenbereich erfordert besonders feine
    und sensible Hand- bzw. Fingerarbeit. Eine grobe körperliche Betätigung als Hilfsarbeiter bei archäologischen Ausgrabungen könnte trotz des historischen Gewinns eine zukünftige Neurochirurgentätigkeit massiv
    gefährden. Diese ihm zugeteilte Arbeit könnte deshalb unzumutbar sein.

    (3) Die Arbeitsgelegenheit ist unzumutbar, wenn die Ausübung der Arbeit die Erziehung des eigenen Kindes oder des Kindes eines Partners
    gefährden würde. Die Erziehung eines Kindes, das das 3. Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit seine Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in der Tagespflege oder auf sonstige
    Weise sichergestellt ist. Die Agentur für Arbeit soll im Zusammenhang mit dem örtlichen Träger der Sozialhilfe darauf hinwirken, daß Erziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes angeboten wird.

    (4) Die Arbeitsgelegenheit ist weiter unzumutbar, wenn die Ausübung der Arbeit mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann.

    (5)
    Auch eine Ganztagsarbeit kann im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit unzumutbar sein. Der Gesetzgeber hat dies zwar nicht geregelt.

    Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht dies für die ähnlich gelagerte
    Problematik des § 19 Abs. 2 BSHG angenommen. Danach darf eine vollschichtige Arbeit nicht verlangt werden, weil dies dem Zweck der „Hilfe zur Arbeit“ widerspricht. Dies gilt vor allem dann, wenn im Rahmen der
    Zusatzarbeit nur eine Mehraufwandsentschädigung gezahlt wird.

    Nach der bisherigen Rechtsprechung ist darauf abzustellen, daß eine nichtvergütete Arbeit nur begrenzt zumutbar sei. Zu den Arbeitsgelegenheiten
    nach SGB II gibt es noch keine abschließende Rechtsprechung. Es spricht jedoch vieles dafür, die bisherige Rechtsprechung auch hier zu übernehmen und Arbeitslose nicht gegen ihren Willen zu einem vollschichtigen
    Ein-Euro-Job zu zwingen. Zwar ist jede Arbeit zumutbar. Diese Regelung betrifft jedoch nicht den Arbeitsumfang. Lukretia Borgia könnte deshalb mit ihrer Weigerung zur Ganztagsarbeit Recht bekommen.

    (6)
    Sonstige wichtige Gründe könnten im Einzelfall bestehen. Dies muß genau geprüft werden. So wäre es durchaus vorstellbar, den vormaligen General Tilly nach der Zerstörung der Stadt durch ihn später nicht als
    Stadtführer in Magdeburg einzusetzen. Dies könnte in der Tat aufgrund der zu befürchtenden Verwicklungen unzumutbar sein.



3. Keine Ablehnungsgründe / Zumutbarkeit


    Der Gesetzgeber hat in § 10 Abs. 2 SGB II ausdrücklich formuliert, was aus seiner Sicht alleine kein Ablehnungsgrund sei:

    (1) Unzumutbar ist eine
    Arbeitsgelegenheit nicht schon deshalb, weil sie nicht einer früheren beruflichen Tätigkeit entspricht, für die der Arbeitslose ausgebildet ist oder die er ausgeübt hat. Deshalb können sich Paris und Helena auch
    nicht auf ihre frühere Ballett-Tätigkeit berufen.

    (2) Eine Arbeit bleibt auch zumutbar, wenn sie im Hinblick auf die Ausbildung des hilfebedürftigen Arbeitslosen als geringwertig anzusehen ist. Der
    arbeitslose Mozart kann sich nicht darauf stützen, daß die Pflege der Grünanlagen beim Wagner-Denkmal wesentlich geringwertiger sei, als seine frühere Komponistentätigkeit. Die Arbeitsgelegenheit dient zur
    Förderung der Wiedereingliederung in Arbeit, jedoch nicht unbedingt in die früher verrichtete Tätigkeit. Auch der Umstand, daß Mozart bei der neuen Tätigkeit unliebsamen Geistern aus seinem früheren Leben
    begegnet, führt in der Regel nicht zur Unzumutbarkeit.

    (3) Unzumutbarkeit entsteht nicht, wenn der Beschäftigungsort vom Wohnort des Hilfebedürftigen weiter entfernt ist, als sein früher Beschäftigungs- oder
    Ausbildungsort.

    (4) Unzumutbarkeit liegt auch dann nicht vor, wenn die neuen Arbeitsbedingungen ungünstiger sind, als bei den bisherigen Beschäftigungen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Neurochirurg Dr.
    Mabuse könnte sich nicht darauf berufen, daß er früher immer im klimatisierten Operationssaal stand und nunmehr bei Wind und Wetter archäologische Ausgrabungen durchführen soll. Das alleine wäre kein
    Unzumutbarkeitsgrund.



4. Sanktionen


    Weigert sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige, einen Eingliederungsvertrag abzuschließen und eine zumutbare Arbeitsgelegenheit anzutreten oder
    durchzuführen, ohne daß ein wichtiger Grund vorliegt, so muß er mit massiven Kürzungen des Arbeitslosengeldes II rechnen.

    Das gleiche gilt, wenn der Arbeitslose eine Arbeitsgelegenheit zwar antritt, aber ohne
    wichtigen Grund abbricht oder wenn er durch vertragswidriges oder rechtswidriges Handeln Anlaß zum Abbruch der Tätigkeit gibt.

    Die Einzelheiten sind in § 31 SGB II geregelt. Danach ist der Hilfebedürftige
    zunächst über die Rechtsfolgen seiner Weigerung, des Abbruchs der Tätigkeit etc. zu belehren. Bleibt der Hilfebedürftige dabei, sich zu weigern bzw. abzubrechen ohne wichtigen Grund oder hat er einen Anlaß für
    den Abbruch gegeben, so kann in einer ersten Stufe das Arbeitslosengeld II um 30 % abgesenkt werden. Weitere Absenkungen können bei wiederholter Pflichtverletzung trotz Belehrung ohne wichtigen Grund folgen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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