Der Fall
Don Giovanni räumt in seinem Musiktheater betriebsbedingt auf. Es fällt ihm schwer. Er weiß nicht, ob die Sozialauswahl bei Gericht hält. Auch der
Betriebsrat möchte mitwirken und Rechtssicherheit schaffen. Der Betriebsratsvorsitzende Rigoletto fragt Don Giovanni, ob nicht per Betriebsvereinbarung die Sozialauswahl mitgestaltet werden könnte.
Die
weiteren Betriebsratsmitglieder Verdi und Aida meinen, daß dies nach der Neufassung des § 1 Kündigungsschutzgesetz möglich sei.
Die Lösung
1. Auswahlrichtlinien, § 1 Abs. 4 KSchG
Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 Betriebsverfassungsgesetz für die Zukunft festlegen, wie die sozialen
Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 KSchG im Verhältnis zueinander zu bewerten sind. Wird eine solche Betriebsvereinbarung geschlossen, so kann die Bewertung der einzelnen Kriterien von Gerichten nur auf grobe
Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
Der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift den Betriebsparteien, Betriebsrat und Arbeitgeber die Möglichkeit gegeben, eine gewisse Rechtsklarheit zu schaffen. Eine solche
“Auswahlrichtlinie” nach § 95 BetrVG bindet aber auch den Arbeitgeber, der sich zukünftig daran halten muß. Dies ist im Rahmen der Rechtssicherheit jedoch ein Vorteil.
Die sozialen Gesichtspunkte und
Kriterien der Sozialauswahl sind gesetzlich festgelegt. Die Betriebspartner können jedoch die Bewertung der einzelnen Kriterien abstimmen.
Dabei müssen sie sich aber an den Willen des Gesetzgebers halten, sie
dürfen nicht ein Kriterium übermäßig bevorzugen oder wegfallen lassen. Das Gericht kann die Bewertungskriterien überprüfen. Wegen der Autonomie der Betriebsparteien kann es jedoch nur grobe Fehler beanstanden.
Grobe Fehler lägen dann vor, wenn z.B. ein Kriterium überhaupt nicht berücksichtigt, oder übermäßig stark vernachlässigt wird. Eine grobe Fehlerhaftigkeit läge auch dann vor, wenn die Betriebspartner neue
Kriterien einführen und mit den gesetzlichen Kriterien vergleichbar gewichten. Sofern ein Punkteschema eingeführt wird, darf dies im Einzelfall nicht zu einer groben Ungerechtigkeit führen.
Der Gesetzgeber
hat die Überprüfungsmöglichkeit des Arbeitsgerichts im übrigen aber nicht eingeschränkt. Insbesondere bei der Bestimmung des auszuwählenden Personenkreises, bei der Frage der Vergleichbarkeit etc. ist die volle
gerichtliche Nachprüfbarkeit gegeben.
2. Betriebsänderung / Namensliste
Der Gesetzgeber hat den 1999 gestrichenen § 1 Abs. 5 KSchG wieder eingeführt. Diese Regelung betrifft den Fall der Betriebsänderung, z.B. den Fall der
Betriebsstillegung, der Teilstillegung, der Verlegung eines Betriebes oder von Betriebsteilen, den Zusammenschluß von Betrieben, der Spaltung, der grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation oder der
Einführung grundlegender neuer Arbeitsmethoden, Fertigungsverfahren etc.
In diesen Fällen kann der Betriebsrat in Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitnehmern vom Arbeitgeber die Verhandlung über einen
Interessenausgleich und ggf. einen Sozialplan verlangen.
Wird ein solcher Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgeschlossen, so ist es nach § 1 Abs. 5 KSchG möglich, daß die im Rahmen der
Betriebsänderung, Stillegung etc. zu kündigenden Arbeitnehmer im Interessenausgleich namentlich bezeichnet werden.
Für diesen Fall wird von seiten des Gesetzgebers vermutet, daß die Kündigung der genannten
Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Die soziale Auswahl der genannten Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit von seiten des Arbeitsgerichts überprüft werden.
Dies
gilt nur dann nicht, wenn sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleiches vor Ausspruch der Kündigung wesentlich geändert hat.
Die Nennung der Mitarbeiter in einem Interessenausgleich läßt
jedoch die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung nicht entfallen. Der Betriebsrat muß trotz seiner vorangegangenen Beteiligung noch einmal ordnungsgemäß angehört werden.
3. Gerichtliches Verfahren
Trotz der Einschränkung der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit bei der Sozialauswahl im Falle der Namensliste ist der Arbeitgeber im Prozeß nicht von
seiner Verpflichtung entbunden, auf Verlangen des Klägers die Gründe für die getroffene Sozialauswahl einschließlich der Gründe für die Ausklammerung einzelner Arbeitnehmer substantiiert darzulegen und ggf. zu
beweisen.
Die Bewertung des Arbeitgebers im Rahmen der Sozialauswahl und die Einbeziehung einzelner Mitarbeiter in die Namensliste kann grob fehlerhaft sein, wenn bei der Bestimmung des Kreises vergleichbare
Arbeitnehmer z.B. die Ausbildung, die Fähigkeiten und damit die Austauschbarkeit offenkundig verkannt wurde.
Es ist auch denkbar, daß Betriebsrat und Arbeitgeber bei der Erstellung der Namensliste die
Gewichtung der gesetzlichen Sozialdaten falsch vorgenommen und jede Ausgewogenheit vernachlässigt haben.
Sofern – was üblich ist – ein Punkteschema verwandt wird, muß dieses im Prozeß erläutert werden.
Sollte nach dem Abschluß des Interessenausgleiches und der Festlegung der zu kündigenden Arbeitnehmer per Namensliste sich die Sachlage z.B. durch Betriebsverkauf oder durch Fortführung des Betriebes oder
Planänderungen beim Arbeitgeber wesentlich ändern, ist die Namensliste für die Kündigung und die Prüfung der Sozialauswahl nicht mehr von Bedeutung. Der Arbeitgeber muß dann die Sozialauswahl jeder einzelnen zu
kündigenden Person noch einmal neu durchführen.