Der Fall:
Don Giovanni muß seine Belegschaft betriebsbedingt verkleinern. Nach den Sozialdaten müßte er seinen jungen Starkomponisten Mozart kündigen. Den braucht
er. Lieber sollen die Zweitkomponisten Mussorgski oder Puccini gehen. Auch die weltberühmte Sopranistin Maria Callas will er nicht im Rahmen der Sozialauswahl verlieren. Die ältliche Dona Clara mit dem leichten
Zittern beim Hohen C ist zwar sozial schutzwürdiger, ihr Weggang aber musikalisch besser zu verkraften.
Hat Don Giovanni Chancen, seine Spitzen zu behalten?
Die Lösung:
1. Wichtige Neuregelung
Der Gesetzgeber hat zugunsten der Arbeitgeber in der Neuregelung des § 1 Abs. 3 KSchG ab 1.1.2004 die Möglichkeit der Arbeitgeber ausgeweitet,
Leistungsträger etc. trotz günstigerer Sozialdaten zu behalten. Der Gesetzgeber hat formuliert:
“In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung
insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt”.
Hier zeigt sich ein
Zielkonflikt zwischen der eigentlichen Sozialauswahl nach Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung einerseits und der Leistungsfähigkeit des Betriebes und des Unternehmens
andererseits. In diesem Zielkonflikt hat der Gesetzgeber Partei ergriffen. Er will es dem Arbeitgeber ermöglichen, Leistungsträger aus der Sozialauswahl herauszunehmen und im Betrieb zu belassen.
Die neue
Regelung bedeutet klar und deutlich geringere Anforderungen an die Herausnahme aus der Sozialauswahl, als nach dem bisherigen Gesetzeswortlaut.
2. Betriebliches Interesse
Ein betriebliches Interesse an bestimmten Arbeitnehmern ist dann anzunehmen, wenn es für den Betrieb in nachvollziehbarer, dokumentierbarer Weise
vorteilhaft oder wichtig ist, einen oder mehrere genau bezeichnete Arbeitnehmer unabhängig von dem Ergebnis der Sozialauswahl weiter zu beschäftigen.
Dabei ist zu beachten, daß diese Herausnahme aus der
Sozialauswahl die Ausnahme ist. Nach der Rechtsprechung des BAG ist es nicht möglich, daß der Arbeitgeber z.B. pauschal 30 % der Belegschaft zu Leistungsträgern erklärt und aus der Sozialauswahl ausnimmt. Hier
ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis gestört.
3. Beispiele
Bei den vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Leistungsträgern ist an Mitarbeiter zu denken, die selten anfallende Spezialarbeiten durchführen können
aufgrund einer besonderen Ausbildung. Ein weiterer Fall wäre die deutlich breitere Einsetzbarkeit von Mitarbeitern oder die deutlich erweiterte Zusatzausbildung in einem bestimmten Berufssegment.
Der
Gesetzgeber hebt sowohl auf besondere Kenntnisse, aber auch besondere Fähigkeiten oder besondere Leistungen ab.
Dazu zählen auch besondere Führungseigenschaften einiger Arbeitnehmer, die sich vielleicht für
zukünftige gehobene Positionen eignen. Schließlich können besondere Leistungen, auch eine besondere Einsatz- und Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern von Bedeutung sein.
Wenn der Arbeitgeber solche
Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausnehmen will, muß er im Zweifel vor Gericht die besondere Qualifikation, die besonderen Fähigkeiten oder Leistungen substantiiert darlegen und beweisen können.
Achtung:
Es reichen Allgemeinplätze dazu nicht aus. Es reicht auch nicht aus, daß ein Mitarbeiter etwas schneller oder etwas besser als der andere Mitarbeiter arbeitet.
Andererseits will der Gesetzgeber
sichern, daß die Leistungsfähigkeit eines Betriebes durch betriebsbedingte Kündigungen nicht geschwächt und damit nicht auch noch andere Arbeitsplätze gefährdet werden, deshalb spricht er vom “berechtigten
betrieblichen Interesse”.
4. Sicherung ausgewogener Personalstruktur
Der Gesetzgeber hat nunmehr anerkannt, daß auch die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im Rahmen betriebsbedingter Kündigungen ein
berechtigtes Anliegen des Arbeitgebers ist. Damit ist der Arbeitgeber nicht gezwungen, alle jungen Arbeitnehmer zu kündigen und nur die älteren zu behalten. Er kann vielmehr Altersgruppen bilden und innerhalb
der Altersgruppen dann die Sozialauswahl treffen mit dem Ziel, an einem Personalabbau alle Arbeitnehmer zu beteiligen.
Achtung:
Der Gesetzgeber hat den Arbeitgeber aber nicht ermächtigt, die Sozialauswahl zur Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur zu durchbrechen. Dies ist nur dem Insolvenzverwalter nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Insolvenzordnung gestattet. Der Arbeitgeber darf lediglich die bestehende Personalstruktur und bisherige Leistungsstärke der Belegschaft schützen und aufrecht erhalten. Das ist im Vergleich zur bisherigen Regelung jedoch schon ein deutlicher Schritt, der den Arbeitgeber berechtigt, auch ältere Mitarbeiter zu kündigen. Im Prozeß muß er allerdings alle diese Schritte und Notwendigkeiten stets belegen und beweisen können!
5. Der Fall
Im Ergebnis bedeutet dies, daß Arbeitgeber Don Giovanni seine Stars und Leistungsträger trotz günstiger Sozialdaten behalten darf. Starkomponist Mozart
darf bleiben, Mussorgski oder Puccini müssen gehen, Starsopranistin Callas bleibt, während Dona Clara das Hohe C in einem anderen Etablissement zittern muß.