Folge 160

Die neue Sozialauswahl III



Der Fall:


    Unternehmer Don Giovanni muß sein Musiktheater aus wirtschaftlichen Gründen personell verkleinern. Wem kann und soll er kündigen?

    Der Geiger Vivaldi
    war schon bei seinem Vater Don Vito beschäftigt. Der quicklebendige junge Geiger Strauß ist aber wichtig für die Stimmung.

    Die Tänzerinnen Mimi, Musette und Aida sind alle gleich jung. Aida ist jedoch
    schwerbehindert und Mimi hat vom Stehgeiger Puccini 2 Kinder. Musette will Don Giovanni nicht gehen lassen, weil sie so hübsch ist.

    Wäre es einfacher, das ganze Ballett abzuschaffen und alle Tänzerinnen zu
    kündigen?



Die Lösung


    Die vom Gesetzgeber in § 1 Absatz 3 KSchG genannten Kriterien der Sozialauswahl scheinen klar und einfach zu sein. Dies kann jedoch im Einzelfall ein
    großer Irrtum sein. Deshalb müssen diese Kriterien kurz beleuchtet werden.



1. Dauer der Betriebszugehörigkeit


    Entscheidend ist die Dauer des (letzten) Arbeitsverhältnisses mit diesem Arbeitgeber. Dabei zählt ein Ausbildungsverhältnis nicht mit, da es sich dabei
    nicht um ein Arbeitsverhältnis handelte.

    Für die Dauer des Arbeitsverhältnisses ist es ohne Bedeutung, ob dieses Arbeitsverhältnis tatsächlich geruht hat, z.B. durch Wehrdienst, Elternzeit, Sonderurlaub o.ä.
    Es zählt allein der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses.

    Bei einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang zählen die Vordienstzeiten beim früheren Arbeitgeber mit. Nach § 613 a BGB tritt nämlich der
    Betriebserwerber in die Rechte und Pflichten aus den bei Betriebsübergang bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Das Arbeitsverhältnis ist nicht unterbrochen worden.

    Problematisch ist der Fall, wenn ein
    Arbeitsverhältnis nicht nur tatsächlich durch Ruhen, sondern auch rechtlich unterbrochen wurde, z.B. durch Kündigung, Aufhebungsvertrag oder Befristung. Wenn dann ein späteres Arbeitsverhältnis mit demselben
    Arbeitgeber begründet wird, so zählen diese Vordienstzeiten generell bei der Sozialauswahl nicht mit. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Vordienstzeiten aufgrund vertraglicher Vereinbarung angerechnet werden.
    Dann müssen sie berücksichtigt werden. Dies könnte z.B. bei Handwerkern mit witterungsbedingter Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses der Fall sein.



2. Lebensalter


    Normalerweise ist das Lebensalter eines Mitarbeiters kein Problem. Es ist standesamtlich oder durch Ausweis festzustellen. Es empfiehlt sich für
    Arbeitnehmer hier nicht, sich jünger zu machen.

    Dagegen ist bei ausländischen Arbeitnehmern das Lebensalter nicht immer so ohne weiteres feststellbar. Dies gilt vor allem dann, wenn keine ausreichenden
    amtlichen Ausweise oder Nachweise vorliegen.

    Außerdem kommt es immer wieder vor, daß aufgrund amtlicher oder gerichtlicher Verfahren in den Heimatländer das Lebensalter ausländischer Mitarbeiter nachträglich
    korrigiert wird (mit der Folge, daß z.B. eine frühere Rentenbezugsberechtigung entsteht).

    Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist grundsätzlich das Lebensalter entscheidend, das der Arbeitnehmer
    gegenüber der Sozialversicherung oder dem Arbeitgeber bei der Einstellung angegeben hat.

    Für den Arbeitgeber ist im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung das Lebensalter entscheidend, das ihm vom
    Arbeitnehmer bekanntgegeben wurde. Der Arbeitnehmer ist daran festzuhalten. Korrigiert der Arbeitnehmer im Laufe der Beschäftigungsdauer durch amtliche Nachweise sein Lebensalter, so wäre das korrigierte
    Lebensalter bei der Sozialauswahl zugrunde zu legen.



3. Unterhaltspflichten


    Die vom Arbeitgeber zu berücksichtigenden Unterhaltsverpflichtungen der Mitarbeiter sind ein Dauerproblem im Rahmen der Sozialauswahl. Der Gesetzgeber
    wollte damit die familiären Belastungen des Arbeitnehmers im Rahmen der Kündigung berücksichtigt wissen. Wer höhere Unterhaltsleistungen zu tragen hat, ist sozial schutzwürdiger.

    Daraus folgt, daß im Sinne
    des Gesetzes nur die Unterhaltspflichten zu verstehen sind, die im Familienverband aus den gesetzlichen Regelungen sich ergeben. Danach bestehen Unterhaltspflichten in der geraden Linie.

    Dies bedeutet, daß
    Eltern für ihre Kinder und Kinder für ihre Eltern, aber auch Enkel für ihre Großeltern oder Großeltern für ihre Enkel unterhaltspflichtig werden können. Entscheidend ist jedoch die tatsächliche
    Unterhaltsverpflichtung aufgrund der gegebenen Lage. Unterhaltspflichten für die Eltern entstehen nur, wenn diese bedürftig sind und umgekehrt.

    Regelmäßig sind daher die Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten
    und Eltern und Kindern von Bedeutung. Gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen bestehen zwischen Lebenspartnerschaften nicht. Sie werden deshalb bisher nicht berücksichtigt.

    Auch moralische
    Unterhaltsverpflichtungen aus Tradition, fremdländischen Sitten und Gebräuchen sind nicht zu berücksichtigen. Gerade in außereuropäischen Ländern bestehen vielfältige Unterhaltspflichten, die oft durch Tradition
    gewachsen sind. Daran wollte sich der Gesetzgeber nicht orientieren.

    Letztlich werden nach bisherigem Recht die Unterhaltsregelungen des BGB, d.h. Unterhaltspflichten nach deutschem Recht zugrunde gelegt.
    Deshalb sind auch tatsächliche Unterhaltsleistungen von Stiefeltern gegenüber ihren Stiefkindern in der Regel nicht im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen.

    Soweit die Unterhaltsberechtigten aber
    eigene Einkommen haben, oder anderweitig Unterhaltsleistungen beziehen, wäre dies ggf. zu berücksichtigen. Dies ist besonders engagiert im Bereich des Ehegatteneinkommens diskutiert worden (sog.
    Doppelverdienst). Der Gesetzgeber wollte jedoch nicht diejenigen schützen, die ohnehin schon einen ausreichenden Schutz oder ein ausreichendes Einkommen genießen.



4. Ermittlung der Kriterien


    Gerade bei den Unterhaltsverpflichtungen ist der Arbeitgeber oft nicht in Besitz der genauen Daten. Der Arbeitgeber ist im Zweifel verpflichtet, die
    entsprechenden Unterhaltskriterien zu ermitteln. Auf Befragung sind die Arbeitnehmer verpflichtet, wahrheitsgemäße Auskünfte zu geben.

    Die Daten können sich aus den Personalunterlagen, der Lohnsteuerkarte
    etc. ergeben. Es ist jedoch immer zu bedenken, daß diese Daten z.T. veraltet sind, z.T. die tatsächliche Lage auch nicht vollständig darstellen.


    Empfehlung:

    Der Arbeitgeber kann bei Einstellung die Sozialdaten abfragen und den Arbeitnehmer bei schriftlicher Belehrung und Unterschrift Änderungen im Bereich der Sozialdaten mitzuteilen. Unterläßt der Arbeitnehmer dies dann später, könnte dies zu seinen Lasten gehen. Der Arbeitgeber kann aber auch in regelmäßigen Abständen entsprechende Umfragebögen durch die Arbeitnehmer ausfüllen lassen.

    5. Schwerbehinderung

    Dieses Kriterium wird in der nächsten Folge besprochen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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