Der Fall:
Unternehmer Don Giovanni muß sein Musiktheater aus wirtschaftlichen Gründen personell verkleinern. Wem kann und soll er kündigen?
Der Geiger Vivaldi
war schon bei seinem Vater Don Vito beschäftigt. Der quicklebendige junge Geiger Strauß ist aber wichtig für die Stimmung.
Die Tänzerinnen Mimi, Musette und Aida sind alle gleich jung. Aida ist jedoch
schwerbehindert und Mimi hat vom Stehgeiger Puccini 2 Kinder. Musette will Don Giovanni nicht gehen lassen, weil sie so hübsch ist.
Wäre es einfacher, das ganze Ballett abzuschaffen und alle Tänzerinnen zu
kündigen?
Die Lösung
1. Alte Rechtslage
Nach der bis Ende 2003 geltenden Fassung des § 1 Abs. 3 KSchG war eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn
“der Arbeitgeber bei der Auswahl des
Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat”.
Der Gesetzgeber hatte bewußt die sozialen Gesichtspunkte nicht festgelegt. Insoweit bestand ein Ermessensspielraum des
Arbeitgebers und ein entsprechender Überprüfungsspielraum der Gerichte.
Dieser weite, unbestimmte Rechtsbegriff führte jedoch auch zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber das
Gesetz nunmehr revidiert.
2. Neue Gesetzesfassung
Mit dem 1.1.2004 hat der Gesetzgeber eine Neufassung des § 1 Abs. 3 KSchG eingeführt, die in dieser Form in wesentlichen Punkten schon 1996 von der
Regierung Kohl nivelliert wurde, aber 1999 aber wieder geändert wurde. Es gilt: Agenda 2010 ist in wichtige Teilen Kohl 1996.
In der neuen Fassung des § 1 Abs. 3 KSchG ist die Kündigung sozial
ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber
“bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung nicht oder nicht ausreichend
berücksichtigt hat”.
Diese Neufassung hat die “sozialen Gesichtspunkte” relativ genau eingegrenzt und damit die Sozialauswahl im wesentlichen auf diese 4 Punkte beschränkt. Die gerichtliche Überprüfung hat
sich jedenfalls im wesentlichen nur darauf zu erstrecken, ob der Arbeitgeber diese Gesichtspunkte ausreichend gewahrt hat.
3. Ausnahmen
Der Arbeitgeber ist an den vorgegebenen gesetzlichen Prüfungsmaßstab mit den 4 Kriterien gebunden. Er ist gut beraten, sich daran zu halten.
Nur im
Einzelfall und ausnahmsweise kann er dem gesetzlichen Maßstab genügen, wenn er noch weitere Gesichtspunkte in die Abwägung einbezieht. Dies gilt nur dann, wenn die Sozialauswahl ohne diese Berücksichtigung eine
unbillige Härte darstellen würde. Aus verfassungsrechtlichen Gründen kann dies trotz des gesetzlichen Kanons im Einzelfall trotz des eindeutigen Wortlauts nicht ausgeschlossen und verwehrt werden.
Dies
bedeutet, daß der Arbeitgeber besonders gravierende soziale Gesichtspunkte eventuell bei der Sozialauswahl im Ausnahmefall noch berücksichtigen darf, er ist nach dem Gesetz aber nicht verpflichtet, solche
zusätzlichen Gesichtspunkte in die Sozialauswahl mit einzubeziehen und damit sein Risiko zu scheitern zu erhöhen.
Die zusätzlichen Faktoren müssen jedoch in einem Zusammenhang mit den gesetzlich genannten 4
Kriterien stehen.
Beispiel: Alle zu kündigenden Geiger haben jeweils 1 Kind. Das Kind von Händel ist aber schwerstbehindert und bedarf besonderer Pflege und finanzieller Aufwendungen.
Denkbar ist auch, daß
sich weitere gravierende soziale Kriterien aus betrieblichen Gegebenheiten ergeben, z.B. eine Krankheit, Verletzung oder Behinderung aufgrund eines Betriebsunfalles oder eine Leistungseinschränkung aufgrund
einer Berufskrankheit.
Im übrigen aber schließt der Gesetzgeber weitere Kriterien strikt aus.
4. Gleichrangigkeit der Kriterien
Nach dem Willen des Gesetzgebers sind alle der 4 aufgeführten Kriterien grundsätzlich gleich zu gewichten. Entgegen früherer Gebräuchlichkeiten kann
insbesondere der Betriebszugehörigkeit nicht ein besonderes Schwergewicht zukommen, aber auch nicht der Schwerbehinderung.
Es ist eine Gesamtabwägung aller Kriterien vorzunehmen. Zu kündigen ist derjenige,
der am wenigsten auf den Erhalt des Arbeitsplatzes angewiesen ist, der damit am wenigsten sozial schutzwürdig ist.