Folge 156

Abfindung nach § 1 a KSchG – praktische Probleme



Der Fall:


    Arbeitgeberin Marylin will den widerspenstigen Arbeitnehmer Kinski kündigen. Mit ihrem Unternehmensberater Sigmund Freud überlegt sie sich, ob eine
    Vorgehensweise nach § 1 a KSchG mit betriebsbedingter Kündigung statt verhaltensbedingter Kündigung und Abfindungsangebot für sie wirklich empfehlenswert wäre. Freud ist skeptisch.

    Auch Arbeitnehmer Kinski
    überlegt sich, ob er ein solches Angebot annehmen und auf eine Kündigungsschutzklage verzichten solle. Vielleicht kann er auf dem Klagewege tatsächlich mehr erreichen?

    Was sind die Vor- und Nachteile für
    Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei dieser Regelung?



Die Lösung



1. Psychologische Überlegungen


    Wählt Arbeitgeberin Marylin die Lösung des § 1 a KSchG, so weiß sie noch lange nicht, ob Arbeitnehmer Kinski die angebotene Abfindung annehmen oder ob er
    Kündigungsschutzklage erheben wird. Dies ist ein Risiko für die Arbeitgeberin. Fest steht allerdings bei dieser Lösung, daß die Arbeitgeberin ein Abfindungsangebot in einer bestimmten Höhe gemacht hat. Wenn sich
    Arbeitnehmer Kinski auf das Angebot nicht einläßt, wird beim Arbeitsgericht noch einmal über die Frage einer gütlichen Einigung durch Zahlung einer Abfindung verhandelt.

    In diesem Falle kann Arbeitgeberin
    Marylin kaum damit rechnen, sich unter das frühere Angebot zurückziehen zu können. Dieses Angebot ist letztlich als Mindestangebot nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Im Zweifel wird dann nur noch über höhere
    Summen verhandelt. Marylin schwächt ihre Position in einem späteren Verfahren durch ihr Angebot.

    Außerdem könnte beim Arbeitnehmer Kinski durch das Abfindungsangebot der Eindruck entstehen, daß sich Marylin
    ihrer Kündigung nicht sicher ist und deshalb ein Abfindungsangebot abgibt. So könnte dieses Angebot bei manchem Arbeitnehmer erst ein richtiger Anreiz zur Klageerhebung sein mit dem Ziel, eine höhere Abfindung
    auszuhandeln.

    Im Ergebnis ist deshalb dem Arbeitgeber in vielen Fällen eine Vorgehensweise nach § 1 a KSchG nicht ohne weiteres anzuraten.

    Auch der Arbeitnehmer kann damit rechnen, im Falle einer
    Kündigungsschutzklage das Abfindungsangebot des Arbeitgebers noch einmal erhöhen zu können. Dies gilt auch deshalb, weil bei einer späteren gerichtlichen Verhandlung sich die Erfolgsaussichten der Kündigung
    vielleicht nicht so gut darstellen, wie die Arbeitgeberin das meint. Der Arbeitnehmer Kinski muß auch berücksichtigen, daß mit dem Verstreichenlassen der gesetzlichen Klagefrist ihm ein ganz wesentliches
    Druckmittel für weitere Ansprüche und Streitpunkte genommen wird.

    Es ist daran zu denken, daß gerade im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch weitere Streitpunkte offen sind, wie z.B.
    Vergütungsansprüche, Resturlaub, Zeugnis, Papiere, Überstunden, etc. Diese zusätzlichen Ansprüche lassen sich oft im Wege eines gerichtlichen Vergleiches ohne weitere bedeutsame gerichtliche Auseinandersetzungen
    mitvergleichen. Unter dem Druck der Kündigungsschutzklage ist der Arbeitgeber oft in diesen Punkten vergleichsbereiter, als wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohnehin schon feststeht.



2. Außerordentliche Kündigung


    Der Abfindungsanspruch entsteht erst mit Ablauf der Kündigungsfrist. Dies bedeutet, daß bei einer vorzeitigen außerordentlichen Kündigung des
    Arbeitsverhältnisses der Abfindungsanspruch überhaupt nicht entsteht. Der Arbeitnehmer kann eine außerordentliche Kündigung vor Ablauf der Kündigungsfrist nicht verhindern. Er hat insoweit ein Risiko.



3. Vollstreckungstitel


    Die Lösung nach § 1 a KSchG führt dazu, daß der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Abfindungsanspruch besitzt. Dieser Abfindungsanspruch ist jedoch
    nicht tituliert. Eine Vollstreckung ist nicht möglich. Verweigert der Arbeitgeber – aus welchen Gründen auch immer – die Zahlung der Abfindung oder eines Teils der Abfindung – so muß der Arbeitnehmer zunächst
    den Weg der Leistungsklage beim Arbeitsgericht beschreiten. Das hatte er gerade vermeiden wollen. Erst wenn er dann obsiegt – auch dies ist nicht zwingend – hat er einen Titel und kann vollstrecken.

    Erhebt
    der Arbeitnehmer dagegen Kündigungsschutzklage und schließt in der Güteverhandlung einen Vergleich, so ist der dort vereinbarte Abfindungsbetrag sofort tituliert und vollstreckbar. Eine weitere Klage ist nicht
    notwendig.


    Fazit:

    Hier liegt einer der großen Schwachpunkte des neuen Gesetzes. Die Titulierung des Abfindungsanspruchs kann für den Arbeitnehmer sehr wichtig sein.



4. Ausschlußfrist


    Zu bedenken ist auch, daß der Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG einer tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Ausschlußfrist unterliegt. Wird der
    Anspruch nicht sofort beglichen und vom Arbeitnehmer – warum auch immer – nicht schriftlich und beziffert innerhalb der Ausschlußfrist geltend gemacht, so muß der Arbeitnehmer damit rechnen, daß ihm der
    Arbeitgeber später die Abfindung mit Berufung auf die Ausschlußfrist verweigert.



5. Nachträgliche Zahlungsunfähigkeit


    Macht der Arbeitgeber ein Abfindungsangebot nach § 1 a KSchG und ist zum Zeitpunkt der Kündigung und des Angebots zahlungsunfähig, so wäre dies ein
    Anfechtungsgrund wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB für den Arbeitnehmer. Mit der Anfechtung könnte der Arbeitnehmer die nachträgliche Zulassung seiner Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG beantragen.

    Sollte der Arbeitgeber aber erst nach Kündigung und nach dem Abfindungsangebot in Zahlungsunfähigkeit fallen, läge keine arglistige Täuschung mit den entsprechenden Rechtsfolgen vor. Der Arbeitnehmer hätte dann
    im Vertrauen auf das Angebot auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichtet. Dieser Verzicht wäre nicht mehr rückgängig zu machen.


    Fazit:

    Es gibt viele Bedenken bei der Vorgehensweise nach § 1 a KSchG, die sowohl vom Arbeitnehmer wie auch vom Arbeitgeber überdacht werden müssen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.