Der Fall:
Arbeitgeberin Elisabeth beschäftigt aufgrund schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse nur noch ihren Butler Tony und Koch Charles. Die von ihr
betriebsbedingt gekündigte Zofe Diana ist immer noch arbeitslos.
Alle 4 haben schon von der Umsetzung des arbeitsrechtlichen Teils der Agenda 2010 seit Januar 2004 gehört. Alle hoffen auf eine Verbesserung
der herrschenden Verhältnisse.
Arbeitgeberin Elisabeth erwartet durch eine Absenkung des Kündigungsschutzes mehr Freiheit bei der Beschäftigung und der Entlassung von Arbeitnehmern.
Butler Tony und Koch
Charles hoffen auf Sicherung ihrer Arbeitsplätze und auf einen gesetzlichen Abfindungsanspruch. Die arbeitslose Zofe Diana dagegen hofft auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze und eine schnelle Wiedereinstellung.
Sind die Hoffnungen begründet?
Die Lösung:
1. Prolog
Zum 1.1.2004 sind zum wiederholten Male Änderungen im Kündigungsschutzgesetz, aber auch im Teilzeit- und Befristungsgesetz in Kraft getreten. Es handelt
sich dabei u.a. um den arbeitsrechtlichen Teilbereich der Agenda 2010. Nach den Vorstellungen der Regierung soll damit zur Belebung des Arbeitsmarktes beigetragen werden.
Von den ehrgeizigen Vorhaben und
Ankündigungen ist dabei nur wenig übrig geblieben. Im Wesentlichen erwartet der Gesetzgeber durch die Senkung arbeitsrechtlicher Schutzstandards eine Stimulierung der Wirtschaft und der Investoren. Im Bereich
des Kündigungsschutzgesetzes entspricht die neue Regelung “Agenda 2010” weitgehend der Regelung “Kohl 1996”.
Schon 1996 sollte durch diverse Erleichterungen im Kündigungsbereich des “Arbeitsrechtlichen
Beschäftigungsförderungsgesetzes” ein Beschäftigungsgewinn von mindestens 600.000 Arbeitsplätzen eintreten. Mit dem Korrekturgesetz der Regierung Schröder wurden zum 1.1.1999 diese Änderungen wieder weitgehend
gestrichen. Begründung: Die Regelungen “Kohl 1996” erbrachten kaum neue Arbeitsplätze. Zur Sicherung des sozialen Friedens und der sozialen Partnerschaft werde der alte Zustand wieder hergestellt.
Mit der
“Agenda 2010” hat nun die Regierung Schröder zum 1.1.2004 den Zustand “Kohl 1996” weitgehend wieder hergestellt. Die Begründung des Korrekturgesetzes 1999 scheint nicht mehr aktuell. Das Ziel der Neuregelung
(“Vorwärts, wir stürmen zurück!”) ist wie schon 1996 Förderung von Beschäftigung und Neueinstellungen durch Absenkung der arbeitsrechtlichen Hürden, Erleichterung von Kündigungen in Klein- und Großbetrieben,
Erhalt der “Leistungsträger” in den Betrieben, Unterstützung von Existenzgründern.
Den Arbeitnehmern soll die Reform mittels eines gesetzlichen Abfindungsanspruches geltend gemacht werden, der vielleicht gar
keiner ist.
2. Überblick
Es wurden insbesondere in folgenden Paragraphen Neuregelungen getroffen:
– § 23 Abs. 1 KSchG. Ausweitung der “Kleinbetriebsklausel”: Keine Geltung des
Kündigungsschutzes in Betrieben bis 10 Arbeitnehmern,
– § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Beschränkung der Sozialauswahl-Kriterien bei betriebsbedingten Kündigungen auf Betriebszugehörigkeit, Lebensalter,
Unterhaltsverpflichtungen, Schwerbehinderung,
– § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Herausnahme von Leistungsträgern aus der Sozialauswahl, Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur,
– § 1 Abs. 4 KSchG.
Begrenzung der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten der Sozialauswahl bei der Bewertung der Sozialauswahl in Auswahlrichtlinien,
– § 1 Abs. 5 KSchG. Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer bei
Betriebsänderung im Interessenausgleich. Beschränkung der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten,
– § 1 a KSchG. Einführung eines “gesetzlichen” Abfindungsanspruchs,
– § 4 KSchG. Klagefrist, Klagezwang
für Arbeitnehmer innerhalb von 3 Wochen nach Zugang
jeder schriftlichen Kündigung
, egal aus welchem Grund. Sonst:
– § 7 KSchG Rechtsunwirksamkeit der Kündigung ohne weitere gerichtliche Prüfung,
–
§ 623 BGB: Schon seit dem 1.5.2000 gilt, daß Kündigungen im Arbeitsverhältnis stets schriftlich sein müssen, sonst sind sie rechtsunwirksam,
– § 5 KSchG. Bei Versäumung der Klagefrist (§ 4 KSchG) können
ausnahmsweise Klagen verspätet zugelassen werden. Dies gilt insbesondere bei verspäteter Kenntnis der Schwangerschaft,
– § 6 KSchG. Möglichkeiten des Nachschiebens weiterer Unwirksamkeitsgründe bei
rechtzeitiger Klage gegen die Kündigung, oder Geltendmachung von Unwirksamkeitsgründen,
– § 13 KSchG. Fristlose Kündigung, Änderungen,
– § 14 Abs. 2 a TzBfG. Ausgedehnte Befristungsmöglichkeiten für
Existenzgründer,
– § 10 SGB II. Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien für die Annahme einer Beschäftigung bei Langzeitarbeitslosigkeit.
3. Achtung: Lohnwucher
Der Gesetzgeber hat zur Förderung der Beschäftigung sowohl bei Langzeitarbeitslosigkeit wie auch in anderen Bereichen den Einstieg in ein niedrigeres
Lohnniveau präferiert. Arbeitgeber dürfen zum eigenen Schutz jedoch nicht außer Acht lassen, daß das “Untermaßverbot” für Niedriglöhne sowohl arbeitsrechtlich wie auch strafrechtlich weiter besteht.
Niedrige
Lohnvereinbarungen sind ungeachtet der arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen aus Berlin unwirksam, wenn sie nach § 138 BGB als sittenwidrig anzusehen sind, wenn sie den Tatbestand des strafbaren Lohnwuchers nach
§ 291 Strafgesetzbuch erfüllen, oder (heute besonders wichtig!) dem “Recht auf ein angemessenes Entgelt” nach § 4 der Europäischen Sozialcharta nicht entsprechen.
Ein solcher Fall liegt nach der
Rechtsprechung vor, wenn der Arbeitgeber mehr als 20 – 30 Prozent unter Tarif bezahlt. Hier riskiert der Arbeitgeber erhebliche Lohnnachzahlungen und strafrechtliche Verfolgung. Durch europäische Standards ist
dem nationalen Gesetzgeber hier ein Alleingang verwehrt.
4. Fazit
Die neuen Regelungen haben im Kündigungsrecht beachtliche Veränderungen gebracht. In den kommenden Folgen wird jedoch zu erörtern sein, daß z.T.
kündigungsrechtlich mehr Probleme neu geschaffen wurden als gelöst.
Das Kündigungsrecht wird überfordert, wenn durch die Änderungen ein bedeutsamer Beschäftigungsaufschwung erwartet wird. Auch eine Entlastung
der Gerichte wird sich kaum einstellen, eher eine Neubelastung durch neue Probleme. Es steht zu befürchten, daß die Hoffnungen der Arbeitnehmer auf bessere Abfindungen weitgehend enttäuscht werden, wenn nicht
ein allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung die Liquidität der Unternehmen verbessert.