Der Fall:
Rainer Maria Rilke ist von seinem Arbeitgeber Hermann Hesse gekündigt worden. Er bewirbt sich auf einer neuen Stelle. Rilke braucht dringend seine
Papiere und ein Zeugnis.
Rilke ist unklar, welche Papiere er im einzelnen neben der Lohnsteuerkarte, dem Sozialversicherungsnachweis und der Arbeitsbescheinigung noch verlangen kann. Insbesondere ist die
Frage, wann er endlich die Papiere vom Arbeitgeber verlangen kann und bekommt.
Arbeitgeber Hesse wohnt in Calw/Schwarzwald. Der arbeitslose Rilke ist beim Edelfräulein Annette von Droste-Hülshoff in dem alten
Meersburger Schloß am Bodensee untergekommen. Hesse verlangt, daß Rilke die Papiere in Calw abholt. Rilke hat keinen Cent Fahrgeld übrig. Muß Hesse die Papiere nach Meersburg schicken? Wer trägt das Risiko der
Versendung?
Die Lösung
1. Weitere Papiere: Urlaubsbescheinigung
Neben der Lohnsteuerkarte für das Jahr 2003, dem Sozialversicherungsnachweis, der Arbeitsbescheinigung gem. § 312 SGB III muß der Arbeitgeber dem
Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch eine Bescheinigung für die Höhe des bereits erteilten Urlaubs aushändigen. Diese Urlaubsbescheinigung kann der neue Arbeitgeber verlangen. Hierdurch soll
vermieden werden, daß der Arbeitnehmer Rilke bei einem Wechsel seiner Stelle seinen Jahresurlaub doppelt in Anspruch nimmt.
2. Gesundheitszeugnis
Im Bereich der Lebensmittelherstellung, Gastronomie etc. muß ein Gesundheitszeugnis vom Arbeitnehmer vorgelegt werden. Der Arbeitnehmer braucht dieses
Gesundheitszeugnis auch bei einer entsprechenden neuen Stelle. Der Arbeitgeber muß daher dem Arbeitnehmer bei Ausscheiden diese Bescheinigung zurückgeben.
3. Lohnnachweiskarte
Im Bauhaupt- und Baunebengewerbe ist der Arbeitgeber Mitglied der zentralen Versorgungs- und Urlaubskasse. Für den Urlaub wird eine Lohnnachweiskarte
geführt mit dem Verzeichnis des noch offenen Urlaubs und der Urlaubsvergütungsansprüche. Diese Lohnnachweiskarte nebst sonstigen Unterlagen muß der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer aushändigen.
4. Zeugnis
Arbeitnehmer Rilke hat gegen Arbeitgeber Hesse einen Anspruch auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er kann
zwischen einem einfachen Zeugnis (Arbeitsbescheinigung) und einem qualifizierten Zeugnis wählen. Das qualifizierte Zeugnis erstreckt sich insbesondere auf eine Tätigkeitsbeschreibung und eine Beurteilung von
Leistung und Führung.
Bei einer langen Kündigungsfrist kann der Arbeitnehmer schon die Erteilung eines Zwischenzeugnisses verlangen, um sich während der Kündigungsfrist bewerben zu können.
5. Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Der Anspruch von Rainer Maria Rilke auf Herausgabe der ordnungsgemäß ausgefüllten Arbeitspapiere wird bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig.
Der Arbeitgeber hat bei einer ordentlichen Kündigung mit Kündigungsfrist ausreichend Zeit, die Papiere fertig zu machen. Gelingt dies dem Arbeitgeber nicht, so begeht der Arbeitgeber einen Vertragsverstoß, der
bei schuldhaftem Handeln auch zu einem Schadenersatz führen kann.
Sollte sich aus irgendeinem Grunde die Ausfüllung der Arbeitspapiere verzögern, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer
wenigstens eine Zwischenbescheinigung zu erteilen, aus der sich alle Daten ergeben, die z.B. für die Lohnsteuerklasse oder die Berechnung des Arbeitslosengeldes beim Arbeitsamt erforderlich sind.
6. Hol- oder Schickschuld
Zunächst ist festzuhalten, daß die Übergabe der Arbeitspapiere durch den Arbeitgeber keine Bringschuld darstellt. Der Arbeitgeber muß nicht dem
Arbeitnehmer an seinem Aufenthaltsort nachfolgen und ihm die Papiere an den Wohn- oder Aufenthaltsort überbringen.
Grundsätzlich muß vielmehr der Arbeitnehmer die Arbeitspapiere im Betrieb abholen. Die
Herausgabeverpflichtung der Arbeitspapiere ist eine Holschuld. Insofern hat Arbeitgeber Hesse vom Prinzip her recht, wenn er verlangt, daß Rilke die Papiere abholt.
Dieser Grundsatz kennt jedoch
Durchbrechungen. Soweit vertraglich etwas anderes geregelt ist, gelten die vertraglichen Regelungen. Aus Gründen der Fürsorge und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der auch im Arbeitsverhältnis gilt, kann der
Arbeitgeber im Einzelfall gehalten sein, die Arbeitspapiere an den Arbeitnehmer zu übersenden.
Diese Schickschuld des Arbeitgebers besteht insbesondere dann, wenn die Papiere bei der Beendigung eines
Arbeitsverhältnisses noch nicht erstellt waren. Eine Schickschuld besteht aber auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Papiere aus einem rechtfertigenden Grund nicht abholen kann oder die Abholung unzumutbar ist.
Der Arbeitnehmer kann z.B. durch Krankheit an der Abholung behindert sein.
Der Hauptfall besteht allerdings darin, daß sich der Arbeitnehmer nicht mehr an der Betriebsstätte aufhält, sondern z.B. verzogen ist
und die Abholung unverhältnismäßig hohe Reisekosten verursachen würde.
In diesem Falle muß der Arbeitgeber die Papiere übersenden. Das Risiko der Versendung trägt allerdings der Arbeitnehmer Rilke. Dies gilt
zumindest dann, wenn der Arbeitnehmer die Versendung der Papiere vom Arbeitgeber gefordert hat. Mit diesem Verlangen übernimmt er das Transportrisiko.