Der Fall:
Richard Wagner kann Sachbearbeiter Giselher nicht leiden. Er versetzt ihn deshalb ins Lager als Arbeiter. Isolde beschimpft Tristan und bezichtigt ihn
vor Kollegen, daß er stinke, daß seine Frisur unappetitlich sei und seine Kleidung kurios. Der Arbeiter Hagen lacht sich auf dem Betriebshof über den Vorarbeiter Siegfried kaputt, weil dieser einen Sprachfehler
hat und immer wieder anfängt zu stottern. Brunhilde verbreitet unter dem Siegel der Verschwiegenheit über Krimhild die Mitteilung, daß diese versuche, Cosima beim Chef Wagner auszustechen. Sie bittet die
Kolleginnen, Krimhild zu schneiden und nicht mehr mit ihr zu reden. Welche Mobbing-Strategien liegen zugrunde?
Die Lösung
1. Mobbing durch organisatorische Maßnahmen
Organisatorische Maßnahmen im Betrieb haben regelmäßig einen Sachgrund. Arbeitgeber und Vorgesetzte müssen versuchen, die Arbeit des Betriebes möglichst
optimal zu gestalten.
Daneben können aber organisatorische Maßnahmen dazu dienen, einen Mitarbeiter zu maßregeln oder zu schikanieren. So können z.B. Versetzungen unsachlich oder willkürlich sein.
Ein
besonderes Problem ist die scheinbare Aufwertung und Wertschätzung eines Mitarbeiters, aufgrund deren dann diesem Mitarbeiter zu schwierige Aufgaben übertragen werden. Geschieht dies bewußt oder gar mit dem Ziel
einer Überforderung dieses Mitarbeiters, so kann ein organisatorisches Mobbing vorliegen.
Im Gegenzug ist gerade bei höheren Mitarbeitern der Entzug von Entscheidungskompetenzen von bestimmten
Aufgabengebieten, der Entzug des Kundenverkehrs, das Bestreiten der Verhandlungskompetenz etc. “tödlich”. Ein typischer Fall besteht z.B. darin, daß ein bisher maßgeblicher oder leitender Angestellter vor allen
Augen durch den Entzug von Entscheidungskompetenzen degradiert wird und als sog. “Frühstücksdirektor” künftig durch den Betrieb geht. Oft wird diesem Frühstücksdirektor dann noch ein hochtrabender Titel, z.B.
“Vice-President” angehängt, um ihn fast noch lächerlich zu machen.
Eine beliebte Methode, um unliebsame Mitarbeiter mit Leitungsfunktionen aus dem Betrieb zu drängen oder gefügig zu machen, besteht bei großen
Unternehmen darin, daß diesem Mitarbeiter ein neues Arbeitszimmer zugewiesen wird, das mehr oder weniger leer ist, mit Ausnahme eines Schreibtischstuhls und Telefons. Dieses Telefon ist dann möglicherweise zudem
nur betriebsintern geschaltet. In manchen Fällen ist dieser Zimmerwechsel auch noch mit einem Wechsel der Betriebsstätte verbunden.
Neben der Übertragung von zu schwierigen Aufgaben kann auch die Übertragung
besonders geringwertigerer Tätigkeiten und die entsprechende Offensichtlichkeit im Betrieb eine Form des organisatorischen Mobbings sein.
2. Soziale Isolierung
Die Strategie der sozialen Isolierung wird weniger im Bereich es Vorgesetzten-Mobbings, Bossing etc. betrieben, sondern mehr im Bereich des horizontalen
Mobbings, des Aufwärts-Mobbings oder des Rudel-Mobbings. Die Formen sind vielfältig.
Die einfachsten und gleichzeitig stärksten Formen bestehen darin, daß die Kollegen nicht mehr mit dem betreffenden
Mitarbeiter sprechen, ihn einfach übersehen, er ist “Luft”. Noch direkter und problematischer wird es, wenn die Kollegen für den Mitarbeiter nicht mehr ansprechbar sind, auf seine Ansprache hin nicht mehr
reagieren, ihn scheinbar nicht hören, wegschauen. Die nächste Steigerung besteht darin, dem Kollegen mitzuteilen, daß man für ihn nicht zu sprechen ist.
Eine dezentere, gleichwohl wirksame Form des Mobbings
ist die Ausgrenzung beim Mittagstisch, bei Kollegenrunden, das Meiden des Kollegen, ihn umgehen, Aufhören zu reden, wenn der Kollege ins Zimmer tritt.
3. Angriff auf Person / Privatsphäre
Angriffe auf die Person sind vielfältig denkbar. Hagen lacht über Siegfried, den Stotterer und seine Behinderung. Isolde beschimpft Tristan wegen
Körpergeruchs, seiner Kleidung und seiner Frisur. In anderen Fällen wird die Figur und das Körpergewicht in den Mittelpunkt gestellt (“Die fette …”). Solche Strategien können so weit gehen, daß verächtliche
Mienen gezogen werden bei Erscheinen. In einem gerichtlichen Fall wurde stets auf den Boden gespuckt, wenn der Betreffende vorbeiging.
Angriffe auf die Privatsphäre sind noch massiver, z.B. Belästigungen des
Ehepartners oder Spott über den Ehepartner, die angeblich mißratenen oder schulschwachen Kinder des Kollegen, die schlechte Wohngegend, die dubiosen Freunde des Betreffenden oder seine problematische soziale
Herkunft, seine ungehobelten Verwandten, seine kriminellen Geschwister etc.
4. Aggression
Aggressionen können verbal zu Mobbing-Tatbeständen führen, wenn sie fortwährend stattfinden, z.B. Drohungen, Anschreien, unangemessener Ton, aber auch
Demütigungen vor anderen. Aggressionen durch Tätlichkeiten können bei fortgesetztem Handeln Mobbing darstellen.
Schwieriger zu behandeln sind die Aggressionen, die z.B. durch Spott oder überzogene
Freundlichkeit an den Tag gelegt werden.
5. Gerüchte / Verleumdung
Eine durchaus erfolgreiche und auch beliebte Möglichkeit des Mobbings besteht darin, jemanden durch das Streuen von Gerüchten, durch das Anhängen von
Verdächtigungen zu mobben. Gerüchte können sich sowohl auf das Privatleben beziehen, auf Liebschaften, auf angebliche finanzielle Schwierigkeiten, sexuelle Abartigkeiten, schlechten Umgang etc.
Zu dieser Form
des Mobbings gehört auch insbesondere das Lächerlichmachen bestimmter Personen. Dies kann sehr wirksam beim “Aufwärts-Mobbing” sein, indem Vorgesetzte z.B. wegen ihres Aussehens, wegen ihrer Kleidung, ihrer
Tollpatschigkeit oder ihrer Strenge lächerlich gemacht werden.
6. Typische Ablaufszenarien
Mobbing beginnt in vielen Fällen zunächst völlig harmlos, scheinbar fachlich begründet, verdeckt, scheinbar spaßig. Es kann auch mit Versprechern und mit
entsprechenden nachfolgenden Entschuldigungen beginnen, die sich immer wieder häufen. Denkbar sind auch Maßnahmen der Verwirrungstaktik (“wer hat dem Kollegen die tote Katze auf den Schreibtisch gelegt”, oder
“wieso ist immer der Papierkorb des Kollegen X verschwunden, wer war das” etc.). Nach diesen zunächst nicht als Mobbing zu bezeichnenden und zu erkennenden Anfängen nimmt der Druck auf das Opfer langsam zu (
Folterkammerprinzip
). Die Zermürbungstaktik wird zunehmend offener ausgetragen.
Erst in diesem Stadium erkennt das Opfer in der Regel den Anfang einer Bedrohung. Oft will das Opfer die Realitäten gar
nicht wahrhaben, um sich nicht der Wahrheit, den Druck stellen zu müssen. Für das Opfer bedeutet die Wahrnehmung der Realität auch, daß es gezwungen ist, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, betriebsöffentlich zu werden
etc. Gegen solche Maßnahmen spricht aber sehr oft das Harmoniebedürfnis des Opfers.
Wenn dann das Opfer tatsächlich Gegenmaßnahmen ergreift und sich beschwert, läuft es Gefahr, von dem Vorgesetzten oder den
Kollegen als Störenfried, als Gespensterseher, als hysterisch, überempfindlich etc. abqualifiziert zu werden.
Wegen dieser Gefahr, insbesondere aber wegen des oft vorhandenen Harmoniebedürfnisses wird von
Mobbing-Opfern durchaus nicht immer reagiert. Im nächsten Stadium verschlechtert sich dann der Gesundheitszustand des Opfers. Die Krankheitssymptome haben allerdings regelmäßig mit dem Druck am Arbeitsplatz
wenig zu tun. Schließlich hält das Opfer dem Druck nicht mehr stand und reagiert. Die Reaktion kann in zweifacher Weise erfolgen. Entweder findet aktive Gegenwehr statt. Dann besteht die Gefahr der Überreaktion.
Bei Überreaktion muß das Opfer mit Abmahnung und Kündigung rechnen (“darauf warten wir nur”).
Die andere Art der Reaktion ist mehr passiv, d.h. die Flucht in die Krankheit oder das Versagen bei einfachsten
Arbeiten, Steigerung der Fehlerquote und letztendlich die Eigenkündigung oder Auflösungsvertrag.