Folge 117

Mobbing III – Beispiele



Der Fall:


    Sängerin Maria Callas fühlt sich von Arbeitskollegen und dem Arbeitgeber gemobbt. Opernchef Gotthilf Schiffer hat sie schon mehrfach ermahnt, weil sie
    sich als Diva das Recht herausnimmt, zu spät zu den Proben zu erscheinen. Außerdem hat er sie einmal abgemahnt wegen schrillen Umgangstons. Die Solisten Roy und John Lemon schauen sie immer gierig an und pfeifen
    beim Vorübergehen. Bühnenarbeiter Jerry Cotton lacht, wenn er sie sieht und verbeugt sich scheinbar spöttisch. Ist das Mobbing? fragt sich Maria Callas.



Die Lösung:



1. Mobbing in der heutigen Arbeitswelt


    Die Arbeitszeit hat sich in den letzten 10 Jahren deutlich verändert. Die Klagen über schlechtes Arbeitsklima, verstärkten Konkurrenzdruck häufen sich.
    Von Solidarität der Arbeitnehmer untereinander redet kaum mehr jemand. Der Betrieb als Heimat der Arbeitnehmer, die Belegschaft als Gemeinschaft, als identitätsstiftende Einrichtung hat immer mehr ausgedient.

    In den Betrieben erhöht sich die Umlaufgeschwindigkeit, auch der Arbeitnehmer beim Arbeitsplatzwechsel. Der Egoismus des einzelnen ist immer stärker in den Vordergrund getreten. Der Kampf um die eigenen Vorteile
    verdrängt die Fairness.

    Noch vor 10 Jahren war Betriebstreue und Verläßlichkeit eins der höchsten Güter der Arbeitswelt. Je länger die Betriebszugehörigkeit, umso höher das Ansehen.

    Heute sind z.B. 20
    Jahre Betriebszugehörigkeit verdächtig. Wer so lange da ist und vielleicht 50 Jahre alt, ist weniger ein “Held der Arbeit”, als vielmehr ein versteinerter “Quastenflosser”, vergreister Besserwisser, Hemmklotz
    und Fußkranker in der globalisierten Arbeitswelt, nicht mobil, nicht flexibel, nicht mehr vermittelbar.

    In diesem veränderten Klima ist auch das Thema “Mobbing am Arbeitsplatz” als Phänomen der neuen
    Arbeitswelt immer mehr in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gelangt. Es gibt zunehmend Prozesse an den Arbeitsgerichten wegen dieser Phänomene.

    Die Mobbing-Opfer wechseln, es können Arbeitskollegen
    untereinander sein, aber auch Vorgesetzte oder Arbeitgeber.

    Die im Rahmen von Mobbing mittlerweile gehandelten Zahlen sind nur schwer überprüfbar, aber symptomatisch:

    – 1,5 Mio. gemobbte Arbeitnehmer

    – Mobbing als Ursache für ca. 10 % aller Selbstmorde

    – Mobbing-Schäden von 15 – 50 Mrd. Euro jährlich der deutschen Wirtschaft.



2. Folge: Verlust des Selbstwertgefühls


    Trotz der Veränderungen der Arbeitswelt ist das Arbeitsverhältnis nicht nur Verdienstquelle. Das Arbeitsverhältnis und die Betriebsgemeinschaft ist nach
    wie vor ein wesentlicher Teil des Lebens der Arbeitnehmer. Dies gilt sowohl vom zeitlichen Umfang, wie auch inhaltlich. Das Selbstwertgefühl vieler Arbeitnehmer wird nach wie vor zu einem wesentlichen Teil durch
    das Arbeitsverhältnis und die Arbeitswelt geprägt und erhalten.

    Echtes oder vermeintliches Mobbing führt dabei zu einem stetigen Abbau des Selbstwertgefühls bis hin zum völligen Verlust und zu einer
    Traumatisierung.

    Es ist Aufgabe sowohl des Arbeitgebers wie der Betriebsräte, aber auch der Vorgesetzten und aller Arbeitnehmer, sich mit diesen Phänomenen im Betrieb auseinanderzusetzen. Leider wird das
    Problem oft verdrängt. Ursachenerforschung ist schmerzlich und unterbleibt deshalb oft.

    Mobbing kann zunächst nur an seinen Symptomen festgemacht und dann bekämpft werden. Die Ursachen von Mobbing werden oft
    zunächst nur vordergründig festgemacht. Letztendlich aber steckt hinter Mobbing-Phänomenen in Betrieben regelmäßig ein tiefliegender, genereller Wertewiderspruch zwischen einzelnen Arbeitnehmern, zwischen
    Arbeitnehmer und Vorgesetztem oder umgekehrt bzw. zwischen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer. Da dieser Wertewiderspruch nicht gelöst wird, versuchen die Betroffenen ihr Problem durch Hilfs- und Ersatzhandlungen zu
    lösen, die dann als Mobbing empfunden oder erkannt werden.

    Es genügt also nicht, bei dem Kampf um Respekt und Selbstwertgefühl die offenkundigen, unmittelbaren Konflikte zu analysieren und zu lösen. Es muß
    vielmehr gefragt werden, was hinter einem offenkundigen Konflikt, Streit etc. als Grundkonflikt wirklich steckt.



3. Beispiele



    Beispiel 1:

    Ein Arbeitnehmer ist den Arbeitskollegen in der Abteilung oder Gruppe zu langsam oder zu unbeholfen, oder er macht zu viele Fehler.
    Die Arbeitskollegen ärgern sich über ihn, wissen aber, daß sie an seiner Langsamkeit oder seiner Unkonzentriertheit nichts ändern können.

    Dieser Mitarbeiter wird dann in Form von “Späßchen” gehänselt. Die
    Kollegen machen sich über seine Kleidung und seine Hobbies lustig. Je mehr der Betroffene sich ärgert, umso offener werden die Hänseleien. Wer ihn sieht, lacht, behandelt ihn übertrieben höflich etc.

    Dieser
    Konflikt ist nur zu lösen, wenn die wahre Ursache erkannt wird, nämlich die Unzufriedenheit der Kollegen über die Langsamkeit und mangelnde Arbeitsleistung des Betroffenen.


    Beispiel 2:

    Der Abteilungsleiter will eine Mitarbeiterin aus einer anderen Abteilung an die Stelle seiner Sekretärin bekommen. Dies kann private, menschliche, aber auch arbeitstechnisch bedingte Gründe haben. Seine Sekretärin ist entweder nicht versetzbar oder will nicht gehen. Nunmehr beanstandet der Abteilungsleiter das Verhalten der Sekretärin, ihre Arbeitsleistung, ihre Kleidung, ihr Benehmen etc.

    Das wirkliche Problem ist aber nicht die Arbeitsleistung, das Benehmen etc. Der Konflikt kann nur gelöst werden, wenn die eigentliche Ursache offengelegt, besprochen und ggf. eine organisatorische Maßnahme
    vom Arbeitgeber ergriffen wird.


    Beispiel 3:

    Ein neuer Abteilungsleiter schafft in seiner Abteilung die bisherigen illegalen Kaffee- und Schwatzpausen ab. Er besteht darauf, daß pünktlich bis zum Schluß gearbeitet wird, die Arbeit nicht schon 30 Minuten vor Arbeitsende eingestellt wird. Er will ein Bewertungssystem zur Leistungssteigerung in der Abteilung einführen.

    Die Untergebenen fangen an, Dienst nach Vorschrift zu leisten, grüßen ihn nur noch, wenn Abteilungsfremde dabei sind, beschweren sich beim Chef über den angeblich rüden Umgangston, verbreiten Gerüchte über
    angebliche Liebesverhältnisse und Annäherungsversuche, über Körpergeruch und angebliche Gesundheitsprobleme des Vorgesetzten.

    Auch dieser Konflikt beruht auf einem Wertewiderspruch zwischen den Untergebenen,
    die weiter ein lockeres Arbeitsleben führen wollen und dem Vorgesetzten, der eine andere Pflichtauffassung besitzt.

    Sängerin Maria Callas muß in unserem Fall also sich fragen, warum sie z.B. die Solisten Roy
    und John Lemon, aber auch der Arbeiter Jerry Cotton scheinbar oder tatsächlich so unangemessen behandeln. Eine entsprechende Beschwerde über deren Verhaltensweisen könnte zwar zu einer Änderung in diesem Punkt
    führen. Der eigentliche Konflikt aber wäre nicht gelöst. Die Änderung würde nur dazu führen, daß neue Probleme, vielleicht auf anderen Gebieten, entstehen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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