Folge 51

Die Zeugnissprache – Technik der Verschlüsselung

(Stand 2025)

Die Zeugnissprache stellt mittlerweile ein unüberschaubares Verwirrspiel und eine Zumutung für den Zeugnisleser, aber auch für den Zeugnisschreiber und Zeugnisempfänger dar. Mittels verschiedener
Verschlüsselungstechniken verfolgen manche Arbeitgeber das Ziel, sich um einen klaren Zeugnisinhalt zu drücken, oder bestimmte Informationen über Formeln mittelbar weiterzuleiten.

Dabei allerdings können viele Missverständnisse und Fehlinterpretationen auftreten. Es ist Vorsicht geboten.


Der Fall:

Frau Holle weiß nicht, wie sie sich genau ausdrücken soll. Der ausscheidende Abteilungsleiter Eisenhans hat zum großen Bedauern von Frau Holle selbst gekündigt. Sie hätte ihn gerne behalten.

Eisenhans möchte ein Spizenzeugnis. Er hat einmal gehört, dass ein ausführliches Zeugnis bei progressiven Jungmanagern negativ gewertet werde und besser ein tabellarisches Zeugnis erstellt werden soll.

Da Frau Holle Negatives vermeiden möchte, stellt sie im Zeugnis heraus, dass Eisenhans als „Abteilungsleiter Winterdienst“ es besonders trefflich verstand, den Winteranfang mit Schneeflocken zu begleiten. Er habe außerdem auch pünktlich zum Sommerbeginn den Schneefall wieder eingestellt. Insgesamt seien die Kunden am Boden mit seiner
Beschneiung recht zufrieden gewesen. Im außerdienstlichen Bereich sei er besonders vorbildlich gewesen.

Schließlich dankte Frau Holle ihrem Mitarbeiter Eisenhans zum Abschluss des Zeugnisses auf das Allerherzlichste für seine treuen Dienste und wünscht ihm für die Zukunft insbesondere auch viel Erfolg.

Abteilungsleiter Eisenhans sind diese Formulierungen suspekt, er fühlt sich nicht wohl. Er möchte gerne eine zackige, klare, schnörkellose Sprache. Kann er Frau Holle dazu zwingen?


Die Lösung:


1. Zeugniswortlaut

Die Arbeitnehmer haben – entgegen oft vertretener Ansichten im Zeugnisprozess – keinen Anspruch auf einen bestimmten Zeugniswortlaut oder Zeugnisstil. Vielmehr stand der Arbeitgeberin Holle bei der Abfassung des Zeugnisses ein eigener Beurteilungs- und Sprachspielraum zu. Insbesondere können einzelne Formulierungen der Arbeitgeberin nicht vorgeschrieben werden.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Arbeitsgericht den Arbeitgeber im Streitfalle zur Aufnahme bestimmter Passagen in einem Zeugnis verurteilt. Dann ist es unumgänglich, dass das Arbeitsgericht zur ordnungsgemäßen Durchsetzung des klägerischen Anspruches einen bestimmten Wortlaut im Urteilstenor formuliert.

Aus diesem Grunde kann Abteilungsleiter Eisenhans Frau Holle nicht zwingen, “zackige und schörkelfreie Formulierungen” zu verwenden.


2. Tabellarisches Zeugnis?

Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungswert, wonach ein gut ausformuliertes Zeugnis oder ein verkürztes, scheinbar fachlicheres tabellarisches Zeugnis im Bewerbungsfalle erfolgreicher wäre. Es gibt bisher auch kein veröffentlichtes Urteil darüber, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ein tabellarisches Zeugnis verlangen könnten.

Will der Arbeitnehmer gleichwohl ein solches Zeugnis in dieser knappen Form erhalten, so ist dem Arbeitgeber zuzuraten, dem Arbeitnehmerwunsch zu folgen. Er könnte sich damit viel Ärger sparen.

Das tabellarische Zeugnis ist letztendlich für den Arbeitgeber einfacher auszustellen. Es hat für den Arbeitgeber aber den Nachteil, daß es weit weniger Nuancen hergibt, als das ausformulierte Zeugnis.


3. Technik der Verschlüsselns

Die Schwierigkeit des Zeugnis-Schreibens besteht darin, dass das Zeugnis einerseits wohlwollend sein muss und andererseits wahr. Wahrheit und Wohlwollen können aber erhebliche Gegensätze darstellen. Um hier gerichtsfeste Zeugnisse zu fertigen, ohne gegen den Wahrheits-Grundsatz zu verstoßen, haben sich in der Praxis verschiedene Formulierungen als gängig oder als inakzeptabel eingebürgert, ohne dass es sich hierbei um eine unzulässige „Geheimsprache“ handelt. 

Die Technik des Verschlüsselns einerseits und die Vereinbarung der verschiedenen widersprüchlichen Zeugnisgrundsätze andererseits (Wahrheit und Wohlwollen sowie Vollständigkeit) führen neben den Formulierungen auch noch zu verschiedenen Techniken, z.B. zum Weglassen oder zum Herausstellen von Selbstverständlichkeiten.

Diese Techniken können aber auch zu gewissen Einschränkungen und Mehrdeutigkeiten führen bis hin zu übertriebenem und damit unglaubwürdigem Lob.

Entscheidend ist aber immer der Gesamteindruck des Zeugnisses und der diversen Formulierungen.


4. Fallbeispiele

Besonders katastrophal kann sich übertriebenes oder falsches, ironisches Lob auswirken. Wenn Frau Holle auf das „Allerherzlichste“ für die „treuen“ Dienste des “fahnenflüchtigen” Eisenhans dankt, so ist dies weit überzogen und unglaubwürdig. Eisenhans mag dadurch geschmeichelt sein. Aber überzogene Formulierungen sind immer Anlass zu Verdachtsmomenten.

Andererseits spricht das Weglassen wichtiger Dinge, wie z.B. die „Ehrlichkeit“ bei einem Verkäufer oder die Diskretion bei der Chefsekretärin oder Zuverlässigkeit bei dem Abteilungsleiter Winterdienst für ein Defizit in der Arbeitsleistung und ist zumindest verdächtig.

Das Herausstellen von Selbstverständlichkeiten ist überflüssig und dient in der Regel der Verschleierung. Wenn Eisenhans bestätigt wird, dass er den Wintereinbruch pünktlich feststellte, wie auch den Sommerbeginn, so ist dies fast schon eine Realsatire.

Die Formulierung, dass die Kunden mit dem Winterdienst von Eisenhans “insgesamt” zufrieden waren, ist in ihrer Einschränkung und Mehrdeutigkeit verräterisch.

Daraus folgt, dass einmal die Arbeitgeberin Frau Holle nicht zufrieden war. Weiter folgt daraus, dass die Kundschaft nur eingeschränkt, nämlich “insgesamt” zufrieden war.

Auch die Betonung, Eisenhans sei außerdienstlich besonders vorbildlich gewesen, lässt den Schluss zu, dass dies im Dienst nicht immer der Fall war. Dies könnte ein verdeckter Hinweis auf die erfolgten Abmahnungen sein.


5. Gefahr der Falschinterpretation

Kein Zeugnisleser weiß zunächst, ob das ihm vorgelegte Zeugnis verschlüsselt ist, mit normalem Sachverstand formuliert wurde oder besondere Tücken enthält.

Deshalb ist die Gefahr der Überinterpretation oder Falschinterpretation von Zeugnissen sehr groß. Dies ist der Schwachpunkt des Zeugnisrechtes und der benutzten Mittel bei der Zeugniserstellung.

In vielen Fällen sind Zeugnisse und ihre Formulierungen durchaus nicht doppeldeutig erstellt und gemeint. Andererseits ist keine Zeugniskomponente stets als wertneutral aufzufassen.

Der Zukunftswunsch “wir wünschen insbesondere auch viel Erfolg” könnte ehrlich und gut gemeint sein. Es kann darin aber auch der versteckte Hinweis enthalten sein, dass der Erfolg im Arbeitsverhältnis zu wünschen übrigließ. Diese Formulierung ist aber nicht vollständig und damit nicht optimal. 

Ein wirklich gutes Zeugnis enthält als Schlussklauseln das Bedauern des Arbeitgebers über das Ausscheiden, den Dank für die geleisteten (guten) Dienste und die guten Wünsche für die private und berufliche Zukunft.

Diese Schlussformel ist deshalb besonders wichtig und aussagekräftig, weil sie nach der Rechtsprechung rein freiwillig erteilt wird und nicht erzwingbar ist. Alles was rein freiwillig ist, gilt in der Zeugnissprache als mehr oder weniger ehrlich. Der Arbeitnehmer hat keinen vertraglichen Anspruch auf ein Bedauern wegen seines Ausscheidens, ebenso wenig auf Dank oder gute Wünsche für die Zeit nach dem Ausscheiden. Bedauern ist eine höchst persönliche Gefühlsregung. Als Dank wurde die Vergütung gezahlt und die Zukunft geht den bisherigen Arbeitgeber nichts mehr an.

Bei Eisenhans fehlt interessanter Weise das Bedauern und dagegen steht der „allerherzlichste Dank“ für treue Dienste. Das beißt sich. Übertriebener Dank ist außerdem immer verdächtig. 

Aus diesem Grunde ist jedem Arbeitnehmer und jedem Arbeitgeber zu raten, Zeugnisse zunächst mit Fingerspitzengefühl im Gesamtzusammenhang zu prüfen und festzustellen, ob das Zeugnis
insgesamt als gutes Zeugnis gemeint und gewollt ist, oder ob hier durch Ausweichtechnik und Weglassen von Anfang an ein unvollständiges und damit trotz eines positiven Wortlautes unzureichendes Zeugnis erstellt
worden ist.

Eine Patentlösung oder eine Patentinterpretation gibt es allerdings nicht.


6. Checkliste

  • Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf einen bestimmten Zeugniswortlaut.
  • Das Formulierungsrecht liegt allein beim Arbeitgeber.
  • Tabellarisches Zeugnis ist nicht als generell besser zu empfehlen. Ggfs. Vereinbarungssache.
  • Vorsicht vor unfairen Verschlüsselungen.
  • Übertriebene Bewertungen sind stets problematisch. Können das Gegenteil meinen.
  • Weglassen wichtiger Eigenschaften (Ehrlichkeit bei Kassiererin)
  • Verschleierung durch Herausstellen von Selbstverständlichkeiten
  • Vorsicht bei Einschränkungen (z.B. “insgesamt”, “in erster Linie”)
  • Wer war besonders zufrieden? Die Kunden. Die Arbeitskollegen? Die Arbeitgeberin nicht?
  • Stets Gefahr der Fehlinterpretation.
  • Möglichst sachliche, schnörkellose Formulierungen. Risiko am Geringsten.
  • Schlussformel Bedauern, Dank und gute Wünsche vorhanden?

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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