(Stand 2025)
Über den Inhalt des Zeugnisses und die Zeugnisgrundsätze wird oft trefflich gestritten. Die Arbeitsgerichte werden mittlerweile immer häufiger wegen des Inhalts der Zeugnisse bemüht. Dabei wissen viele Arbeitgeber
noch nicht einmal genau über die elementaren Grundsätze des Zeugnisrechts Bescheid.
Der Fall:
Nachdem Arbeitgeberin Frau Holle durch ihren Unternehmensberater Dr. Allwissend über ihre Zeugnispflicht aufgeklärt wurde, brütet sie über einem Zeugnisentwurf für den Abteilungsleiter Eisenhans.
Sie weiß zwar, dass sie eine Tätigkeitsbeschreibung und eine Beurteilung von Leistung und Führung vornehmen muss, aber nach welchen Grundsätzen sie vorgehen soll, weiß sie nicht. Sie fragt wieder ihren Unternehmensberater Dr. Allwissend.
Auf jeden Fall will sie aber die 3 Abmahnungen gegen ihren Abteilungsleiter Eisenhans im Zeugnis aufnehmen, seine erheblichen Krankheitszeiten und seine Kandidatur bei der letzten Betriebsratswahl.
Am liebsten will Frau Holle den ganzen unangenehmen Zeugniskram ihrem Untenehmensberater Dr. Allwissend übertragen. Er soll auch das Zeugnis unterschreiben. Für den Fall, dass er sich weigert, weist sie den Abteilungsleiter Einkauf Max Froschkönig an, die Unterschrift für sie zu unternehmen.
Damit ist aber der scheidende Abteilungsleiter Eisenhans überhaupt nicht einverstanden. Er besteht darauf, dass Frau Holle selbst das Zeugnis höchstpersönlich unterschreibt. Muss sie das?
Die Lösung:
1. Zeugnisgrundsätze
Das Unbehagen von Frau Holle über den Zeugnisinhalt und die Zeugnisgrundsätze ist verständlich. Weder in den zahlreichen gesetzlichen Vorschriften zum Zeugnisanspruch, noch in den Tarifverträgen ist über die Zeugnisgrundsätze etwas greifbares niedergelegt. Gleichwohl braucht Frau Holle nicht zu verzweifeln, denn die Rechtsprechung hat sich mit den Zeugnisgrundsätzen befasst.
Die Rechtsprechung hat 2 bzw. 4 Zeugnisgrundsätze niedergelegt, an denen sich jeder Arbeitgeber orientieren muss. Es handelt sich dabei um
den Grundsatz der Wahrheit,
den Grundsatz des verständigen Wohlwollens,
den Grundsatz der Vollständigkeit und
den Grundsatz der individuellen Beurteilung.
Dabei stehen unbestritten der Grundsatz der Zeugniswahrheit und der wohlwollenden Beurteilung des Arbeitnehmers im Vordergrund.
2. Vollständig und individuelle Beurteilung
Der Grundsatz der Vollständigkeit ist sehr wichtig. Der neue Arbeitgeber muss sich bei Bewerbern darauf verlassen können, dass nicht nur einige besonders gute oder unwesentliche Abschnitte der Tätigkeit des Arbeitnehmers herausgegriffen sind.
Da der Grundsatz des Wohlwollens oft durch Weglassen bestimmter Dinge geprägt ist, ist die Einhaltung des Grundsatzes der Vollständigkeit nicht immer einfach.
Der Grundsatz bedeutet nicht, dass alle Vorkommnisse im Arbeitsverhältnis aufgeführt werden sollten oder dürfen. Das wäre bei einem langen Arbeitsverhältnis gar nicht machbar. Vielmehr bedeutet dieser Grundsatz, dass das Gesamtbild des Arbeitnehmers, der Gesamteindruck des Lesers, stimmig sein muss.
Merke: Zeugnisse dürfen nicht zu lang sein! Zum einen werden sie so unglaubwürdig und auch langatmig, wenn zu viele Einzelheiten aufgeführt werden. Zum anderen werden sie dann im Zweifel überhaupt nicht gelesen, die Bewerbung gleich weggelegt.
Der Grundsatz der Vollständigkeit verlangt deshalb nicht von Frau Holle, dass sie die Abmahnungen gegen Eisenhans in Zeugnis
aufzählt, oder gar seine Krankheitszeiten entsprechend und vollständig niederlegt. Soweit sich die Krankheitszeiten im allgemeinen Rahmen halten, haben sie im Zeugnis ohnehin nichts zu suchen.
Auch die Kandidatur des Eisenhans bei der Betriebsratswahl hat trotz dieses Grundsatzes nichts im Zeugnis zu suchen, da die Teilnahme an der Betriebsratswahl weder die Arbeitsleistung, noch die Führung des Arbeitnehmers betrifft.
Der Grundsatz der individuellen Beurteilung dagegen verlangt vom Arbeitgeber, dass er auf den einzelnen Arbeitnehmer und seine Arbeitsleistung eingeht. Es genügt nicht, daß der Arbeitgeber eine ganz
allgemein gehaltene, austauschbare Zeugnissprache mit entsprechenden Floskeln und allgemeinen Formulierungen pflegt. Der Arbeitnehmer Eisenhans muß aus der Beurteilung erkennbar sein.
3. Wahrheit und Wohlwollen
Die Grundsätze von Wahrheit und Wohlwollen können im Einzelfall sich durchaus widersprechen. Gleichwohl schließen sie sich nicht aus, sondern begrenzen sich nur gegenseitig.
Die Arbeitgeberin Holle hat die nicht einfache Aufgabe, diese Pole in einem Zeugnis verträglich zu vereinen. Generell ist dabei jedoch dem Grundsatz der Zeugniswahrheit der Vorrang einzuräumen. Oberster Grundsatz
ist, daß das Zeugnis nichts Falsches enthalten darf.
Wahrheit geht vor Wohlwollen!
Aus der Wahrheitspflicht folgt, daß Frau Holle im Zeugnis für Eisenhans nur Tatsachen aufnehmen darf, nicht aber Behauptungen, Annahmen oder Verdächtigungen. Dagegen wird das Zeugnis nicht unwahr, wenn sie einzelne Schwächen und einzelne Fehlverhaltensweisen oder singuläre Vorfälle nicht aufnimmt, z.B. die Abmahnungen.
Die Aufnahme von Abmahnungen widerspricht allerdings wiederum dem Grundsatz des Wohlwollens! Deshalb haben Abmahnungen generell im Zeugnis nichts zu suchen.
Die Kunst des Wohlwollens in Abwägung mit der Wahrheitspflicht besteht vor allem im Weglassen nicht so bedeutsamer Dinge. Dieses Weglassen ist allerdings dann problematisch, wenn die Schwachpunkte von erheblicher
Bedeutung wären.
Der Grundsatz der wohlwollenden Beurteilung heißt nicht, daß nichts ungünstiges gesagt werden dürfte. Hatte der Arbeitnehmer z.B. eine wichtige dienstinterne Prüfung vorzunehmen und nicht
bestanden, so muß dies ggf. aus Gründen der Wahrheit vielleicht im Zeugnis aufgenommen werden. Allerdings gilt dies nur dann, wenn dadurch das Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unnötig erschwert wird, d.h. wenn das Nichtbestehen der Prüfung für den neuen Arbeitgeber von Wichtigkeit ist.
Beispiel:
Ein Strafverfahren wegen sittlicher Verfehlungen eines Heimerziehers darf im Zeugnis nicht unerwähnt bleiben.
Andererseits gehören Angaben über den Gesundheitszustand nur dann in das Zeugnis, wenn durch die erheblichen Krankheitszeiten das Arbeitsverhältnis in wichtigen Teilen gestört war oder nicht durchgeführt werden konnte. Dies gilt z.B. dann, wenn bei einer 3jährigen Beschäftigung der Arbeitnehmer 2 Jahre lang arbeitsunfähig erkrankt war.
Die Wahrheitspflicht erfordert die Aufnahme von Tatsachen in das Zeugnis, wenn die Nichtbeachtung einer wichtigen Tatsache zu einer, das Gesamtbild entscheidend prägenden Falschdarstellung führen würde.
Allerdings kann auch das Weglassen einzelner, für eine bestimmte Berufsgruppe unabdingbare Tatsache einen deutlichen Hinweis geben. Dann wäre die Wahrheitspflicht nicht tangiert.
Beispiel:
Fehlt bei einem Verkäufer oder Kassierer die Charakterisierung der “Ehrlichkeit”, so muss das Weglassen dieser Eigenschaft jedem anderen Arbeitgeber der Branche sofort auffallen.
Dieses Weglassen ist eine klare Botschaft über vergangene Vorfälle und stellt deshalb gerade kein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht, sondern ein Hinweis auf die Wahrheit dar. Die Unehrlichkeit des Verkäufers muss nicht
noch einmal gesondert im Zeugnis aufgeführt werden.
Der Verstoß gegen die Wahrheitspflicht und gegen die Pflicht zur Vollständigkeit des Zeugnisses kann im Einzelfall zum Schadenersatz des neuen Arbeitgebers führen. Deshalb tut Frau Holle gut daran, alle im Arbeitsverhältnis wirklich wichtigen Vorfälle im Arbeitszeugnis aufzuführen.
Letztendlich verlangt die Rechtsprechung von der Arbeitgeberin Frau Holle, dass sie das Zeugnis mit der Würdigung einer “wohlwollenden, verständigen Arbeitgeberin” fertigt. Dies zwingt dazu, subjektive Einstellungen und Gefühle möglichst zurückzudrängen, auch wenn jede Beurteilung notwendige subjektive Elemente enthält.
Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass die Erstellung des Zeugnisses für die Arbeitgeberin Holle durchaus schwierig sein kann.
4. Unterschriftsbefugnis
Das Zeugnis muss grundsätzlich vom Arbeitgeber selbst unterschrieben werden. In großen Unternehmen kann auch der dazu bestellte Vertreter des Arbeitgebers, insbesondere der Leiter der Personalabteilung, das Zeugnis unterschreiben.
Das Zeugnis darf aber nicht von einem untergeordneten Abteilungsleiter etc. unterschrieben werden. Das Zeugnis darf außerdem auch nicht von einem außenstehenden Dritten, wie z.B. dem Unternehmensberater Dr. Allwissend, einem Steuerberater oder Handlungsbevollmächtigten erstellt und unterschrieben werden.
Frau Holle darf sich zwar der Hilfe anderer Personen bedienen,
z.B. des Unternehmensberaters oder eines Vorgesetzten von Eisenhans. Sie muss aber stets selbst die Ausstellerin des Zeugnisses sein und deshalb das Zeugnis persönlich unterschreiben.
5. Checkliste
- Wichtige Zeugnisgrundsätze:
a) Wahrheit
b) Wohlwollen
c) Vollständigkeit
- Kaum lösbarer Gegensatz Wohlwollen – Wahrheitspflicht.
- Wahrheit geht vor Wohlwollen.
- Wahrheit: Nicht alle Vorfälle des Arbeitslebens. Nur wesentliche Dinge.
- Wohlwollen: Die Kunst besteht im “Weglassen” von unangenehmen Details.
- Unterschrift: Arbeitgeber, Geschäftsführer, Personalleiter.
- Nicht: Kollege, Abteilungsleiter als direkter Vorgesetzter.